Getting your Trinity Audio player ready...

In vie­len Unter­neh­men hat sich ein Den­ken eta­bliert, das Pro­zes­se über Ergeb­nis­se stellt. Solan­ge der Ablauf stimmt, gilt die Arbeit als „erfolg­reich“ – auch wenn das Resul­tat weit hin­ter den eigent­li­chen Zie­len zurück­bleibt. Die­ses pro­zess­ori­en­tier­te Para­dig­ma birgt eine stil­le Gefahr: die Auf­lö­sung von Ver­ant­wor­tung in einer for­mal per­fek­ten, aber inhalt­lich ent­leer­ten Organisation.


Pro­zess­den­ken und Verantwortungsdiffusion

Das pro­zess­ori­en­tier­te Den­ken gilt als Garant für Effi­zi­enz, Qua­li­tät und Repro­du­zier­bar­keit. In der Theo­rie sorgt es für kla­re Zustän­dig­kei­ten, trans­pa­ren­te Abläu­fe und mess­ba­re Stan­dards. In der Pra­xis jedoch kann genau die­se Struk­tur zu einem para­do­xen Effekt füh­ren: Das blo­ße Befol­gen von Pro­zes­sen wird wich­ti­ger als das, was am Ende tat­säch­lich herauskommt.

Wenn jeder Mit­ar­bei­ter nur noch sei­nen defi­nier­ten Abschnitt „ord­nungs­ge­mäß“ bear­bei­tet, ent­steht eine schlei­chen­de Ver­ant­wor­tungs­dif­fu­si­on. Nie­mand fühlt sich mehr für das Gesamt­ergeb­nis zustän­dig – denn for­mal betrach­tet hat ja jeder „alles rich­tig gemacht“. Schei­tert das Pro­jekt, lässt sich kaum eine Ein­zel­per­son haft­bar machen; das Sys­tem selbst wird zum Schutz­schild. So wird Ver­ant­wor­tung ver­teilt, bis sie sich auflöst.

In die­ser Logik wird das Ein­hal­ten der Pro­zess­vor­ga­ben zum mora­li­schen und orga­ni­sa­to­ri­schen Ersatz für ech­te Ergeb­nis­ori­en­tie­rung. Das Mot­to lau­tet nicht mehr: „Haben wir das Ziel erreicht?“, son­dern: „Haben wir den Pro­zess kor­rekt befolgt?“ – eine sub­ti­le, aber fol­gen­rei­che Verschiebung.

Kri­tik und Risi­ken der Prozessorientierung

Vie­le Prak­ti­ker und Füh­rungs­kräf­te bemer­ken, dass durch die­se Fixie­rung auf Pro­zes­se die eigent­li­che Fra­ge nach dem Zweck ver­lo­ren geht. Kaum jemand fragt noch, ob ein Pro­zess über­haupt sinn­voll, wirk­sam oder zeit­ge­mäß ist – Haupt­sa­che, er wird ein­ge­hal­ten. Pro­zes­se wer­den so zu Ritua­len orga­ni­sa­to­ri­scher Selbst­be­stä­ti­gung: Sie struk­tu­rie­ren die Arbeit, ohne sie not­wen­di­ger­wei­se zu verbessern.

Die Fol­ge ist eine insti­tu­tio­na­li­sier­te Träg­heit. Eigen­ver­ant­wor­tung und kri­ti­sches Den­ken tre­ten zurück, wäh­rend Kon­for­mi­tät und Pro­zess­kon­for­mi­tät belohnt wer­den. Wer Pro­zes­se hin­ter­fragt, gilt schnell als „Stör­fak­tor“. Wer sie brav erfüllt, als „ver­läss­lich“. So ent­steht eine Kom­fort­zo­ne, in der das Unter­neh­men die for­ma­le Ord­nung über den tat­säch­li­chen Fort­schritt stellt.

Die­se Ent­wick­lung führt lang­fris­tig zu einer gefähr­li­chen Ero­si­on von Inno­va­ti­ons­fä­hig­keit und Lern­kul­tur. Denn dort, wo Pro­zes­se wich­ti­ger sind als Ergeb­nis­se, wird das Den­ken in Alter­na­ti­ven sys­te­ma­tisch ent­mu­tigt. Das Sys­tem schützt sich selbst – auf Kos­ten des Ziels, das es eigent­lich errei­chen sollte.

Fazit

Pro­zes­se sind unver­zicht­bar – aber sie dür­fen kein Selbst­zweck wer­den. Ein wirk­lich rei­fes Unter­neh­men erkennt, dass Pro­zess­dis­zi­plin nur dann Wert hat, wenn sie im Dienst eines kla­ren, über­prüf­ba­ren Ergeb­nis­ses steht.

Wo Ver­ant­wor­tung ver­dünnt wird, geht Sinn verloren.

Wo Pro­zes­se über Zie­le gestellt wer­den, ver­kommt Orga­ni­sa­ti­on zu Formalität.

Und wo For­ma­li­tät domi­niert, stirbt die Ver­ant­wor­tung – lei­se, aber sicher.


Quel­len:

Kri­ti­sche Anmer­kun­gen zur Prozeßorientierung

Pro­zess­ori­en­tie­rung – war­um weh­ren sich alle?

Zuerst erschie­nen auf Econ­lit­te­ra