Von Ralf Keuper
Während in den Banken an einigen Stellen noch mit der Digitalisierung gerungen wird, sind die dem technologischen Fortschritt häufig skeptisch gegenüberstehenden Geisteswissenschaften hier nach meinem Eindruck offener und experimentierfreudiger. Sichtbar wird dieser Wandel an dem neuen Forschungsfeld Digital Humanities.
Nach anfänglichem Zögern gehen immer mehr Universitäten und Forscher dazu über, die verschiedenen Möglichkeiten zur Textauswertung und Quellenkritik zu nutzen. Bibliotheken übernehmen dabei eine Schlüsselfunktion, wie u.a. der Beitrag Digitale Edition als Bibliotheksinfrastruktur? zeigt. Häufig werden durch die digital gestützte, interdisziplinäre Bearbeitung der Texte Zusammenhänge sichtbar, die bisher verborgen geblieben sind, u.a. , weil die Durchsicht und Aufbereitung der Texte zu aufwendig waren. Hinzu kommen die räumlichen Begrenzungen bzw. Distanzen.
Die Digitalisierung hebt zwar nicht alle Beschränkungen auf und führt längst nicht immer zu einer Revision etablierter Theorien, ermöglicht aber einen neuen Blick auf die bisherigen Forschungsresultate.
Ein wichtiger Treiber dieser Entwicklung ist, wie nicht überraschen dürfte, Google. Zusammen mit zwei Forschern der Harvard University entwickelte Google das Programm Google Books Ngram Viewer.
Allerdings sollte man sich immer vor Augen halten, dass die Ergebnisse daten- und modellabhängig sind und schnell Gefahr läuft, einem Modell-Platonismus zu verfallen.
Ist man sich dieser Risiken jedoch bewusst, lassen sich daraus nicht nur für die Forschung neue Impulse gewinnen. Die riesigen Datenbestände der Banken, insbesondere die unstrukturierten Daten, wie sie in vielen Dokumenten verstreut liegen, könnten auch hier neue Einsichten zutage fördern, die sich für die Verbesserung in der Kundeninteraktion (PFM) aber auch für interne Zwecke (Gesamtbanksteuerung/Compliance) verwenden lasen.
Fragen der Semantik werden für das Banking jedenfalls immer wichtiger.
Die viel zitierte Macht der Algorithmen hält auch im Banking Einzug. Hier verfügen die großen Internetkonzerne (Google, facebook, Amazon etc.), aber auch einige FinTech-Startups, wie aus dem Bereich Social Scoring, über einen technologischen und organisatorischen Vorsprung, den die Banken nur schwer aufholen können. Kooperationen mit Forschungseinrichtungen und aufstrebenden FinTech-Startups könnten daher nicht schaden. Auch Kooperationen der Banken untereinander wären eine Alternative.
Überhaupt wird der Anteil der Geisteswissenschaften in der Informatik bzw. in der Kryptografie häufig noch unterschätzt. So war einer der erfolgreichsten “Codeknacker” im 1. Weltkrieg ein Archäologe. Das Handwerkszeug der klassischen Philologen, erwies sich, wie es in dem Artikel Die deutsche Geheimwaffe war die Frühaufklärung weiter heisst, als sehr geeignet für die Entschlüsselung der Codes.
Banken bewegen sich seit je an der Schnittstelle zwischen der reinen Darstellung der Daten/Informationen und deren Interpretation. Das sollte doch was zu machen sein.
Die zahlreichen neuen Mitbewerber schlafen nicht.
Weitere Informationen:
Stilarten im Banking und in der Literatur – Eine Annäherung
Banker als digitale Anthropologen?
Banking in der nachindustriellen Gesellschaft – Daniel Bell reloaded