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Sta­b­le­co­ins haben sich vom Nischen­pro­dukt der Kryp­to-Sze­ne zu einem glo­bal beach­te­ten Phä­no­men ent­wi­ckelt. Sie eröff­nen neue Mög­lich­kei­ten für inter­na­tio­na­le Zah­lun­gen, wer­fen aber zugleich grund­le­gen­de Fra­gen zur Geld­ord­nung, zur Finanz­sta­bi­li­tät und zur Rol­le der Zen­tral­ban­ken auf, denen Peter Bofin­ger in STABLECOINS AND THE FUTURE OF MONEY: ECONOMIC PRINCIPLES AND POLICY IMPLICATIONS nach­geht. Wäh­rend die USA durch den Dol­lar ihre Vor­macht­stel­lung fes­ti­gen, steht Euro­pa vor der Her­aus­for­de­rung, digi­ta­le Sou­ve­rä­ni­tät zu sichern und eige­ne Stra­te­gien zu ent­wi­ckeln.


Sta­b­le­co­ins: Digi­ta­le Bau­stei­ne einer neu­en Geldordnung

Sta­b­le­co­ins sind digi­ta­le Ver­mö­gens­wer­te, deren Wert an klas­si­sche Wäh­run­gen – meist den US-Dol­lar – oder an siche­re Anlei­hen gekop­pelt ist. Damit schla­gen sie eine Brü­cke zwi­schen der Welt der Kryp­to­wäh­run­gen und dem tra­di­tio­nel­len Finanz­sys­tem. Ihre Attrak­ti­vi­tät liegt in der Mög­lich­keit, Zah­lun­gen direkt über Block­chains oder Kryp­to-Bör­sen abzu­wi­ckeln, ohne auf kom­ple­xe und kost­spie­li­ge Infra­struk­tu­ren wie SWIFT zurückzugreifen.

In der Pra­xis las­sen sich zwei Grund­for­men unterscheiden:

  • Bank­ba­sier­te Sta­b­le­co­ins beru­hen auf Ein­la­gen bei Geschäfts­ban­ken. Damit ver­knüp­fen sie die Sta­bi­li­tät des Coins unmit­tel­bar mit der Sta­bi­li­tät des Bankensektors.
  • Anlei­hen­ba­sier­te Sta­b­le­co­ins sind durch kurz­lau­fen­de Staats­an­lei­hen gedeckt. Sie sind weni­ger anfäl­lig für Bank­ri­si­ken und bie­ten eine grö­ße­re Robust­heit in Krisensituationen.

Die­se Unter­schei­dung ist von zen­tra­ler Bedeu­tung, da die jewei­li­ge Struk­tur nicht nur für die Sta­bi­li­tät der Coins, son­dern auch für ihre makro­öko­no­mi­schen Wir­kun­gen ent­schei­dend ist.

Markt­dy­na­mik: Ein Dol­lar-domi­nier­tes Ökosystem

Heu­te domi­nie­ren zwei Sta­b­le­co­ins den Markt: Tether (USDT) und USD Coin (USDC). Bei­de sind fest an den US-Dol­lar gebun­den und ver­deut­li­chen damit den Netz­werk­ef­fekt, der die­sen Wäh­run­gen zugu­te­kommt. In einer zuneh­mend digi­ta­li­sier­ten Finanz­welt ver­stärkt der Dol­lar sei­ne inter­na­tio­na­le Leit­wäh­rungs­funk­ti­on sogar noch.

Bemer­kens­wert ist, dass die gro­ßen Sta­b­le­co­ins trotz erheb­li­cher Stress­si­tua­tio­nen ihre Sta­bi­li­tät weit­ge­hend wah­ren konn­ten. Selbst das De-Peg­ging von USDC im März 2023, aus­ge­löst durch die Insol­venz einer Part­ner­bank, konn­te die Markt­stel­lung nur vor­über­ge­hend erschüt­tern. Im Gegen­satz zu algo­rith­mi­schen Pro­jek­ten, die spek­ta­ku­lär geschei­tert sind, haben die eta­blier­ten Dol­lar-Sta­b­le­co­ins ihre Robust­heit unter Beweis gestellt.

Anwen­dun­gen: Von Kryp­to-Bör­sen bis zu glo­ba­len Transfers

Die Ver­wen­dungs­zwe­cke von Sta­b­le­co­ins sind viel­fäl­tig und rei­chen von hoch­spe­ku­la­ti­ven Akti­vi­tä­ten bis zu hand­fes­ten prak­ti­schen Vorteilen.

