Von Ralf Keuper

Das Schick­sal so ziem­lich jeder Revo­lu­ti­on ist es, dass sie von den Ver­hält­nis­sen, die sie über­win­den woll­te, irgend­wann ein­ge­holt wird. Fort­an über­neh­men die kon­ser­va­ti­ven Kräf­te die Füh­rung bis wie­der ein­mal der Zeit­punkt ein­tritt, an dem sich für Revo­lu­tio­nä­re oder New­co­mer die Gele­gen­heit bie­tet, die Unzu­frie­den­heit der Men­schen an den bestehen­den Struk­tu­ren für die Eta­blie­rung neu­er Geschäfts­mo­del­le zu nut­zen. Um so einen Fall han­delt es sich bei der sog. Fin­tech-Revo­lu­ti­on, die seit eini­gen Jah­ren im Ban­king für krea­ti­ve Unru­he sorgt. Mitt­ler­wei­le sind die ers­ten Abnut­zungs­er­schei­nun­gen nicht mehr zu über­se­hen. Die Revo­lu­tio­nä­re wer­den gesetz­ter, vie­le tre­ten von der Büh­ne ab, um erfah­re­ne­ren Kräf­ten das Ruder zu übergeben.

His­to­ri­scher Rück­blick: Die fran­zö­si­sche Revolution 

Kaum ein Autor hat das Wesen der fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on so tref­fend ana­ly­siert wie Alexis de Toc­que­ville in Der alte Staat und die Revo­lu­ti­on. Deren Pro­gramm fass­te er in die Worte:

Da die fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on nicht allein den Zweck hat­te, eine alte Regie­rung zu besei­ti­gen, son­dern auch die alte Form der Gesell­schaft abzu­schaf­fen, so muss­te sie gleich­zei­tig alle bestehen­den Gewal­ten angrei­fen, alle aner­kann­ten Ein­flüs­se ver­nich­ten, die Tra­di­tio­nen in Ver­ges­sen­heit brin­gen, die Sit­ten und Gebräu­che erneu­ern und den mensch­li­chen Geist gewis­ser­ma­ßen aller Ideen ent­le­di­gen, auf denen bis dahin Respekt und Gehor­sam geruht hatten.

Hin und wie­der hat man den Ein­druck, dass eini­ge Fin­tech-Revo­lu­tio­nä­re glau­ben, Anti-Ban­ken Rhe­to­rik wäre aus­rei­chend, um die Gesell­schaft davon zu über­zeu­gen, dass eine neue Zeit ange­bro­chen ist, in der Tra­di­ti­on und Über­lie­fe­rung kei­nen Platz mehr haben.

Vor­rei­ter P2P Lending 

Beson­ders deut­lich wer­den die Zer­falls­er­schei­nun­gen im P2P Len­ding. Die Zwei­fel an der Nach­hal­tig­keit des Geschäfts­mo­dells sind nicht nur wegen des spek­ta­ku­lä­ren Abgangs des Len­ding­Club Grün­ders Leplan­che in letz­ter Zeit deut­lich gewach­sen. In der neu­en Aus­ga­be des IBS Jour­nals heisst es in P2P Len­ding: Win­ners and losers:

This sec­tor has also been given a boost by anti-bank rhe­to­ric, much of which ori­gi­na­ted from the Fin­Tech indus­try its­elf, and was magni­fied by the media.

Es wäre aller­dings unge­recht, den Fin­tech-Start­ups vor­zu­wer­fen, sich der­sel­ben Mit­tel zu bedie­nen, wie die eta­blier­ten Ban­ken. Irgend­wann jedoch gera­ten auch die bes­te PR und das pro­fes­sio­nells­te Mar­ke­ting an ihre Grenzen.

Nut­zung und Fort­set­zung des Bestehenden 

Vie­le Fin­tech-Start­ups neh­men die Diens­te ande­rer Ban­ken, sog. White-Label – Ban­ken, wie der Wire­card Bank, in Anspruch. Auch sonst hat es die Fin­tech-Revo­lu­ti­on nicht ver­mocht, die bestehen­de Ban­ken­in­fra­struk­tur zu beset­zen oder zu erset­zen. Sie wird nach wie vor von den Ver­tre­tern der alten Ord­nung, den Ban­ken, reprä­sen­tiert. Erhält das Fin­tech-Start­up eine Bank­li­zenz, dann ändert sich an die­sem Befund wenig – ja die Abhän­gig­keit von dem bestehen­den Sys­tem wird noch ver­stärkt. Die Regu­lie­rung sorgt dafür, dass sich die Kos­ten- und Erlös­struk­tu­ren, und damit die Geschäfts­mo­del­le angleichen.

