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Der Vor­stoß des hes­si­schen Finanz­platz­ka­bi­netts unter Boris Rhein zeigt, wie stark Frank­furt sich ins Ram­pen­licht stel­len will. Doch die Annah­me, dass Deutsch­land über­haupt ein kon­ti­nen­ta­les Finanz­zen­trum nach dem Modell Lon­dons oder Luxem­burgs benö­tigt, ist frag­wür­dig[1]Ban­ken­stand­ort Frank­furt: „Eine his­to­ri­sche Chan­ce für den Finanz­platz“. Die deut­sche Wirt­schaft lebt von ihrer dezen­tra­len Struk­tur und einem ver­gleichs­wei­se begrenz­ten Finanz­sek­tor – nicht von der Domi­nanz einer ein­zel­nen Metropole.


Was das Finanz­platz­ka­bi­nett vorschlägt

Das von Minis­ter­prä­si­dent Boris Rhein initi­ier­te hes­si­sche Finanz­platz­ka­bi­nett hat ein gan­zes Bün­del an Maß­nah­men vor­ge­stellt, um die Attrak­ti­vi­tät Frank­furts zu stei­gern. Dazu gehören:

  • Signal­po­li­tik nach außen: Bün­de­lung von Spit­zen­po­li­tik, Ban­ken­auf­sicht, Bran­chen­ver­tre­tern, Deut­sche Bör­se und inter­na­tio­na­len Play­ern, um Frank­furt als Finanz­dreh­schei­be sicht­bar zu machen.
  • Tech­no­lo­gie­ori­en­tie­rung: Auf­bau von Öko­sys­te­men rund um Start-ups und Quan­ten­com­pu­ting, um Frank­furt auch als Inno­va­ti­ons­stand­ort zu profilieren.
  • Talen­te gewin­nen: Mehr eng­lisch­spra­chi­ge Kom­mu­ni­ka­ti­on im öffent­li­chen Raum, steu­er­li­che Ver­ein­fa­chun­gen für Fach­kräf­te und eine akti­ve­re Willkommenskultur.
  • Finanz­bil­dung und Wei­ter­bil­dung: Eine App für Schu­len, Pro­gram­me für Risi­ko­ma­nage­ment und Regu­la­to­rik – mit Blick auf einen lang­fris­ti­gen „Human Capi­tal Advantage“.

Kurz­um: Frank­furt soll nicht nur Ban­ken­stand­ort blei­ben, son­dern sich brei­ter auf­stel­len und inter­na­tio­na­ler wirken.

Frank­furt als über­schätz­ter Hoffnungsträger

Es war für vie­le eine Über­ra­schung, dass am Finanz­platz Frank­furt trotz Brexit unterm Strich Arbeits­plät­ze ver­lo­ren gin­gen[2]Finanz­platz Frank­furt ver­liert unterm Strich Arbeits­plät­ze – trotz Brexit. War­um das kei­ne Über­ra­schung ist[3]Finanz­platz Frank­furt als Pro­fi­teur des Brexit?[4]Sind die kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­schen Fin­tech-Stand­or­te Pro­fi­teu­re des Brexit?. Die Ent­wick­lung war jedoch seit Jah­ren abseh­bar. Schon 2016 wur­den hier erheb­li­che Zwei­fel ange­mel­det, dass Frank­furt auto­ma­tisch zu den Pro­fi­teu­ren des bri­ti­schen EU-Aus­tritts zäh­len wür­de. 2019 muss­ten selbst die opti­mis­ti­schen Pro­gno­sen deut­lich zurück­ge­nom­men wer­den: Statt von 10.000 neu­en Jobs war nur noch von 3.500 die Rede – und auch die­se Zahl hat sich als zu hoch erwiesen.

Das dama­li­ge Fazit lau­te­te bereits:

Den Schwund an Arbeits­plät­zen in der Finanz­bran­che in Frank­furt wird der Brexit-Effekt aller Vor­aus­sicht nach nicht auffangen.

Ein nüch­ter­ner Blick in die Wirt­schafts­ge­schich­te hät­te genügt, um die­se Ent­wick­lung vor­her­zu­se­hen. Rou­ti­ne­tä­tig­kei­ten mögen zwar nach Frank­furt oder Paris ver­la­gert wer­den, wie die Stadt­for­sche­rin Saskia Sas­sen betont hat. Doch gera­de die­se Tätig­kei­ten las­sen sich beson­ders leicht auto­ma­ti­sie­ren und weg­ra­tio­na­li­sie­ren. Hoch­kom­ple­xe Finanz­ak­ti­vi­tä­ten dage­gen, Lon­dons eigent­li­che Stär­ke, blie­ben weit­ge­hend dort.

