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Das Finanz­sys­tem ist über die Jah­re für die Bank­kun­den immer abs­trak­ter und unper­sön­li­cher gewor­den. Der Bezug zur Regi­on, zur Gemein­schaft droht ver­lo­ren zu gehen. Die Ent­schei­dungs­macht dar­über, wer Kre­dit erhält oder wo Geld inves­tiert wird, ver­la­gert sich in die Hän­de weni­ger Akteu­re, die auf den glo­ba­len Finanz­märk­ten unter­wegs sind. Im Gespräch mit Bank­stil erklärt Prof. Dr. Chris­toph Becker (Foto), war­um die Regio­na­li­sie­rung für das Finanz­we­sen so wich­tig ist und wie sie zum Vor­teil der Kun­din­nen und Kun­den genutzt und gestärkt wer­den kann. 

  • Herr Prof. Dr. Becker, womit beschäf­ti­gen Sie sich in Ihrem All­tag an der Hoch­schu­le Darmstadt?

Den über­wie­gen­den Teil mei­ner Zeit bin ich mit der Leh­re beschäf­tigt. Ent­we­der Vor­le­sun­gen zu Mathe­ma­tik-Grund­la­gen oder Sta­tis­tik, oder Spe­zi­al­vor­le­sun­gen zur Funk­ti­ons­wei­se des Schat­ten­ban­ken­sys­tems und Asset Pri­cing im (Finanz-)Mathematik- oder Data Sci­ence Mas­ter. Ich lie­be die Arbeit mit den Stu­den­ten sehr. Wenn ich das so sagen darf: Die Ent­schei­dung, als Hoch­schul­pro­fes­sor zu arbei­ten habe ich noch kei­nen ein­zi­gen Tag bereut.

  • Was hat Sie dazu ver­an­lasst, die Macht­kon­zen­tra­ti­on auf den Finanz­märk­ten in den Blick zu neh­men?       

Was macht das Leben aus? Dass wir frei ent­schei­den, was wir mit unse­rem Leben anfan­gen möch­ten, Ideen aus­pro­bie­ren, und dann mer­ken, ob die­se Ideen tra­gen oder ein Irr­tum waren. Und aus die­sem Ver­such und Irr­tum ler­nen wir und ent­wi­ckeln uns als Men­schen wei­ter. An ent­schei­den­der Stel­le brau­chen wir zur Rea­li­sie­rung unse­rer Plä­ne viel­leicht einen Kre­dit. Um ein Haus zu bau­en, oder ein Unter­neh­men zu grün­den. Aber wenn in unserer

Gesell­schaft die Ent­schei­dung über die Kre­dit­ver­ga­be in zu weni­gen Hän­den kon­zen­triert ist, dann könn­te es mit unse­rer Frei­heit bald vor­bei sein. Schau­en Sie sich nur das Wachs­tum gro­ßer insti­tu­tio­nel­ler Inves­to­ren einer­seits und die Fusio­nie­rung klei­ner loka­ler Ban­ken ande­rer­seits an. Schritt für Schritt sinkt die Zahl derer, die in letz­ter Instanz über die Kre­dit­ver­ga­be ent­schei­den, näm­lich die Besit­zer der gro­ßen Fonds und der Banken.

Es ist in der Finan­ce-Theo­rie nicht ganz ein­fach, das The­ma „Macht­kon­zen­tra­ti­on“ kon­zep­tio­nell unter­zu­brin­gen. Wor­um geht es z.B. im Asset Pri­cing, also in dem Finan­ce- Seg­ment, das Model­le für das Pri­cing von Akti­en, Anlei­hen, Roh­stof­fen, Deri­va­ten, oder Fremd­wäh­run­gen unter­sucht? Obers­tes und ein­zi­ges Ziel ist letzt­lich ein mög­lichst hoher und sta­bi­ler Kon­sum über die Zeit. Wie soll man indi­vi­du­el­le Frei­heit oder spie­gel­bild­lich Macht­kon­zen­tra­ti­on in ein der­art ein­sei­tig mate­ria­lis­ti­sches Kon­zept ein­fü­gen? Frei­heit als Bei­trag zur opti­ma­len Kon­sum­glät­tung? Sie mer­ken schon, wie höl­zern und trau­rig die­se Theo­rie des Eigen­nut­zes erscheint; sie reicht nicht aus.

