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Ulrich Reu­ter, Prä­si­dent des Deut­schen Spar­kas­sen- und Giro­ver­bands, gei­ßelt die Bun­des­re­gie­rung für aus­blei­ben­de Refor­men. Doch wäh­rend er Büro­kra­tie­ab­bau und Effi­zi­enz von der Poli­tik for­dert, bleibt sein eige­ner Appa­rat ein Para­de­bei­spiel für Schwer­fäl­lig­keit und Reformstau.


Es ist eine ver­trau­te Melo­die in deut­schen Wirt­schafts­de­bat­ten: Ver­bands­funk­tio­nä­re tre­ten ans Mikro­fon, bekla­gen den Zustand des Lan­des und for­dern von der Poli­tik, was sie selbst nicht leis­ten. Ulrich Reu­ter, Prä­si­dent des Deut­schen Spar­kas­sen- und Giro­ver­bands, hat die­se Kunst in den ver­gan­ge­nen Wochen zur Meis­ter­schaft getrie­ben. Der „Herbst der Refor­men” sei aus­ge­blie­ben, kri­ti­siert er die Merz-Regie­rung. Deutsch­land müs­se „end­lich die Büro­kra­tie­fes­seln lösen”, die Arbeits­kräf­te­po­ten­zia­le bes­ser nut­zen, das Ren­ten­sys­tem sta­bi­li­sie­ren. Man brau­che einen „rea­lis­ti­schen Zukunfts­plan”, mehr Eigen­in­itia­ti­ve, weni­ger staat­li­che Umverteilung.

Die Dia­gno­se ist nicht falsch. Die For­de­run­gen klin­gen ver­nünf­tig. Und doch haf­tet Reu­ters Auf­trit­ten etwas Irri­tie­ren­des an – eine kogni­ti­ve Dis­so­nanz, die sich nicht abschüt­teln lässt. Denn wer genau­er hin­sieht, erkennt: Die Orga­ni­sa­ti­on, die Reu­ter reprä­sen­tiert, ist selbst ein Monu­ment jener Pro­ble­me, die er der Poli­tik vorhält.

Der Appa­rat und sei­ne Lasten

Die deut­sche Spar­kas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on umfasst 343 Insti­tu­te, meh­re­re Regio­nal­ver­bän­de, den Dach­ver­band DSGV und die Lan­des­ban­ken – ein Gebil­de von bemer­kens­wer­ter Kom­ple­xi­tät. Was einst als dezen­tra­le Stär­ke galt, wird zuneh­mend zur struk­tu­rel­len Hypo­thek. Exper­ten bekla­gen seit Jah­ren Dop­pel­struk­tu­ren, unkla­re Kom­pe­tenz­ver­tei­lun­gen zwi­schen regio­na­len Ver­bän­den und Dach­ver­band, eine Abhän­gig­keit von poli­tisch besetz­ten Ver­wal­tungs­rä­ten, die stra­te­gi­sche Ent­schei­dun­gen ver­zö­gern oder verwässern.

Hin­zu kommt die inef­fi­zi­en­te Ver­bin­dung zu den Lan­des­ban­ken, deren Geschäfts­mo­dell nach der Finanz­kri­se 2008 in Fra­ge steht. Wäh­rend Spar­kas­sen vor Ort Ein­la­gen sam­meln und Kre­di­te ver­ge­ben, ope­rie­ren die Lan­des­ban­ken in einem Nie­mands­land zwi­schen regio­na­ler Anbin­dung und glo­ba­lem Wett­be­werb – oft ohne über­zeu­gen­de stra­te­gi­sche Aus­rich­tung und mit z.T. unkal­ku­lier­ba­ren Risi­ken für die Öffent­lich­keit, die im Fall des Fal­les für Ver­lus­te ein­ste­hen muss. Das Ergeb­nis: ein Sys­tem, das mehr Ener­gie in sei­ne eige­ne Ver­wal­tung steckt als in Inno­va­ti­on und über­dies Risi­ken in nicht unbe­trächt­li­chem Umfang für die All­ge­mein­heit produziert.

