Fer­di­nand Tön­nies (1855–1936) gilt als einer der Begrün­der der deut­schen Sozio­lo­gie und präg­te mit sei­nem Haupt­werk “Gemein­schaft und Gesell­schaft” (1887) die sozio­lo­gi­sche Theo­rie nach­hal­tig. Sei­ne zen­tra­len Begrif­fe und Kon­zep­te erwei­sen sich als über­ra­schend aktu­ell, wenn man sie auf moder­ne Phä­no­me­ne wie das Regio­nal­ban­king anwendet.

Die Grund­un­ter­schei­dung: Gemein­schaft ver­sus Gesellschaft

Tön­nies ent­wi­ckel­te zwei fun­da­men­ta­le Ide­al­ty­pen des sozia­len Zusam­men­le­bens, die unter­schied­li­che For­men mensch­li­cher Bezie­hun­gen beschreiben.

Die Gemein­schaft cha­rak­te­ri­siert sich durch emo­tio­na­le Nähe, Ver­trau­en und tra­di­tio­nel­le Ver­bun­den­heit. Hier ent­ste­hen Bezie­hun­gen aus einem inne­ren Antrieb her­aus – dem soge­nann­ten “Wesens­wil­len” –, der von einem natür­li­chen Bedürf­nis nach Zuge­hö­rig­keit und Zusam­men­halt getra­gen wird. Fami­lie, Dorf und tra­di­tio­nel­le Nach­bar­schaf­ten ver­kör­pern die­se Form des Zusam­men­le­bens, in der Tra­di­ti­on, Sit­te und Soli­da­ri­tät das Han­deln bestim­men und sozia­le Kon­trol­le durch direk­te, per­sön­li­che Ver­ant­wor­tung aus­ge­übt wird.

Die Gesell­schaft hin­ge­gen basiert auf Zweck­ra­tio­na­li­tät und indi­vi­du­el­len Inter­es­sen. Bezie­hun­gen wer­den hier “kür­wil­lent­lich” ein­ge­gan­gen – bewusst und inter­es­sen­ge­lei­tet. Staat, Markt und Groß­städ­te sind typi­sche Bei­spie­le für gesell­schaft­li­che Struk­tu­ren, in denen ratio­na­les Kal­kül und Nut­zen­ma­xi­mie­rung domi­nie­ren. Sozia­le Kon­trol­le erfolgt durch for­ma­le Mecha­nis­men wie Geset­ze, Ver­trä­ge und büro­kra­ti­sche Strukturen.

Regio­nal­ban­king als Syn­the­se von Gemein­schaft und Gesellschaft

Spar­kas­sen und Volks­ban­ken ver­kör­pern in bemer­kens­wer­ter Wei­se eine Syn­the­se aus Tön­nies’ bei­den Ide­al­ty­pen. Sie ver­ei­nen gemein­schaft­li­che Ele­men­te mit gesell­schaft­li­chen Struk­tu­ren und schaf­fen dadurch eine beson­de­re Form des Wirt­schaf­tens, die sowohl emo­tio­nal als auch ratio­nal funktioniert.

Die gemein­schaft­li­chen Aspek­te zei­gen sich in der tie­fen regio­na­len Ver­wur­ze­lung die­ser Ban­ken. Sie pfle­gen per­sön­li­che, oft lang­jäh­ri­ge Kun­den­be­zie­hun­gen, die auf gegen­sei­ti­gem Ver­trau­en basie­ren. Ihre Hand­lungs­grund­la­ge ver­bin­det regio­na­le Tra­di­tio­nen und Soli­da­ri­tät mit wirt­schaft­li­cher Ver­nunft. Die emo­tio­na­le Kom­po­nen­te ist stark aus­ge­prägt, da sich die­se Ban­ken als inte­gra­ler Bestand­teil ihrer Gemein­schaft ver­ste­hen und ent­spre­chend wahr­ge­nom­men werden.