  •  War­um hal­ten Sie die Regio­na­li­sie­rung des Finanz­sys­tems für so wich­tig – was hat man sich dar­un­ter vorzustellen?

Regio­na­li­sie­rung ist das, was der Finanz­dok­tor einem Finanz­sys­tem aufs Rezept schreibt, wenn es an zu hoher Macht­kon­zen­tra­ti­on durch glo­ba­le Inves­to­ren oder Ban­ken lei­det. Ich fin­de, unser Finanz­sys­tem hat sich die­ses Rezept red­lich ver­dient: Neh­men Sie als Bei­spiel die Asset­ma­na­ger Black Rock, Van­guard und Sta­te Street. Sie gehö­ren in allen gro­ßen Unter­neh­men der west­li­chen Welt zu den Top-Aktio­nä­ren. Wenn aber hin­ter for­mal als Kon­kur­ren­ten auf­tre­ten­den Unter­neh­men letzt­lich immer die glei­chen Eigen­tü­mer ste­hen, dann lei­det der freie, markt­wirt­schaft­li­che Wett­be­werb. Und das lässt sich bereits heu­te empi­risch bele­gen. Die Domi­nanz der Asset­ma­na­ger beein­träch­tigt den Wett­be­werb zwi­schen Nicht-Finanz-Unter­neh­men nachweislich.

Möch­ten wir einem Finanz­sys­tem, das so vie­le Inter­es­sens­kon­flik­te in sich trägt, die Finan­zie­rung des deut­schen Mit­tel­stands über­las­sen? Es klingt nach kei­ner guten Idee.

Regio­na­li­sie­rung sorgt dafür, dass Kre­dit­ent­schei­dun­gen vor Ort gefällt wer­den, und nicht in einem weit ent­fern­ten Finanz­zen­trum. Wir soll­ten die­sen Punkt nicht unterschätzen!

Die Macht des Finanz­sys­tems besteht ganz wesent­lich dar­in, dass es ent­schei­den kann, wel­che Pro­jek­te real in unse­rem Leben umge­setzt wer­den und wel­che nicht. Regio­na­li­sie­rung sorgt auch dafür, dass erwirt­schaf­te­te Gewin­ne nicht aus der Regi­on abflie­ßen, und Finanz­kri­sen am ande­ren Ende der Welt betref­fen regio­na­le Finanz­struk­tu­ren in ers­ter Instanz nicht. Das sind beacht­li­che Vorteile.

Regio­na­li­sie­rung ist unab­hän­gig von der Art des Finanz­sys­tems. Ban­ken kön­nen regio­nal oder glo­bal agie­ren, Invest­ment­fonds eben­so. Im Ban­ken­sys­tem gibt es bereits ein regio­na­les Gegen­ge­wicht zu glo­ba­len Ban­ken, über das die Bür­ger froh sein soll­ten. Im Kapi­tal­markt, bei den Invest­ment­fonds zum Bei­spiel, gibt es ein sol­ches regio­na­les Gegen­ge­wicht noch nicht. Füh­ren wir also regio­na­le Fonds als Gegen­ge­wicht ein! Fonds, die nur in eine Regi­on inves­tie­ren und in die nur ein­zah­len kann, wer selbst in der Regi­on lebt – ob Bür­ger oder regio­na­ler insti­tu­tio­nel­ler Investor.

  • Auf dem deut­schen Ban­ken­markt ste­hen die Spar­kas­sen und Genos­sen­schafts­ban­ken für die Regio­na­li­sie­rung – machen die­se ihre Auf­ga­be gut bzw. gibt es noch Luft nach oben?

