In seiner Aufzählung der sechs Bestimmungsfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens gab Andy Grove dem Faktor der Substitution besonderes Gewicht:
Neue Technologien und neue Methoden können das alte System durcheinanderbringen, neue Regeln in Kraft setzen und ein ganz neues Geschäftsklima schaffen. So lösten im Gütertransport Straße und Luft den Eisenbahntransport ab, so veränderten Containerschiffe die traditionelle Hafenabfertigung, so überrundeten Verbrauchermärkte die kleinen Nachbarschaftsgeschäfte, so verändern Mikroprozessoren die Datenverarbeitung und so werden digitale Medien vielleicht die Unterhaltungsindustrie verändern. (in: Nur die Paranoiden überleben. Strategische Wendepunkte frühzeitig erkennen)
Was die Unterhaltungsindustrie geht, kann man sagen, dass sich Groves Annahme mit iTunes in weiten Teilen erfüllt hat. Die Bankenbranche erwähnte Grove damals noch nicht. Zu der Zeit befanden sich die Banken noch in einer Position, die den Gedanken, auch sie könnten irgendwann auf einen strategischen Punkt zusteuern und von ähnlichen Problemen geplagt werden wie die andere Branchen zuvor, ins Reich der Fabel verbannten. Das hat sich inzwischen geändert.
Banken wie die ANZ in Australien, Hana in Korea, die mBank in Polen und die türkische Garanti-Bank unternehmen große Anstrengungen, um dem Schicksal der Eisenbahngesellschaften zu entgehen. Die ANZ Bank plant gleich an mehreren Stellen eine Offensive. Dabei nehmen die mobilen Geräte eine Schlüsselstellung ein. Derzeit arbeitet die Bank an einer eignen Mobile Wallet. Ebenso räumt die ANZ dem P2P Lending und Crowdfunding große Chancen ein.
Ein weiser Entschluss, wenn man sich das Potenzial der Mobile Wallets vergegenwärtigt. Allerdings werden die Banken sich an den Gedanken gewöhnen müssen, bei den Mobile Wallets künftig nur noch ein Spieler unter vielen zu sein, wie das Mobey Forum anmerkt:
What is new about the wallet, is the sheer number, strenght and diversity of stakeholders that have the bank’s services in their sight. The process of adjustment for banks requires them to signifacantly recalibrate the way they view their relationships with both customers and industry stakeholders. In the mobile domain, banks are at best, equals amongst their new peers, competing toe to toe with them for attention and loyalties of consumers. (Mobile Wallet: Strategic Options for Banks)
Der Gedanke ist gar nicht so abwegig, dass Mobile Wallets irgendwann die gesamte Vermögensverwaltung übernehmen könnten, d.h. das gesamte Geldvermögen könnte sich darin befinden.
Weiterer Veränderungsdruck mit dem Potenzial, das Geschäftsmodell der Banken zu ersetzten, zumindest aber ernsthaft zu gefährden, geht von den digitalen Währungen aus. Derzeit steht Bitcoin als prominentester Vertreter in der Kritik – nicht zu Unrecht. Es wäre jedoch ungewöhnlich, wenn der technologische Fortschritt bei den Währungen stoppen würde. Über kurz oder lang wird sich eine digitale Währung durchsetzen – vielleicht sogar mehrere. Ob das Bitcoin sein wird, ist damit nicht gesagt.
Falls es aber dazu kommt, wird sich das Bankgeschäft grundlegend wandeln. Digitale Währungen, zumindest die derzeit bekannten, benötigen keinen Finanzintermediär mehr. Die Geschäfte werden direkt zwischen den Beteiligten abgewickelt. Damit bliebe für die Banken noch die Beratung (als Trusted Advisor) und der Handel mit digitalen Währungen.
Jedenfalls sind einige Banken den neuen Entwicklungen gegenüber sehr aufgeschlossen und experimentieren schon fleißig – häufig haben sich die Experimentierphase verlassen. Auffallend ist, dass die meisten aus den sog. Schwellenländern stammen: Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Die entwickelten Industrienationen sind im Vergleich dazu sehr zurückhaltend, was John Ginosky zu dem sarkastischen Beitrag veranlasste: