Von Ralf Keuper
Die Banken stehen heute vor einem ähnlichen Problem, wie die Industrieunternehmen vor etwa 20 Jahren. Wie können die Produkte so an die Bedürfnisse der Kunden angepasst werden, ohne sich dabei eine Variantenvielfalt einzuhandeln, die mit den bestehenden Produktionsverfahren nicht mehr, jedenfalls nicht mehr kostendeckend, abgebildet werden kann? Kurzum: Wie lässt sich die Komplexitätsfalle umgehen?
Das Aufkommen der Fintech-Startups ist auch darauf zurückzuführen, dass die Banken dem Wunsch der Kunden nach mehr Personalisierung kaum noch nachkommen können. Allein das Tagesgeschäft mit der bestehenden und über Jahrzehnte gewachsenen IT-Landschaft stemmen zu können, bindet schon alle Kräfte; sich dann auch noch mit Applikationen zu beschäftigen, die Informationen in Echtzeit verarbeiten, sprengt schnell den Rahmen. FinTech-Startups decken diesen Bedarf bzw. schließen diese Lücke. Sie erhöhen die Bandbreite des Angebots. Insofern kann man Fintech-Startups als Fraktale bezeichnen.
Wie sollen die Banken nun ihre Prozesse und IT-Landschaften anpassen, um den wachsenden Ansprüchen der Kunden Herr zu werden? Wie lässt sich die Vielfalt der Anforderungen unter einen Hut bringen?
Hans-Jürgen Warnecke hat diese Gedanken bereits vor mehr als zwanzig Jahren in Die Fraktale Fabrik für Produktionsunternehmen durchgespielt:
In der Vielfalt, die durch das Bestreben entsteht, möglichst viele Kundenwünsche individuell zu erfüllen und auf diese Weise auch Marktanteile zu erhalten,
- wird Information und Kommunikation der Engpass,
- kann das Potential der Lern- und Erfahrungskurve nicht mehr voll ausgeschöpft werden,
- ist immer zusätzlicher Aufwand zu betreiben, der von wenigen Produkten zu tragen ist,
- müssen die Entwicklungs- und Fertigungsprozesse besser beherrscht werden
- ist “Zeit” ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor
Mit dem integrierenden Ansatz der Fraktalen Fabrik lässt sich für Warnecke die Vielfalt abbilden:
In einem dynamischen Prozess erkennen und formulieren die Fraktale ihre Ziele, sowie die internen und externen Beziehungen. Fraktale bilden sich um, entstehen neu und lösen sich auf.
- Das Zielsystem, das sich aus den Zielen der Fraktale ergibt, ist widerspruchsfrei und muss dazu dienen, die Unternehmensziele zu erreichen
- Fraktale sind über ein leistungsfähiges Informations- und Kommunikationssystem vernetzt. Sie bestimmen selbst Art und Umfang ihres Zugriff auf die Daten
- Die Leistung des Fraktals wird ständig gemessen und bewertet.
Die Verwirklichung der vorgenannten Prinzipien ist heute schwieriger denn je. Welche Bank, welches Unternehmen kann heute noch ein widerspruchsfreies Zielsystem festlegen? Dafür ist ein Unternehmen viel zu sehr von der Umwelt abhängig und gezwungen, das eigene Zielsystem dem anderer Akteure und an den Folgen externer Ereignisse anzupassen.
Heute bilden sich große digitale Plattformen, wie Amazon, Apple und Google, die versuchen, mehrere Disziplinen (Produktion, Software, Marketing, Logistik) zu beherrschen. Aber vielleicht lassen sich die großen digitalen Plattformen und Ökosysteme auch als Fraktale interpretieren. Sie decken jedenfalls eine große Vielfalt an Kundenwünschen ab.
Banken agieren dagegen in der Mehrzahl wie monolithische Blöcke, wie Inseln. Hinzu kommt, dass sie noch immer mechanistisch organisiert sind, d.h. Hierarchien und die strenge Einhaltung von Regeln und Verfahren bestimmen das Denken und Handeln, was gewiss auch der Regulierung geschuldet ist. Dennoch lässt sich mit diesem Modell die Zukunft kaum gewinnen. Ein Antwort ist die Bank als digitale Plattform, auf der sich mehrere Fraktale, entweder in Form eigener Abteilungen oder Fintech-Startups / RegTech-Startups, um die Herstellung der nötigen Bandbreite, um die Abdeckung der Vielfalt kümmern.
Banken sollten fraktaler werden.
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