Ich bin der Auf­fas­sung, dass Spar­kas­sen und Genos­sen­schafts­ban­ken ein ent­schei­den­der Grund für die Stär­ke des deut­schen Mit­tel­stands sind. In die­sem Sinn leis­ten die regio­na­len Ban­ken also im Gro­ßen und Gan­zen sehr gute Arbeit. Stra­te­gisch hin­ge­gen kann ich Spar­kas­sen und Genos­sen­schafts­ban­ken nicht ver­ste­hen. Las­sen Sie mich Ihnen drei Bei­spie­le nennen.

Es gibt beacht­li­che empi­ri­sche Hin­wei­se, dass glo­bal agie­ren­de Ban­ken und Fonds klei­ne, loka­le Ban­ken bei der Kre­dit­ver­ga­be für Bür­ger und Mit­tel­ständ­ler nicht erset­zen kön­nen. Klei­ne Ban­ken sind kei­ne quan­ti­ta­tiv klei­ner gera­te­ne Groß­bank. Klei­ne Ban­ken sind etwas qua­li­ta­tiv Ande­res, etwas, das man mit einer Groß­bank über­haupt nicht ver­glei­chen soll­te. Des­halb dür­fen und müs­sen – wie ich fin­de – klei­ne Ban­ken in der öffent­li­chen Debat­te oder in der Regu­lie­rung gegen­über glo­ba­len Finanz­ak­teu­ren deut­lich selbst­be­wuss­ter auf­tre­ten. Denn klei­ne Ban­ken lie­fern etwas, das gro­ße Ban­ken empi­risch belegt nicht lie­fern kön­nen! Die­ses Selbst­be­wusst­sein könn­te sich so äußern, dass klei­ne Ban­ken auf tech­ni­sche Schwie­rig­kei­ten oder Sons­ti­ges beim The­ma Ver­brie­fun­gen für KMUs über­haupt nicht ein­ge­hen. Wenn die Poli­tik die Kre­dit­ver­sor­gung der KMUs ver­bes­sern möch­te, dann soll sie bit­te gemein­sam mit den klei­nen Ban­ken nach Lösun­gen suchen statt den Kapi­tal­markt mit­tels Ver­brie­fun­gen zu invol­vie­ren! Und auf empi­ri­sche Ergeb­nis­se in der For­schungs­li­te­ra­tur ver­wei­sen, die man nicht ein­fach weg­dis­ku­tie­ren kann.

Apro­pos Regu­lie­rung! Das ist das zwei­te Bei­spiel, bei dem ich die klei­nen Ban­ken nicht ver­ste­he. War­um ver­su­chen klei­ne Ban­ken ledig­lich für sie unver­hält­nis­mä­ßi­ge Regu­lie­rungs­vor­ga­ben abzu­weh­ren? Das erscheint mir zu defen­siv und wird lang­fris­tig für die klei­nen Ban­ken nicht gut aus­ge­hen, fürch­te ich. Statt­des­sen soll­ten die klei­nen Ban­ken aktiv ein ebe­nes Spiel­feld zwi­schen Ban­ken und dem Kapi­tal­markt ein­for­dern! Neh­men Sie z.B. Hedge Fonds oder die Pri­va­te Equi­ty Indus­trie. Deren wich­tigs­ter Inves­tor ist sicher­lich die pri­va­te Alters­vor­sor­ge, also Pen­si­ons­fonds. Wenn die pri­va­te Alters­vor­sor­ge durch Ver­lus­te der Hedge Fonds oder aus Pri­va­te Equi­ty all­zu schwe­ren Scha­den erlei­det, dann wird der Steu­er­zah­ler aus Grün­den der sozia­len Sta­bi­li­tät die pri­va­te Alters­vor­sor­ge ret­ten müs­sen. Die pri­va­te Alters­vor­sor­ge, sprich die Pen­si­ons­fonds, hal­ten de fac­to eine kos­ten­lo­se Put-Opti­on des Steu­er­zah­lers. Ist das kein berech­tig­ter Grund, für Pen­si­ons­fonds eine Regu­lie­rung der Fun­ding Ratio in Ana­lo­gie zum Eigen­ka­pi­tal der Ban­ken plus Berichts­pflich­ten zu for­dern? Ist es akzep­ta­bel, dass Pen­si­ons­fonds eine Put-Opti­on der öffent­li­chen Hand hal­ten und in absicht­lich intrans­pa­ren­te Invest­ments wie Hedge Fonds oder Pri­va­te Equi­ty inves­tie­ren? Soll­ten letz­te­re dann nicht ihre finan­zi­el­len Risi­ken offen­le­gen müs­sen? Eini­ge weni­ge Res­sour­cen für die Plat­zie­rung sol­cher The­men in der öffent­li­chen Debat­te könn­te die Wett­be­werbs­be­din­gun­gen der klei­nen Ban­ken rela­tiv zum Kapi­tal­markt deut­lich ver­bes­sern. War­um tun die klei­nen Ban­ken es nicht?

