Von Ralf Keuper

Bei der Raiff­ei­sen-Schweiz, der dritt­größ­ten Ban­ken­grup­pe des Lan­des, herrscht seit Mona­ten Cha­os. Im Zen­trum steht dabei der lang­jäh­ri­ge Vor­stands­chef (CEO) Pie­rin Vin­cenz. Über die Jah­re hat Vin­cenz, wie der renom­mier­te Schwei­zer Finanz­jour­na­list und Blog­ger (Insi­de Para­de­platz) Lukas Häs­sig in Das Sys­tem Vin­cenz schreibt, eine Günst­lings­wirt­schaft aus Poli­ti­kern, Jour­na­lis­ten und ein­fluss­rei­chen Akteu­ren aus der Wirt­schaft geschaf­fen, die für die Bank zu einem beacht­li­chen Repu­ta­ti­ons­scha­den geführt hat. Häs­sig führt die ver­schie­de­nen Fäden chro­no­lo­gisch zusam­men. Damit  erschlie­ßen sich erst m.E. die zwei Gra­fi­ken, die Watson.ch vor eini­gen Tagen publi­zier­te, um das Cha­os zu veranschaulichen.

Häs­sig geht davon, dass die Ereig­nis­se bei der Raiff­ei­sen-Schweiz zu einer Struk­tur­de­bat­te füh­ren wer­den. Obwohl von den Sta­tu­ten her dezen­tral orga­ni­siert, ist es bei der Raiff­ei­sen-Schweiz unter Vin­cenz zu einer Macht­kon­zen­tra­ti­on in der Zen­tra­le in St. Gal­len gekom­men. Die Regio­nal­chefs wur­den kaum in die Ent­schei­dungs­fin­dung ein­ge­bun­den. Häs­sig nennt als posi­ti­ves Vor­bild die Rabo­bank in den Nie­der­lan­den, die vor eini­gen Jah­ren vor ähn­li­chen Pro­ble­men stand wie die Raiff­ei­sen-Schweiz. Dort habe man alle regio­na­len Genos­sen­schaf­ten mit der Zen­tra­le zusam­men­ge­legt und gleich­zei­tig die Regio­nal­chefs in die Zen­tra­le geholt, die bei den Ent­schei­dun­gen ein gewich­ti­ges Wort mit­zu­re­den haben.

Ein Prin­zip, das bereits Lud­wig XIV in ähn­li­cher Form anwand­te, als er den Adel dazu ver­pflich­te­te, sich stän­dig in der Nähe des Königs in Ver­sailles auf­zu­hal­ten. Auf die­se Wei­se konn­te er poten­zi­el­le Wider­sa­cher bes­ser im Auge behal­ten. Zudem war das höfi­sche Ritu­al so aus­ge­legt, dass es den Adel in ein enges Kor­sett schnür­te, wie es der Kul­tur­so­zio­lo­ge Nor­bert Eli­as in sei­nem Buch Die höfi­sche Gesell­schaft beschrieb, wobei er nicht ver­gaß, den Bezug zu unse­rer Zeit herzustellen:

Trotz des for­ma­len, auf schrift­li­chen Ver­trä­gen und schrft­li­chen Unter­la­gen augebau­ten Orga­ni­sa­ti­ons­rah­mens, der in der Staats­or­ga­ni­sa­ti­on Lud­wig XIV vor­erst noch rudi­men­tär und nur stel­len­wei­se ent­wi­ckelt war, gibt es auch in vie­len Groß­or­ga­ni­sa­tio­nen unse­rer Tage, selbst in indus­tri­el­len und kom­mer­zi­el­len Groß­or­ga­ni­sa­tio­nen, Sta­tus­ri­va­li­tä­ten, Schwan­kun­gen des Span­nungs­gleich­ge­wichts zwi­schen Teil­grup­pen, Aus­nut­zung inter­ner Riva­li­tä­ten durch Über­ge­ord­ne­te und man­che ande­re Erschei­nun­gen, die bei der Unter­su­chung der höfi­schen Ver­flech­tun­gen ins Blick­feld tra­ten. Aber da die Haupt­re­ge­lung der mensch­li­chen Bezie­hun­gen in Groß­or­ga­ni­sa­tio­nen for­mal in höchst umper­sön­li­cher Art fest­ge­legt ist, haben sol­che Erschei­nun­gen heu­te gewöhn­lich einen mehr oder weni­ger inof­fi­zi­el­len oder infor­ma­len Cha­rak­ter. Man fin­det dem­entspre­chend in der höfi­schen Gesell­schaft noch ganz offen und in gro­ßem Maß­sta­be man­che Erschei­nun­gen, denen man heu­te oft weit ver­steck­ter und ver­deck­ter unter der Decke der hoch­bü­ro­kra­ti­sier­ten Orga­ni­sa­ti­on begeg­net (Quel­le: Die höfi­sche Gesell­schaft).

Sofern die Regio­nal­fürs­ten der Raiff­ei­sen-Schweiz von ihrem Mit­spra­che­recht kei­nen Gebrauch machen, wird auch das Rabo-Modell nicht die gewünsch­ten Effek­te zei­gen.  Wie konn­te es über­haupt dazu kom­men, dass eine nach dem genos­sen­schaft­li­chen Prin­zip orga­ni­sier­te Ban­ken­grup­pe die­se Anhäu­fung von Macht an einer Stel­le und bei einer – oder nur weni­gen Per­so­nen – zuge­las­sen hat? Was könn­te uns die genos­sen­schaft­li­che For­schung wie über­haupt die Orga­ni­sa­ti­ons­for­schung dazu sagen?

Han­delt es sich womög­lich um einen Fall von Mana­ge­ris­mus – um eine Mischung aus Selbst­über­schät­zung und einer Sucht nach media­ler Beachtung?

Soll­te man sich an Svens­ka Han­dels­ban­ken ori­en­tie­ren? (Vgl. dazu: New Ban­king: Svens­ka Han­dels­ban­kenBes­se­re Ban­ken – ohne Bonus).

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