Der westfälisch-lippische Sparkassenverband erklärt die Aufarbeitung der NS-Zeit für beendet – doch Wissenschaftler, Opferverbände und die NRW-Antisemitismusbeauftragte widersprechen vehement. Warum 30-seitige Studien nicht ausreichen und weshalb die Sparkassen ihrer historischen Verantwortung noch immer nicht gerecht werden.
So hatte der Sparkassenverband Westfalen-Lippe (SVWL) vor drei Jahren eine Studie zur Geschichte der Sparkassen während der Zeit des Dritten Reichs angekündigt. Der SVWL hat den Forschungsauftrag inzwischen zurückgezogen, wie Sprecher Volker Willmer erklärte. Bereits vorliegende Studien zu den Sparkassen in Münster sowie zum Deutschen Sparkassen- und Giroverband im Dritten Reich würden das Forschungsinteresse ausreichend abdecken.
Die Botschaft des Sparkassenverbands ist klar: Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit sei abgeschlossen, das Forschungsinteresse ausreichend bedient[1]Volksbank lässt NS-Vergangenheit erforschen, Sparkasse macht Rückzieher. Doch diese Selbsteinschätzung steht auf tönernen Füßen. Während Sparkassen sich als passive Mitläufer des Nazi-Regimes darstellen, zeigt die Forschung: Sie waren oft aktive Profiteure[2]Welche Handlungsfreiheit hatten die Sparkassen in der NS-Zeit?[3]Streit um die Bewertung der NS-Geschichte der Frankfurter Sparkasse. Nachfahren von NS-Opfern werden mit formaljuristischen Antworten abgespeist, wissenschaftliche Standards ignoriert.
Ein brisantes Beispiel mangelnder Aufarbeitung – und die Frage, wann deutsche Finanzinstitute endlich Verantwortung für ihre dunkle Vergangenheit übernehmen.
Die Behauptung des westfälisch-lippischen Sparkassenverbands (SVWL), der Aufarbeitung der NS-Zeit der Sparkassen sei „Genüge getan”, steht in eklatantem Widerspruch zu den aktuellen wissenschaftlichen Standards und gesellschaftlichen Erwartungen. Diese Haltung ignoriert sowohl die Forderungen der Forschung als auch die berechtigten Ansprüche von Opferverbänden und jüdischen Gemeinden nach umfassender historischer Aufklärung.
Wissenschaft und Gesellschaft fordern mehr Transparenz
Die wissenschaftliche Community und politische Verantwortungsträger mahnen eindringlich eine intensivere, lokal verankerte und transparente Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Sparkassen an. Sylvia Löhrmann, die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, kritisiert das Verhalten der Sparkassen als „unsensibel” und bemängelt sowohl die fehlende wissenschaftliche Aufarbeitung als auch das mangelnde Bewusstsein für die eigene Rolle im NS-Régime[4]Kritik an Aufarbeitung der NS-Zeit der Sparkasse Hagen. Ihre Kritik wird von jüdischen Gemeinden und Opferverbänden unterstützt, die eine konsequente Offenlegung von Akten und eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der Geschichte fordern.
Besonders problematisch ist der Umgang mit Nachfahren von NS-Opfern, die nach Aussage der Verbände oft formaljuristisch abgefertigt werden, ohne dass echte historische Aufklärung stattfindet. Diese Praxis steht im Widerspruch zu den ethischen Anforderungen einer angemessenen Vergangenheitsbewältigung und verstärkt das Gefühl, dass die Sparkassen ihrer historischen Verantwortung nicht gerecht werden.
Mangelhafte Forschungspraxis offenbart Defizite
Die bisherigen Aufarbeitungsversuche einzelner Sparkassen erweisen sich bei genauerer Betrachtung als unzureichend. Die oft als Beispiel angeführte Osnabrücker Studie[5]Die Sparkasse Osnabrück in der Zeit des Nationalsozialismus umfasst lediglich 30 Seiten und betont selbst die Lückenhaftigkeit der Quellenlage und der Darstellung[6]Ein bisschen Aufarbeitung zum Jubiläum. Historiker bewerten solche Arbeiten als nicht vollumfänglich und detailreich genug, um den komplexen Verstrickungen der Sparkassen im Nationalsozialismus gerecht zu werden.
Die wissenschaftliche Forschung hat mittlerweile deutlich gemacht, dass Sparkassen und ihre Verbände im Nationalsozialismus keineswegs nur passive Mitläufer waren. Vielmehr agierten sie in vielen Fällen als aktive Akteure und Profiteure des Systems. Eine pauschale Erklärung, die Aufarbeitung sei abgeschlossen, ignoriert diese Komplexität und die noch immer offenen Fragen, insbesondere zu lokalen Einzelfällen und individuellen Verantwortlichkeiten.
Ein unvollendetes Kapitel der Geschichtsaufarbeitung
Die Behauptung des SVWL, das Forschungsinteresse sei ausreichend bedient, entspricht weder dem Stand der unabhängigen wissenschaftlichen Forschung noch den berechtigten Forderungen von Historikern, Opferverbänden und der Antisemitismusbeauftragten. Die Forschungslage bleibt weiterhin lückenhaft, viele lokale Fälle sind nicht untersucht, und die Forderung nach Transparenz, Empathie und umfassender wissenschaftlicher Aufarbeitung bleibt nicht nur aktuell, sondern auch dringend berechtigt.
Eine verantwortungsvolle Aufarbeitung der NS-Vergangenheit kann nicht mit dem Verweis auf unzureichende Einzelstudien als abgeschlossen betrachtet werden. Sie erfordert vielmehr eine kontinuierliche, offene und selbstkritische Auseinandersetzung mit der Geschichte, die den Opfern und ihren Nachfahren gerecht wird und zur gesellschaftlichen Verständigung beiträgt.
Es ist zu hoffen, dass die anderen Sparkassenverbände verantwortungsvoller mit ihrer Vergangenheit umgehen, als der westfälisch-lippische Sparkassenverband. Überhaupt: Ein Provinzverband in Münster hat nicht letztinstanzlich darüber zu befinden, ob einem Forschungsgegenstand, noch dazu wenn es sich dabei um ein solch sensibles Thema handelt, genüge getan wurde oder nicht. So weit kommt es noch.
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Weitere Informationen:
Schlussstrich unter NS-Zeit? Neue Studie aus Bielefeld zum Erinnern
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