Von Ralf Keuper

Allein schon die Zahl und die rasche Abfol­ge der Ereig­nis­se im Ban­king kön­nen dazu füh­ren, von den Ein­drü­cken über­wäl­tigt zu wer­den. Aus jeder Rich­tung kann die nächs­te Revo­lu­ti­on, Dis­rup­ti­on kom­men, die das Bank­ge­schäft qua­si über Nacht in eine neue Ära über­füh­ren wird.

Ban­king in der Jetzt­zeit. Alles ist irgend­wie gleich­zei­tig und gleichwertig.

Ganz so geschichts­los ist das Bank­ge­schäft dann doch nicht. Revo­lu­tio­nen wie Dis­rup­tio­nen fal­len auch hier nicht vom Him­mel wie ein Meteo­rit. Alles braucht sei­ne Zeit. Beschleu­ni­gung um ihrer selbst wil­len bewirkt hier wenig, das bele­gen schon allein die wach­sen­den Technologierisiken.

Inso­fern kann die Beschäf­ti­gung mit der Geschichts­theo­rie nicht schaden.

Nur äußerst weni­ge Ereig­nis­se, die zum Zeit­punkt ihres Auf­tre­tens hohe Auf­merk­sam­keit auf sich zogen, haben im kul­tu­rel­len Gedächt­nis über­dau­ert. Es wäre daher ver­kehrt, so Fer­nand Brau­del, ledig­lich auf Basis von Ereig­nis­sen die Geschich­te inter­pre­tie­ren zu wol­len. Brau­del unter­schied zwi­schen gro­ßen und klei­nen Ereignissen:

Denn was ist ein gro­ßes Ereig­nis? Nicht das, wel­ches für kur­ze Zeit den größ­ten Lärm macht, son­dern, das, wel­ches die meis­ten und wich­tigs­ten Kon­se­quen­zen hat. Kon­se­quen­zen tre­ten nicht immer sofort auf, sie hän­gen von der Zeit ab. (in: Geschich­te als Schlüs­sel zur Welt)

Wel­ches sind gro­ßen Ereig­nis­se im Ban­king, deren Kon­se­quen­zen wir der­zeit noch nicht (voll­stän­dig) abse­hen kön­nen, die wir noch nicht auf dem Schirm haben? Was sind dage­gen die klei­nen Ereig­nis­se, die den meis­ten Lärm erzeugen?

Ein Ereig­nis, über das die Kom­men­ta­to­ren mehr oder weni­ger uni­so­no berich­ten, kann dem­nach kein “gro­ßes” sein. So offen­sicht­lich ist es nicht. Dar­aus folgt mit­nich­ten, dass man nicht über die klei­nen Ereig­nis­se berich­ten und sich mit ihnen aus­ein­an­der­set­zen soll.

Das führt uns dann zu der Fra­ge, wie man ein Gespür für die gro­ßen Ereig­nis­se ent­wi­ckeln kann. Sind Pro­gno­sen, Bli­cke in die Zukunft, das Ent­wer­fen von Sze­na­ri­en völ­lig sinn- und wert­los? Rei­nes L’art pour l’art?

Wenn es nach Rein­hart Koselleck geht, dann haben Pro­gno­sen durch­aus ihre Berech­ti­gung. Aller­dings nur dann, wenn man sich der ver­schie­de­nen Zeit­schich­ten bewusst ist, die in die Ereig­nis­se hin­ein rei­chen. (Vgl. dazu: Die Kunst der Pro­gno­se)

Er schreibt u.a.:

Pro­gno­sen sind nur mög­lich, weil es for­ma­le Struk­tu­ren in der Geschich­te gibt, die sich wie­der­ho­len, auch wenn ihr kon­kre­ter Inhalt jeweils ein­ma­lig und für die Betrof­fe­nen über­ra­schend bleibt. Ohne Kon­stan­ten ver­schie­de­ner Dau­er­haf­tig­keit im Fak­to­ren­bün­del kom­men­der Ereig­nis­se wäre es unmög­lich, über­haupt etwas vor­aus­zu­sa­gen. (in: Zeitschichten)

Die ein­schnei­dends­ten Ver­än­de­run­gen gehen laut Koselleck von Gesche­hens­ab­läu­fen aus, in die eine Fül­le von Fak­to­ren ein­ge­hen bzw. in die meh­re­re Zeit­schich­ten gleich­zei­tig hin­ein­rei­chen, wie z.B. in Fol­ge öko­no­mi­scher Kri­sen oder Kriegs­er­eig­nis­se. Hier kom­men trans­per­so­na­le Rah­men­be­din­gun­gen zum Tra­gen, die in der Lage sind, die Rah­men­be­din­gun­gen selbst zu ver­än­dern, wie die Indus­tria­li­sie­rung im 20. Jahr­hun­dert oder, auf die heu­ti­ge Zeit bezo­gen, die Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft. Für Koselleck sind Vor­aus­sa­gen um so zutref­fen­der, je mehr zeit­li­che Schich­ten mög­li­cher Wie­der­ho­lung in die Pro­gno­se ein­ge­gan­gen sind. (Eigen­zi­tat)

Dass sich die Geschwin­dig­keit bei der Ver­brei­tung neu­er Tech­no­lo­gien bzw. ihrer Anwen­dung in bestimm­ten Berei­chen tat­säch­lich deut­lich ver­än­dert hat, zeigt Ste­ven John­son in Wo gute Ideen her­kom­men am Bei­spiel von Youtube.

Reicht die Kraft der Digi­ta­li­sie­rung als wei­te­rer Aus­prä­gung der Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft aus, um die Rah­men­be­din­gun­gen im Ban­king zu ver­än­dern und damit in gewis­ser Wei­se einen Groß­teil der his­to­ri­schen Ent­wick­lung im Bank­ge­schäft zu neutralisieren?

Da sind zumin­dest leich­te Zwei­fel angebracht.

Am bes­ten geeig­net für die Bewer­tung und Ein­ord­nung der aktu­el­len Ent­wick­lun­gen im Ban­king erscheint mir das auf den Wirt­schafts­stil zurück­ge­hen­de Kon­zept des Bank­stils.

Aller­dings bin ich hier, wie ich zuge­ben muss, ein wenig voreingenommen 😉

Wei­te­re Informationen:

“Die Digi­ta­li­sie­rung ist die neue indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on” – Inter­view mit dem Wirt­schafts­his­to­ri­ker Kle­mens Skibicki

Wirt­schafts­his­to­ri­ker Abels­hau­ser: „Es muss einem nicht ban­ge sein”

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