Ein deut­scher Sonderweg

Die Illu­si­on vom gro­ßen „Brexit-Bonus“ für Frank­furt ver­deut­licht, war­um die Vor­stel­lung eines euro­päi­schen Super-Finanz­zen­trums am Main fehl­geht. Der Finanz­sek­tor hat in Deutsch­land nie die­sel­be Bedeu­tung gehabt wie in Luxem­burg oder Groß­bri­tan­ni­en. Viel­mehr ist die Ban­ken­land­schaft dezen­tral und föde­ral orga­ni­siert: Spar­kas­sen, Genos­sen­schafts­ban­ken und Lan­des­ban­ken bil­den das Rück­grat der Finan­zie­rung des Mittelstands.

Die­ses Modell sorgt für Sta­bi­li­tät und regio­na­le Ver­an­ke­rung, ohne die Risi­ken einer über­hitz­ten Finanz­me­tro­po­le. Frank­furt ist zwei­fel­los ein wich­ti­ges Schar­nier – mit EZB, Bun­des­bank und Deut­sche Bör­se. Aber dar­aus ein natio­na­les Pro­jekt „Num­mer eins in Euro­pa“ zu machen, wider­spricht dem deut­schen Wirt­schafts­mo­dell, das auf indus­tri­el­ler Wert­schöp­fung und ver­teil­ten Finanz­struk­tu­ren basiert.

Begrenz­te Mög­lich­kei­ten der Landespolitik

Hin­zu kommt: Selbst wenn man die The­se ernst näh­me, Frank­furt müs­se „füh­rend“ wer­den, stün­den der hes­si­schen Lan­des­re­gie­rung dafür nur sehr ein­ge­schränk­te Mit­tel zur Verfügung.

  • Steu­er­recht und Kapi­tal­markt­re­gu­lie­rung wer­den in Ber­lin und Brüs­sel ent­schie­den, nicht in Wies­ba­den. Fra­gen wie Quel­len­steu­er, Anreiz­sys­te­me für Start-ups oder die Voll­endung der euro­päi­schen Kapi­tal­markt­uni­on lie­gen außer­halb des hes­si­schen Handlungsspielraums.
  • Arbeits­recht­li­che Rah­men­be­din­gun­gen wie fle­xi­ble Arbeits­zeit­mo­del­le sind eben­falls Bundeskompetenz.
  • Selbst bei Finanz­markt­auf­sicht sit­zen die zen­tra­len Akteu­re – BaFin, EZB, EBA – auf Bun­des- oder EU-Ebene.

Was bleibt, sind vor allem Stand­ort­maß­nah­men: Infra­struk­tur, Will­kom­mens­kul­tur, Bil­dungs­in­itia­ti­ven. Das mag sinn­voll sein, reicht aber nicht, um Frank­furt im glo­ba­len Wett­be­werb an Lon­don, Paris oder Zürich vorbeizuschieben.

Inso­fern über­höht das Finanz­platz­ka­bi­nett die eige­nen Mög­lich­kei­ten. Sym­bol­po­li­tik trifft hier auf struk­tu­rel­le Grenzen.

Sym­bo­lik und Realität

Das Finanz­platz­ka­bi­nett mag inter­na­tio­nal Talen­te und Inves­to­ren anspre­chen wol­len. Doch schon der Brexit hat gezeigt: Groß­spu­ri­ge Erwar­tun­gen lau­fen ins Lee­re, wenn sie nicht zur Struk­tur pas­sen. Lon­don bleibt, trotz poli­ti­scher Ver­wer­fun­gen, Magnet für kom­ple­xe Finanz­ge­schäf­te. Paris inves­tiert mas­siv. Luxem­burg pro­fi­tiert von sei­ner kla­ren steu­er­li­chen Spezialisierung.

Frank­furt dage­gen bleibt in einer Zwi­schen­po­si­ti­on: zu groß, um unbe­deu­tend zu sein, aber ohne die beson­de­ren Stär­ken, um ein euro­päi­sches Lon­don zu erset­zen. Die hes­si­sche Poli­tik kann dar­an mit gut gemein­ten Initia­ti­ven wenig ändern. Hin­zu kommt, dass die Deut­sche Bank und die Com­merz­bank nicht mehr zur inter­na­tio­na­len Éli­te zäh­len. Soll­te die Com­merz­bank von der UniCre­dit kom­plett über­nom­men wer­den, dann ist die Lage noch ungünstiger.

Fazit: Frank­furt ist nicht London

Die Rhe­to­rik der „Zei­ten­wen­de“ mag mobi­li­sie­ren, sie schafft aber auch fal­sche Erwar­tun­gen. Der Finanz­platz Frank­furt wird nicht das füh­ren­de Finanz­zen­trum Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pas. Er kann es auch nicht wer­den, weil Deutsch­land struk­tu­rell nicht auf einen über­do­mi­nan­ten Finanz­sek­tor gebaut ist.

Die eigent­li­che Stär­ke liegt im föde­ra­len Ban­ken­we­sen, in der Mit­tel­stands­fi­nan­zie­rung und in der indus­tri­el­len Basis der Wirt­schaft. Alles ande­re wäre nicht nur Wunsch­den­ken, son­dern auch ein Miss­ver­ständ­nis des­sen, was das deut­sche Modell stark gemacht hat.

Frank­furt ist nicht Lon­don – und das ist in gewis­ser Wei­se auch gut so.