  • Im Kryp­to­han­del die­nen sie als neu­tra­le „Fahr­zeug­wäh­rung“, die schnel­le Umschich­tun­gen ermög­licht und zugleich einen siche­ren Hafen in tur­bu­len­ten Markt­pha­sen darstellt.
  • Im inter­na­tio­na­len Zah­lungs­ver­kehr eröff­nen sie den direk­ten Trans­fer von Wer­ten, oft in Sekun­den und mit gerin­gen Kos­ten – ein deut­li­cher Kon­trast zu den tra­di­tio­nel­len, oft tage­lan­gen Abläu­fen über SWIFT und Korrespondenzbanken.
  • Im Grau­be­reich wer­den Sta­b­le­co­ins genutzt, um Kapi­tal­ver­kehrs­kon­trol­len zu umge­hen oder ille­ga­le Akti­vi­tä­ten zu ver­schlei­ern. Ihre Pseud­ony­mi­tät macht sie zu einem Werk­zeug, das staat­li­che Auto­ri­tä­ten herausfordert.
  • Als Wertauf­be­wah­rungs­mit­tel spie­len sie bis­lang nur eine begrenz­te Rol­le. In sta­bi­len Volks­wirt­schaf­ten sind sie wegen feh­len­der Ver­zin­sung und man­geln­der Ein­la­gen­si­che­rung unat­trak­tiv. In Län­dern mit Hyper­in­fla­ti­on oder schwa­chen Ban­ken­sys­te­men kön­nen sie jedoch eine will­kom­me­ne Alter­na­ti­ve darstellen.

Makro­öko­no­mi­sche Fol­gen: Zwi­schen Sta­bi­li­tät und neu­er Liquidität

Je nach Struk­tur wir­ken Sta­b­le­co­ins sehr unter­schied­lich auf das Finanzsystem.

  • Bank­ba­sier­te Sta­b­le­co­ins ähneln streng regu­lier­ten „nar­row banks“: Sie schaf­fen kei­ne zusätz­li­che Kre­dit­ver­ga­be und damit kei­ne Aus­wei­tung der Geld­men­ge. Ihre Risi­ken lie­gen vor allem in der engen Ver­flech­tung mit dem Bankensektor.
  • Anlei­hen­ba­sier­te Sta­b­le­co­ins hin­ge­gen haben poten­zi­ell expan­si­ve­re Effek­te. Da ihre Deckung auf dem Kauf von Staats­an­lei­hen beruht, erhö­hen sie die Nach­fra­ge nach öffent­li­chen Schuld­ti­teln und kön­nen so indi­rekt staat­li­che Finan­zie­rung unter­stüt­zen. In den USA ver­stärkt sich damit die ohne­hin star­ke Posi­ti­on des Dol­lars im glo­ba­len Finanzsystem.

Wenn Sta­b­le­co­ins inter­na­tio­nal wei­ter an Bedeu­tung gewin­nen, könn­ten Zen­tral­ban­ken in die Lage gera­ten, einen Teil ihrer geld­po­li­ti­schen Steue­rungs­fä­hig­keit zu ver­lie­ren. Ein glo­bal ver­brei­te­tes, pri­vat orga­ni­sier­tes Dol­lar-Sta­b­le­co­in-Sys­tem wür­de bei­spiels­wei­se die Wir­kung der Geld­po­li­tik in Dritt­staa­ten deut­lich schwächen.

Finanz­sta­bi­li­tät: Ver­wund­bar­kei­ten und Schutzmechanismen

Bank­ba­sier­te Sta­b­le­co­ins ber­gen das Risi­ko einer dop­pel­ten Insta­bi­li­tät: Gerät eine Bank in Schwie­rig­kei­ten, ver­lie­ren auch die dar­an gekop­pel­ten Coins an Ver­trau­en. Ein „Bank-Run“ könn­te sich mit einem „Sta­b­le­co­in-Run“ gegen­sei­tig ver­stär­ken und so eine sys­te­mi­sche Kri­se auslösen.

Anlei­hen­ba­sier­te Sta­b­le­co­ins erschei­nen aus die­ser Per­spek­ti­ve robus­ter. Kurz­lau­fen­de Staats­an­lei­hen gel­ten als siche­re Anla­gen, und im Ernst­fall kön­nen Zen­tral­ban­ken als Käu­fer letz­ter Instanz ein­grei­fen. Damit ist ihr Kri­sen­po­ten­zi­al begrenzt – wenn­gleich nicht gänz­lich ausgeschlossen.

