Von Ralf Keuper

Wie kaum eine ande­re sozi­al­wis­sen­schaft­li­che Theo­rie ist die Sys­tem­theo­rie dazu geeig­net, die Ver­än­de­run­gen durch die fort­schrei­ten­de Digi­ta­li­sie­rung in Wirt­schaft und Gesell­schaft transparent(er) zu machen. Einen ers­ten Ver­such dazu unter­nimmt Dirk Bae­cker, Schü­ler und lang­jäh­ri­ger Mit­ar­bei­ter von Niklas Luh­mann, in Aus­gangs­punk­te einer Theo­rie der Digi­ta­li­sie­rung.

Als zen­tra­le Annah­me bzw. Hypo­the­se wählt Bae­cker in Anleh­nung an Luhmann:

Pro­ble­me der Digi­ta­li­sie­rung ent­ste­hen dar­aus, dass elek­tro­ni­sche Medi­en der Gesell­schaft an der Schnitt­stel­le von Mensch und Maschi­ne einen Über­schuss­sinn bereit­stel­len, auf des­sen Bear­bei­tung bis­he­ri­ge For­men der Gesell­schaft struk­tu­rell und kul­tu­rell nicht vor­be­rei­tet sind.

Das deckt sich weit­ge­hend mit der auf die­sem Blog ver­tre­te­nen Mei­nung, dass der Medi­en­wan­del die eigent­li­che Her­aus­for­de­run­gen im Ban­king ist. Die Ban­ken­bran­che ist auf den “Über­schuss­sinn” nicht vor­be­rei­tet, wes­halb sie ver­ständ­li­cher­wei­se bis jetzt dar­auf kei­ne Ant­wort hat fin­den können.

Bae­cker schreibt weiter:

Jedes in der Evo­lu­ti­on der Gesell­schaft neu auf­tre­ten­de Ver­brei­tungs­me­di­um der Gesell­schaft attra­hiert neue Mög­lich­kei­ten der Kom­mu­ni­ka­ti­on, das heißt des Errei­chens und Ver­ste­hens neu­er Krei­se von Adres­sa­ten, und bedroht damit die bis­he­ri­ge Struk­tur und Kul­tur, die bis­he­ri­gen Insti­tu­tio­nen, Kon­ven­tio­nen und Rou­ti­nen, die auf die Moda­li­tä­ten der älte­ren Ver­brei­tungs­me­di­en ein­ge­stellt sind

Hier lässt sich der Bogen zu Berger/​Luckmann und ihrem Modell der gesell­schaft­li­chen Kon­struk­ti­on der Wirk­lich­keit schla­gen, das auch für das Ban­king eini­ge wich­ti­ge Aus­sa­gen lie­fert, wie in

Bae­cker bringt das Dilem­ma (nicht nur) der Ban­ken auf den Punkt, wenn er schreibt:

Wir haben es mit einer prin­zi­pi­el­len und extre­men Gleich­zei­tig­keit des Ungleich­zei­ti­gen zu tun. Ver­mut­lich ist selbst die mensch­li­che Kon­sti­tu­ti­on allen­falls schräg in die­se Ungleich­zei­tig­keit ein­ge­las­sen. Wäh­rend unse­re prak­ti­sche Intel­li­genz sich rela­tiv rasch auf die neu­en Ver­hält­nis­se der je aktu­el­len Medi­en­epo­che ein­lässt, den­ken wir in den Begrif­fen der vor­he­ri­gen und füh­len wir in den Kon­zep­ten und Per­zep­ten (Deleu­ze 1993, S. 197ff.) der vor­vor­he­ri­gen Epoche.

Die Ban­ken, aber auch Fin­Tech-Start­ups, bewe­gen sich in ihrer Mehr­zahl noch in der Welt von Ges­tern, wäh­rend sich drau­ßen neue Koali­tio­nen bil­den, die die neu­en tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten sowie die Chan­cen der ver­än­der­ten Medi­en­nut­zung der Men­schen für sich zu nut­zen wis­sen. Es bräuch­te schon eine Art “Kul­tur­re­vo­lu­ti­on” in den Ban­ken, um den vor­herr­schen­den Modus, die still­schwei­gen­de Über­ein­kunft des­sen, was man für sein Geschäft und die Rea­li­tät hält, tief­grei­fend zu verändern.

Die Evo­lu­ti­on war­tet nicht. So viel ist sicher.

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