Oder neh­men Sie als drit­tes Bei­spiel die abneh­men­de Bar­geld­nut­zung. Mit den Gefah­ren wei­te­rer Macht­kon­zen­tra­ti­on im Zah­lungs­sys­tem bei dro­hen­der, fak­ti­scher Abschaf­fung des Bar­gelds möch­te ich an die­ser Stel­le gar nicht anfan­gen. Es reicht schon, dass die abneh­men­de Bar­geld­nut­zung die Geld­au­to­ma­ten-Infra­struk­tur ent­wer­tet. Und die­se Infra­struk­tur ist im wesent­li­chen Teil des Betriebs­ver­mö­gens der klei­nen Ban­ken. Viel­leicht sind sie gar nicht böse dar­um, die­se Infra­struk­tur schritt­wei­se abzu­wi­ckeln. Aber sie soll­ten dar­über bestürzt sein! Denn die­se Infra­struk­tur ist der sicht­bars­te Unter­schied zu einer Bank im Han­dy-App-For­mat. Eine Bank von einem Big-Tech-Unter­neh­men wird nie­mals anfan­gen, auf dem Land Geld­au­to­ma­ten zu betrei­ben. War­um also för­dern klei­ne Ban­ken nicht die Bargeldnutzung?

  • Was ist ein Regio­nal­fonds und wel­chen Bei­trag könn­ten die­se für die Wirt­schafts- und Regio­nal­ent­wick­lung spie­len – haben Sie da Beispiele?

Regio­nal­fonds gibt es mei­nes Wis­sens noch nicht. Aber schau­en Sie, wer dort inves­tie­ren wür­de: Bür­ger und klei­ne­re bis mit­tel­gro­ße insti­tu­tio­nel­le Inves­to­ren, die in der Regi­on behei­ma­tet sind. Die­se sind die natür­li­chen, an bei­der­seits fai­ren Kon­di­tio­nen, lang­fris­tig ori­en­tier­ten Inves­to­ren für die hei­mi­sche Infra­struk­tur und den Mit­tel­stand. Der­zeit gibt es vor allem Bür­ger­be­tei­li­gun­gen, oder bes­ser gesagt: Bür­ger­in­vest­ments. Die Bür­ger dür­fen per Crowd­fun­ding oder Ähn­li­chem in Nach­rang­dar­le­hen für Ein­zel­pro­jek­te inves­tie­ren, aber Mit­spra­che erhal­ten sie kei­ne. Wenn zahl­rei­che die­ser Bür­ger­be­tei­li­gun­gen in einem Fonds gebün­delt wür­den, und ech­te Mit­spra­che durch die Bür­ger über einen der­ar­ti­gen Fonds mög­lich wür­de, dann wären wir einen erheb­li­chen Schritt wei­ter. Das sind Stand heu­te alles nur Ideen, deren prak­ti­sche Umset­zung selbst­ver­ständ­lich nicht ein­fach ist. Haf­tungs­fra­gen, Ver­brau­cher­schutz, oder die geeig­ne­te Art und der Umfang der Mit­spra­che­rech­te, das sind The­men für ein gan­zes Team erfah­re­ner Exper­ten. Aber die Idee als Richt­schnur ist da, es wird mög­lich sein!