Der digi­ta­le Euro: Eine begrenz­te Ant­wort der EZB

Der von der Euro­päi­schen Zen­tral­bank ent­wi­ckel­te digi­ta­le Euro (D€) soll Bür­ge­rin­nen und Bür­gern eine siche­re staat­li­che Alter­na­ti­ve im digi­ta­len Zah­lungs­ver­kehr bie­ten. Sein Anwen­dungs­be­reich ist jedoch auf den Ein­zel­han­del inner­halb der Euro­zo­ne beschränkt.

Damit bleibt er hin­ter den Mög­lich­kei­ten pri­va­ter Sta­b­le­co­ins zurück:

  • Für inter­na­tio­na­le Zah­lun­gen ist er nicht ausgelegt.
  • In Län­dern mit insta­bi­len Wäh­run­gen bie­tet er kei­ne prak­ti­ka­ble Lösung.
  • Als Gegen­ge­wicht zu glo­ba­len Dol­lar-Sta­b­le­co­ins ent­fal­tet er kei­ne Wirkung.

Die Kon­struk­ti­on des D€ ver­deut­licht, dass er weni­ger ein Instru­ment inter­na­tio­na­ler Wett­be­werbs­fä­hig­keit als viel­mehr eine Ergän­zung zum bestehen­den Zah­lungs­ver­kehr im Euro­raum ist.

Euro­päi­sche Poli­tik­op­tio­nen: Zwi­schen Regu­lie­rung und Eigenständigkeit

Vor die­sem Hin­ter­grund for­dert Bofin­ger ein stra­te­gi­sches Umden­ken in Europa:

  • Reform der MICA-Ver­ord­nung: Die Vor­schrift, dass Sta­b­le­co­ins zu 60 % durch Bank­ein­la­gen gedeckt sein müs­sen, ver­la­gert Risi­ken in den Ban­ken­sek­tor und ist daher kontraproduktiv.
  • Auf­bau unab­hän­gi­ger Infra­struk­tur: Euro­pa braucht eige­ne, leis­tungs­fä­hi­ge Zah­lungs­sys­te­me, die sich von US-geführ­ten Sta­b­le­co­ins emanzipieren
  • Opti­on einer eige­nen Sta­b­le­co­in-Emis­si­on durch die EZB: Soll­te sich zei­gen, dass pri­va­te Sta­b­le­co­ins die Domi­nanz des US-Dol­lar wei­ter ver­stär­ken, könn­te die EZB selbst tätig wer­den, um digi­ta­le Sou­ve­rä­ni­tät zu sichern.

Die­se Maß­nah­men wären nicht nur ein tech­ni­sches, son­dern auch ein geo­po­li­ti­sches Signal: Euro­pa müs­se ver­hin­dern, in einer digi­ta­len Dol­lar­welt mar­gi­na­li­siert zu werden.

Fazit: Chan­cen, Risi­ken und die offe­ne Zukunft des Geldes

Sta­b­le­co­ins haben das Poten­zi­al, die Archi­tek­tur des inter­na­tio­na­len Finanz­sys­tems tief­grei­fend zu ver­än­dern. Ihre tech­ni­sche Effi­zi­enz macht sie zu einem attrak­ti­ven Instru­ment für Zah­lun­gen und Trans­fers, wäh­rend ihre öko­no­mi­sche Struk­tur Fra­gen nach Sta­bi­li­tät, Regu­lie­rung und poli­ti­scher Kon­trol­le aufwirft.

Für Euro­pa bleibt die zen­tra­le Her­aus­for­de­rung, den Anschluss nicht zu ver­lie­ren: Bank­ba­sier­te Sta­b­le­co­ins ber­gen Sta­bi­li­täts­ri­si­ken, anlei­hen­ba­sier­te Model­le erschei­nen zwar siche­rer, ver­stär­ken aber die glo­ba­le Rol­le des Dol­lars. Der digi­ta­le Euro ist in sei­ner gegen­wär­ti­gen Form kei­ne wirk­li­che Alternative.

Wenn Euro­pa sei­ne digi­ta­le Sou­ve­rä­ni­tät wah­ren will, braucht es muti­ge Refor­men, inno­va­ti­ve Infra­struk­tu­ren und mög­li­cher­wei­se eige­ne Sta­b­le­co­ins. Die Zukunft des Gel­des ist längst nicht ent­schie­den – aber Sta­b­le­co­ins sind bereits ein prä­gen­der Teil davon.