Nicht umsonst arbei­ten die Inter­net­kon­zer­ne inten­siv dar­an, sich so weit wie mög­lich unab­hän­gig von der Ban­ken­in­fra­struk­tur zu machen. Mitt­ler­wei­le ist es sogar so, dass die Ban­ken ohne Zugang zu den den sozia­len Netz­wer­ken und ohne Smart­phones ihre Kun­den nicht mehr in der gewohn­ten bzw. gewünsch­ten Wei­se errei­chen kön­nen. Über die­se Mög­lich­kei­ten ver­fü­gen die Fin­tech-Start­ups nicht. Sie kön­nen dem alten Sys­tem, das sie über­win­den woll­ten, nicht entkommen.

Inso­fern ver­wun­dert es nicht, wenn das ältes­te Fin­tech-Start­up der Welt, Fidor, von der fran­zö­si­schen Ban­ken­grup­pe BPCE über­nom­men wur­de. Es dürf­te wohl kaum der ursprüng­li­chen Ziel­set­zung von Fidor ent­spre­chen, Teil einer fran­zö­si­schen Groß­spar­kas­se mit über 100.000 Mit­ar­bei­tern und ca. 8.000 Filia­len zu werden.

Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren beein­flus­sen das Ver­hal­ten in hohem Maß

Mit der Anglei­chung der Geschäfts­mo­del­le geht über kurz oder lang auch die der Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren ein­her. Allei­ne die regu­la­to­ri­schen Bestim­mun­gen üben einen gro­ßen Ein­fluss auf die Auf­bau- und Ablauf­or­ga­ni­sa­ti­on der Ban­ken und Fin­tech-Start­ups aus. Die Orga­ni­sa­ti­ons­theo­rie, jeden­falls die von Alfred Kie­ser, geht davon aus, dass die Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren das Ver­hal­ten der Orga­ni­sa­ti­ons­mit­glie­der ent­schei­dend prä­gen. Das führt dann nicht sel­ten dazu, dass die spe­zi­el­le Fin­tech-Start­up – Kul­tur mit der Zeit ver­lo­ren geht.

Fazit

Die Fin­tech-Revo­lu­ti­on, sofern wir sie so nen­nen wol­len, frisst ihre Kin­der. Die Eupho­rie der Anfangs­zeit ist ver­flo­gen, Ernüch­te­rung beginnt sich breit zu machen. Statt Revo­lu­ti­on ist nun Koope­ra­ti­on das Gebot der Stunde.

In sei­nem lesens­wer­ten Bei­trag Die Mög­lich­keit der Revo­lu­ti­on in der Zeit­schrift Mer­kur, räumt Chris­toph Men­ke mit der weit ver­brei­te­ten Ansicht auf, dass auf eine Kri­se auto­ma­tisch eine Revo­lu­ti­on folgt. Zwar hat eine Revo­lu­ti­on ohne vor­aus­ge­gan­ge­ne Kri­se kaum eine Chan­ce; dar­aus den Schluss zu zie­hen, dass auf eine Kri­se, mag sie auch als noch so bedrü­ckend emp­fun­den wer­den, die Revo­lu­ti­on auf dem Fuße folgt, ist überzogen:

Die Revo­lu­ti­on ist nicht die Lösung irgend­ei­ner Kri­se. Sie ist nichts ande­res als der Neu­an­fang einer Geschich­te, in der es Neu­an­fän­ge gibt. Die Revo­lu­ti­on fängt das Anfan­gen an.

Auch die Finanz­kri­se hat nicht oder noch nicht zu einer Revo­lu­ti­on im Ban­king geführt. Wohl aber, und das ist kei­ne gerin­ge Leis­tung, zu einem Neu­an­fang, ja viel­leicht sogar zu einer ande­ren Seins­wei­se. Oder wie Men­ke schreibt:

Die Revo­lu­ti­on ist eine onto­lo­gi­sche Tat. Sie ver­än­dert nicht nur, was die Din­ge sind, son­dern wie sie sind: ihre Seinsweise.

Den Fin­tech-Start­ups kommt das Ver­dienst zu, einen Neu­an­fang und eine onto­lo­gi­sche Tat – wenigs­tens – ver­sucht zu haben. Gut mög­lich, dass von ihnen eine Serie wei­te­rer Neun­an­fän­ge ausgeht.

Das ist dann aber die Auf­ga­be kom­men­der Gene­ra­tio­nen (Eine Gene­ra­ti­on ent­spricht im vor­lie­gen­den Kon­text nur weni­ge Jahre).

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