  • Wie kön­nen sich Kun­din­nen und Kun­den, Ver­ei­ne, Kom­mu­nen oder Unter­neh­men einbringen?

Fra­gen Sie bei Ihrer loka­len Bank immer wie­der ein­mal nach, ob Sie als Kun­de statt in ein ETF auf einen Bör­sen­in­dex auch regio­nal in Infra­struk­tur oder Mit­tel­ständ­ler inves­tie­ren kön­nen, mög­lichst in Gestalt eines Fonds, damit Sie eine gewis­se Diver­si­fi­ka­ti­on errei­chen. Über die Zeit wer­den die loka­len Ban­ken sich bewe­gen. Ori­en­tie­ren Sie sich an bekann­ten Vor­bil­dern. Die Stadt Mün­chen finan­zier­te in Tei­len Woh­nungs­pro­jek­te, indem sie eine Anlei­he an die Bür­ger ver­kauf­te, die an der Bör­se Mün­chen gehan­delt wird. Die Spar­kas­se Baden-Baden Gag­ge­nau finan­zier­te die Über­da­chung eines Park & Ride-Park­plat­zes mit Solar­pa­nels durch Ver­kauf von Spar­kas­sen­brie­fen an ihre Kun­den. Viel­leicht lie­fern sol­che Pro­jek­te Inspi­ra­ti­on für Pro­jek­te vor der eige­nen Haustür.

  • Die Dezen­tra­li­sie­rung des Finanz­sys­tems ist spä­tes­tens seit dem Auf­tau­chen von Bit­co­in ein The­ma – gibt es da Gemein­sam­kei­ten mit der Regio­na­li­sie­rung – wo lie­gen die Unterschiede?

Regio­na­li­sie­rung arbei­tet mit den Ele­men­ten des fak­tisch exis­tie­ren­den Finanz­sys­tems und modi­fi­ziert die­se ein klein wenig. Wir ver­ste­hen mit unse­rem vor­han­de­nen Wis­sen ohne wei­te­res, wie ein stär­ker regio­na­li­sier­tes Finanz­sys­tem gema­na­ged und sta­bil gehal­ten wird. Regio­na­li­sie­rung braucht kei­ne grund­sätz­lich neu­en Rechts­for­men, Infra­struk­tur oder sons­ti­ge Tech­ni­ken. In die­sem Sin­ne kön­nen Sie mit Regio­na­li­sie­rung ein­fach anfan­gen, es ist kon­zep­tio­nell ein­fach, und wer soll­te etwas dage­gen haben, regio­na­le Struk­tu­ren zu stär­ken? Ver­glei­chen Sie das mit der Bit­co­in-Bewe­gung: Der Ener­gie­be­darf ist enorm. Die tech­ni­sche Umset­zung – den­ken Sie an die Ein­rich­tung einer Wal­let – ist für Nicht-Exper­ten nicht gera­de all­tags­taug­lich. Und der Bit­co­in will eine eige­ne Wäh­rung sein. Eine Wäh­rung! Mit allem, was an Wäh­rungs­ma­nage­ment, also Geld­po­li­tik, hin­ten dran­hängt bzw. von den Bit­co­in-Befür­wor­ten gele­gent­lich als irrele­vant negiert wird. Das wird in der Pra­xis nie etwas, glau­be ich, und es ist auch nicht not­wen­dig. Es reicht, die vor­han­de­nen Finanz­struk­tu­ren mög­lichst eng an die davon betrof­fe­nen Bür­ger anzu­bin­den. In der Kon­se­quenz hät­ten wir eine ande­re Welt.

  • Ist die Ein­füh­rung der Kapi­tal­markt­uni­on für die Regio­na­li­sie­rung des Finanz­mark­tes eher posi­tiv oder negativ?

