Von Ralf Keuper

Der schei­den­de Chef­re­dak­teur von FINANZ und WIRTSCHAFT, Mark Ditt­li, ruft in Die ver­pass­te Leh­re aus der Kri­se die Ban­ken­bran­che zu mehr Demut auf und warnt davor, sich erneut in fal­scher Sicher­heit zu wie­gen. Wenn­gleich auf vie­len Gebie­ten, wie bei der Kapi­tal­aus­stat­tung, Fort­schrit­te erzielt wur­den und die Wirt­schaft in den USA und Euro­pa sich sta­bi­li­siert habe, kön­ne von Ent­war­nung kei­ne Rede sein. Besorgt ist Ditt­li vor allem dar­über, dass die Ban­ken wei­ter­hin auf ihren Risi­ko­mo­del­len ver­trau­en, obwohl die Ver­gan­gen­heit gezeigt hat, wie lücken­haft sie sind. Aus den Model­len wird eine Gewiss­heit geschöpft, die illu­so­risch ist. Die Kom­ple­xi­tät der Wirt­schaft lässt sich nicht mit mathe­ma­ti­schen Model­len, schon gar nicht denen der Öko­no­men, beherr­schen. Ditt­li sieht Bank­ma­na­ger, Öko­no­men, Poli­ti­ker und Wirt­schafts­jour­na­lis­ten in der Pflicht.

In einem Inter­view sag­te der Finanz­öko­nom Ste­fan Mitt­nik vor eini­ger Zeit auf die Fra­ge, wel­che Her­aus­for­de­run­gen des Risi­ko­ma­nage­ments er aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht als drin­gend und intel­lek­tu­ell her­aus­for­dernd betrachte:

Eine wesent­li­che Her­aus­for­de­rung ergibt sich aus der hohen Dimen­sio­na­li­tät. Bei der  Model­lie­rung von Ein­zel­ri­si­ken hat es gute Fort­schrit­te gege­ben. Die rea­lis­ti­sche Aggre­ga­ti­on von Ein­zel­ri­si­ken ist immer noch schwie­rig und  ̶  abhän­gig von Risi­ko­typ  ̶  oft nur für eine klei­ne Zahl von Fak­to­ren prak­ti­ka­bel, und selbst da gibt es erheb­li­che Defi­zi­te. Wenn die Dimen­si­on aller­dings in die Tau­sen­de geht, haben wir gro­ße Schwierigkeiten.

Zu den Wis­sen­schaft­lern, die nach Aus­bruch der Finanz­kri­se ger­ne zitiert wur­den, zähl­te Benoit Man­del­brot; heu­te wird er kaum noch erwähnt. In sei­nem Buch Frak­ta­le und Finan­zen. Märk­te zwi­schen Risi­ko, Ren­di­te und Ruin schrieb er:

Ich behaup­te nicht, dass die Märk­te chao­tisch sind, obwohl mei­ne frak­ta­le Geo­me­trie zu den vor­ran­gi­gen mathe­ma­ti­schen Werk­zeu­gen der „Cha­os­for­schung“ gehört. Doch die glo­ba­le Wirt­schaft ist ein­deu­tig eine uner­gründ­lich kom­pli­zier­te Maschi­ne. Zur gan­zen Kom­ple­xi­tät der phy­si­schen Welt mit Wet­ter, Feld­früch­ten, Erzen und Fabri­ken muss man noch die psy­chi­sche Kom­ple­xi­tät der Men­schen neh­men, wel­che auf deren flüch­ti­ge Erwar­tun­gen in bezug auf das, was gesche­hen wird oder nicht, ein­wirkt – ungreif­ba­re Sche­men. Fir­men und Akti­en­kur­se, Han­dels­strö­me und Wäh­rungs­kur­se, Ern­te­er­trä­ge und Ter­min­kon­trak­te, sie alle sind mehr oder weni­ger auf­ein­an­der bezo­gen, und wir haben kaum begon­nen, die Art die­ser Abhän­gig­keit zu ver­ste­hen. In einer sol­chen Welt ist es ein Gemein­platz, dass Ereig­nis­se in fer­ner Ver­gan­gen­heit bis in die Gegen­wart fortwirken.

Noch immer lesens­wert die Gedan­ken von Chris­ti­an Mei­er in sei­nem Buch Leh­ren aus Ver­lus­ten im Kre­dit­ge­schäft Schweiz aus dem Jahr 1996:

Der Zyklus von der Kre­dit­kri­se zum Kre­dit­boom lässt sich wie folgt skiz­zie­ren: Im Anschluss an eine Pha­se hoher Kre­dit­ver­lus­te besin­nen sich die Ban­ken auf die bewähr­ten Grund­sät­ze der Kre­dit­ver­ga­be und stel­len „als gebrann­te Kin­der“ wie­der höhe­re Anfor­de­run­gen an die Boni­tät ihrer Kre­dit­neh­mer. Nach­dem der Wirt­schafts­auf­schwung ein­ge­setzt hat, ent­steht aber unter den Ban­ken schon bald ein neu­er Kampf um Markt­an­tei­le. Um Geschäf­te abschlie­ßen zu kön­nen, wer­den gerin­ge­re Zins­mar­gen und län­ge­re Kre­dit­lauf­zei­ten in Kauf genom­men, und die Ban­ken zei­gen eine zuneh­men­de Bereit­schaft, höhe­re Risi­ken ein­zu­ge­hen. Je län­ger der Wirt­schafts­auf­schwung dau­ert, des­to mehr rückt das Volu­men­den­ken wie­der in den Vor­der­grund. Die Ban­ken las­sen sich dabei von den kurz­fris­ti­gen Gewinn­aus­sich­ten blen­den und die inter­nen Kon­trol­len wer­den gelo­ckert, da die­se immer mehr das Neu­ge­schäft zu blo­ckie­ren begin­nen. Das in der Auf­schwung­pha­se ent­ste­hen­de Sicher­heits­ge­fühl ver­lei­tet die Ban­kiers zu einer gewis­sen Sorg­lo­sig­keit und zu einer neu­er­li­chen Abkehr von kre­dit­po­li­ti­schen Grund­sät­zen. Beim Ein­set­zen der nächs­ten Rezes­si­on wer­den dann die ver­gan­ge­nen Sün­den aber­mals sicht­bar und füh­ren zu einer wei­te­ren Wel­le von Kre­dit­ver­lus­ten, womit der Zyklus von neu­em beginnt.

 

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