Von Ralf Keuper

Im Jahr 1884 schrieb der bri­ti­sche Diplo­mat Spen­ser St. John über Hai­ti: “Kein Land ver­fügt über grö­ße­re Fähig­kei­ten, eine bes­se­re geo­gra­fi­sche Lage oder eine grö­ße­re Viel­falt an Boden, Kli­ma oder Pro­duk­ti­on.” Hai­ti war zudem die ers­te moder­ne Nati­on, die nach einem Skla­ven­auf­stand ihre Unab­hän­gig­keit erlang­te. Und den­noch zählt Hai­ti bis heu­te zu den ärms­ten Län­dern der Welt. Eine nicht unwe­sent­li­che Rol­le spiel­ten dabei die fran­zö­si­sche Geschäfts­bank Cré­dit Indus­tri­el et Com­mer­cial und die von ihr gegrün­de­te Hai­tia­ni­sche Natio­nal­bank. Ihre Kern­auf­ga­be bestand dar­in, das Geld aus Hai­ti nach Frank­reich zu len­ken, wo es in die Taschen ver­mö­gen­der Pri­vat­in­ves­to­ren gelang­te. Spä­ter wur­den die Fran­zo­sen von den Ame­ri­ka­nern abge­löst. Die Mise­re stet­ze sich fort; die Kon­se­quen­zen sind bis heu­te zu spüren.

In How a French Bank Cap­tu­red Hai­ti schil­dern Matt Apuz­zo, Con­stant Méheut, Selam Gebre­ki­dan und Cathe­ri­ne Por­ter von der New York Times wie ein gan­zes Land im Wür­ge­griff gehal­ten wur­de. Die Times sich­te­te Tex­te aus dem 19. Jahr­hun­dert, diplo­ma­ti­sche Auf­zeich­nun­gen und Bank­do­ku­men­te, die sel­ten, wenn über­haupt, von His­to­ri­kern unter­sucht wor­den sind. Die Doku­men­te machen deut­lich, dass der Cré­dit Indus­tri­el, der mit kor­rup­ten Mit­glie­dern der hai­tia­ni­schen Éli­te zusam­men­ar­bei­te­te, dem Land kaum etwas für den Betrieb, geschwei­ge denn für den Auf­bau einer Nati­on übrig ließ. Die von Cré­dit Indus­tri­el gegrün­de­te Natio­nal­bank erhob Gebüh­ren auf fast jede Trans­ak­ti­on der hai­tia­ni­schen Regie­rung. Die fran­zö­si­schen Aktio­nä­re ver­dien­ten so viel Geld, dass ihre Gewin­ne in man­chen Jah­ren das gesam­te Bud­get der hai­tia­ni­schen Regie­rung für öffent­li­che Arbei­ten in einem Land mit 1,5 Mil­lio­nen Ein­woh­nern überstiegen.

Zu Beginn des 20. Jahrhun…