Die Kapi­tal­markt­uni­on stärkt expli­zit glo­ba­le bzw. in die­sem Fall euro­pa­wei­te Finanz­struk­tu­ren. Das ist ein rela­ti­ver Nach­teil für klei­ne Ban­ken, die der ein­zi­ge Reprä­sen­tant für regio­na­le Finanz­struk­tu­ren sind. Die eben­falls geplan­te Ban­ken­uni­on in Euro­pa beschä­digt Spar­kas­sen und Volks­ban­ken sogar so sehr, dass ihre Inter­es­sens­ver­bän­de dage­gen Sturm lau­fen, spe­zi­ell beim The­ma der Ein­la­gen­si­che­rungs­sys­te­me. In die­sem Sin­ne ist die Kapi­tal­markt­uni­on plus Ban­ken­uni­on für regio­na­le Struk­tu­ren äußerst nach­tei­lig. Ins­ge­samt hal­te ich die Ein­füh­rung der Kapi­tal­markt­uni­on für eine schlech­te Idee. Las­sen Sie mich das kurz begrün­den. Schau­en Sie allein, was die Befür­wor­ter der Kapi­tal­markt­uni­on alles an posi­ti­ven Effek­ten in Aus­sicht stel­len: ein sta­bi­le­res Finanz­sys­tem und höhe­re Diver­si­fi­ka­ti­on, ein fai­rer Zugang zum Finanz­sys­tem für alle, ein bes­se­rer Kre­dit­zu­gang für klei­ne und mit­tel­stän­di­sche Unter­neh­men, güns­ti­ge Kre­di­te für Infra­struk­tur und Start-Ups im Bereich der Digi­ta­li­sie­rung oder Bio-Tech­no­lo­gie, und eine Lösung der Ren­ten­kri­se. Gehen Sie die­se lan­ge Lis­te ein­zeln durch. Bei Tages­licht bese­hen trägt mei­nes Erach­tens kein ein­zi­ges die­ser Argu­men­te. Die Kapi­tal­markt­uni­on wird – glau­be ich – kein ein­zi­ges die­ser Ver­spre­chen ein­hal­ten, aber die­se Erkennt­nis wird etli­che Jah­re brau­chen. Spä­tes­tens dann wer­den die Bür­ger den Wert regio­na­ler Finanz­struk­tu­ren erken­nen. Die über­zo­ge­nen Ver­spre­chun­gen und die fak­ti­schen Wider­sprü­che in der Kapi­tal­markt­uni­on wer­den der Idee glo­ba­ler Finanz­struk­tu­ren lang­fris­tig einen Bären­dienst erwei­sen. Es wäre nur gut, wenn wir auf die­se Erkennt­nis nicht 20 Jah­re war­ten müssten.

  • Wie kön­nen sich regio­na­le und glo­ba­le Finanz­märk­te ergän­zen – oder sind das sich aus­schlie­ßen­de Gegensätze?

Die Fra­ge ist zu groß, um sie in einem Inter­view befrie­di­gend zu beant­wor­ten. Und tat­säch­lich habe ich noch kei­ne gute Ant­wort. Denn die kon­ven­tio­nel­le Risi­ko & Ren­di­te- Sicht­wei­se der Finanz­wirt­schaft hilft uns an die­ser Stel­le wenig wei­ter. Zu viel Ego­is­mus, zu viel Mate­ria­lis­mus. Mit so ein­sei­ti­gen Kon­zep­ten kom­men wir einer lebens­wer­ten Gesell­schafts- oder Finanz­sys­tem­ver­fas­sung schwer­lich näher.