Öffent­li­cher Auf­trag als Schutzschild

Die Spar­kas­sen ver­tei­di­gen ihre Exis­tenz mit Ver­weis auf den öffent­li­chen Auf­trag: regio­na­le Kre­dit­ver­sor­gung, Gemein­wohl­för­de­rung, Prä­senz auch in struk­tur­schwa­chen Gebie­ten. Die­ser Anspruch ist legi­tim und his­to­risch gewach­sen. Doch die Rea­li­tät wirft Fra­gen auf. Fili­al­schlie­ßun­gen neh­men zu, Gebüh­ren stei­gen, die Kre­dit­ver­ga­be bleibt kon­ser­va­tiv. Ob der Fokus noch auf dem Gemein­wohl liegt oder zuneh­mend auf der Ergeb­nis­si­che­rung für kom­mu­na­le Trä­ger, die auf Gewinn­aus­schüt­tun­gen ange­wie­sen sind, ist zuneh­mend unklar.

Beson­ders augen­fäl­lig wird die Dis­kre­panz bei der Digi­ta­li­sie­rung. Wäh­rend Fintechs und Direkt­ban­ken mit schlan­ken Struk­tu­ren und inno­va­ti­ven Ange­bo­ten Kun­den gewin­nen, wirkt die Spar­kas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on wie ein schwer­fäl­li­ger Tan­ker, der nur müh­sam die Rich­tung ändert. Die stra­te­gi­sche Ant­wort auf den digi­ta­len Wan­del bleibt dif­fus, die Umset­zung zögerlich.

Die Iro­nie der Forderung

Hier liegt die Iro­nie von Reu­ters Inter­ven­ti­on. Er for­dert von der Bun­des­re­gie­rung genau das, was sei­ne eige­ne Orga­ni­sa­ti­on seit Jah­ren ver­mis­sen lässt: Büro­kra­tie­ab­bau, Effi­zi­enz­stei­ge­rung, stra­te­gi­sche Klar­heit, den Mut zu unbe­que­men Refor­men. Wäh­rend er der Poli­tik vor­wirft, in alten Mus­tern zu ver­har­ren, reprä­sen­tiert er ein Sys­tem, das sei­ne eige­nen Struk­tu­ren nicht grund­le­gend hinterfragt.

Das ist kein Plä­doy­er dafür, die Kri­tik an der Bun­des­re­gie­rung zu igno­rie­ren. Reu­ters For­de­run­gen nach Steuer‑, Ren­ten- und Arbeits­markt­re­for­men sind berech­tigt. Aber Glaub­wür­dig­keit ent­steht nicht durch die Rich­tig­keit der Dia­gno­se allein, son­dern durch die Kon­se­quenz, mit der man an den eige­nen Pro­ble­men arbei­tet. Wer Refor­men pre­digt, soll­te selbst reform­be­reit sein. Wer Büro­kra­tie­ab­bau for­dert, soll­te nicht selbst in über­kom­ple­xen Struk­tu­ren operieren.

Trans­pa­renz als Voraussetzung

Die Spar­kas­sen könn­ten aus die­ser Situa­ti­on ler­nen. Eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit der eige­nen Orga­ni­sa­ti­on wäre nicht nur ehr­lich, son­dern auch klug. Sie wür­de Reu­ters For­de­run­gen an die Poli­tik Gewicht ver­lei­hen und das Ver­trau­en in die Insti­tu­ti­on stär­ken. Statt­des­sen herrscht weit­ge­hend Schwei­gen über den eige­nen Reform­be­darf – als gin­ge es die Öffent­lich­keit nichts an, wie eine Orga­ni­sa­ti­on struk­tu­riert ist, die sich auf einen öffent­li­chen Auf­trag beruft.

Das ist eine wei­te­re ver­pass­te Chan­ce. Denn im Kern haben Spar­kas­sen und Poli­tik etwas gemein­sam: Sie agie­ren in Sys­te­men, die his­to­risch gewach­sen, aber nicht mehr zeit­ge­mäß sind. Bei­de müss­ten sich grund­le­gen­den Fra­gen stel­len – nach Effi­zi­enz, Zweck und Zukunfts­fä­hig­keit. Die Ant­wor­ten wären unbe­quem, aber notwendig.

Wenn die Spar­kas­sen glau­ben, sie könn­ten sich die­sem Reform­druck auf Dau­er ent­zie­hen, dann irren sie. Nicht unbe­dingt, weil der Dis­kurs sich ver­schiebt – das kann durch­aus sein. Nur – viel wich­ti­ger ist, dass die Zeit, die Ent­wick­lung der nächs­ten Jah­re einen mas­si­ven Anpas­sungs­druck schaf­fen wer­den, dem sich die Spar­kas­sen ganz sicher nicht wer­den ent­zie­hen kön­nen. Da hel­fen dann auch kei­ne durch­sich­ti­gen Ablen­kungs­ma­nö­ver mehr.


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