Jedoch wäre es ein gutes Etap­pen­ziel, inner­halb einer Regi­on Finanz­struk­tu­ren zu eta­blie­ren, die für alle Men­schen Win-Win-Situa­tio­nen schaf­fen. Sol­che Situa­tio­nen kom­men bereits gele­gent­lich vor. Etwa wenn eine loka­le Bank auf Gewin­ne teil­wei­se ver­zich­tet und einen sehr freund­li­chen Kre­dit an ihre Kun­den ver­gibt, damit sie die Hoch­was­ser­schä­den an ihren Häu­sern repa­rie­ren kön­nen. Den Bür­gern ist gehol­fen, und die loka­le Bank „inves­tiert“ in die lang­fris­ti­ge Sol­venz ihrer Kund­schaft. Was es noch nicht gibt ist, dass Bür­ger und in einer Regi­on behei­ma­te­te insti­tu­tio­nel­le Inves­to­ren einen Invest­ment­fonds finan­zie­ren, der wie­der­um Pro­jek­te zum Nut­zen und Gewinn aller in der Regi­on rea­li­siert. Wir müs­sen erst erle­ben, dass sol­che Struk­tu­ren funk­tio­nie­ren und sich wirt­schaft­lich tra­gen. Da ist mehr als genug zu tun.

Wenn irgend­wann die­nen­de, regio­na­le Finanz­struk­tu­ren eta­bliert sind, müs­sen wir durch Ver­such und Irr­tum her­aus­be­kom­men, wie Finanz­struk­tu­ren bei zwei betei­lig­ten Regio­nen mit­ein­an­der Win-Win-Situa­tio­nen schaf­fen kön­nen. Und dann immer wei­ter über Natio­nen hin zu Länderblöcken.

Ich kann Ihnen noch nicht sagen, wie das aus­se­hen könn­te. Ich kann Ihnen nur Prin­zi­pi­en jen­seits von Risi­ko und Ren­di­te nen­nen, die mir bei mei­nem eige­nen Den­ken gute Diens­te leis­ten. Das Frei­heits­prin­zip: Jeder soll frei sein zu tun was er möch­te, solan­ge er das Recht des ande­ren auf das glei­che nicht ver­letzt. Das Gemein­schafts­prin­zip: Wir Men­schen haben das Recht und die Pflicht, eine Form der Gemein­schaft zu bil­den, die jedem Ein­zel­nen mög­lichst gute Ent­wick­lungs­be­din­gun­gen bereit­stellt. Denn wir Men­schen brau­chen die Gemein­schaft zum Leben und um uns posi­tiv zu ent­wi­ckeln, und die Frei­heit, dies auf indi­vi­du­el­le Wei­se zu tun. Schließ­lich ein drit­tes Prin­zip, nen­nen wir es das „Im Klei­nen wie im Großen“-Prinzip. Gesell­schaft­li­che Vor­gän­ge sind meist sehr abs­trakt, und es hilft, sie auf das eige­ne Leben her­un­ter­zu­bre­chen, um kla­rer zu sehen. Hier ist ein Anwen­dungs­bei­spiel: Ange­nom­men, ich nöti­ge mei­nem Nach­barn 20000 EUR als Kre­dit auf, damit er end­lich sein Haus neu strei­chen lässt obwohl er das gar nicht vor hat­te. Spä­ter kommt der Nach­bar dadurch in Bedräng­nis und lan­det fast unter der Brü­cke. Und Sie selbst, weil Sie die 20000 EUR drin­gend wie­der brau­chen, eben­so. Sie wer­den abwin­ken, dass es so etwas nicht gibt. Stimmt. Außer, dass das euro­päi­sche Ban­ken­sys­tem bis 2008 ganz maß­geb­lich einen US-Immo­bi­li­en­boom finan­ziert hat, der anschlie­ßend US-Ban­ken und euro­päi­sche Ban­ken bei­na­he rui­niert hät­te. Und es gibt gut publi­zier­te For­schungs­er­geb­nis­se, die Indi­zi­en lie­fern, dass anla­ge­su­chen­des Geld kau­sal ursäch­lich für die Immo­bi­li­en­bla­se war.

Und nun suchen wir gemein­sam mit einem gie­ri­gen Mate­ria­lis­ten – unse­rem Finanz­sys­tem – nach Wegen, wie es bes­ser geht. Machen Sie mit!