Von Ralf Keuper
Wie jede Branche, so hat auch der Bankensektor seine Mythen und Legenden herausgebildet, die sorgsam gepflegt werden. Bekanntlich beziehen Mythen und Sagen ihre Kraft aus der (verklärten) Vergangenheit. Was für die Aborigines die Traumzeit und die alten Griechen ihre Mythologie, ist für viele Bankenbeobachter der Multikanal. Es ist schwer vorstellbar, dass die Geschichte vom Mulitkanal einen ähnlichen Rang als schützenswertes Kulturgut erlangen wird, wie die Traumzeit oder die Mythologie des antiken Griechenlands.
Eher schon fügt sie der unendlichen Geschichte vom toten Pferd, das sich reiten lässt, ein weiteres Kapitel hinzu.
Im Jahr 1999, als die Geschichte vom Multikanal noch einige Plausibilität für sich beanspruchen konnte, nahmen Michael Salmony und Michael A. Denck in Multibanking: Auf dem Weg zur neuen Bank schon eine gute Einschätzung vor:
Die Technologisierung des Bankgeschäfts wird jedenfalls weiter voranschreiten. Dabei haben sich die Gewichte in jüngster Zeit deutlich verschoben: Im Vordergrund steht weniger die Automatisierung des Back Office oder die Rationalisierung durch Kundenselbstbedienung, sondern die Nutzung technischer Innovationen zur Kundengewinnung und ‑bindung. .. Der Einzug der neuen Medien in den Bereich Finanzdienstleistungen wird es dem “Bankkunden der Zukunft” nicht nur leichter machen, mit seiner Bank zu kommunizieren. Er wird auch ganz neuartige, individuell gestaltete Angebote nutzen können – zum Beispiel persönliche Beratung im Rahmen einer Videokonferenz oder ein über Handy gesteuertes Meldesystem zu den aktuellen Börsenentwicklungen. (HARVARD Business Manager 1/1999)
Leider bleiben die unzähligen Jünger hinter diesem Stand weit zurück. Es ist ihnen nicht einmal gelungen, die Story weiterzuentwickeln. Der Einzug der neuen Medien beispielsweise, ist an den meisten Beobachtern komplett vorbei gegangen – bis heute. Wenn überhaupt dann nur in Form von Social Media, d.h. einem Auftritt auf facebook. Stattdessen prasselt es Worthülsen und Phrasen vom Multikanal-Banking, das es an die Digitalisierung anzupassen gelte, oder, wer keinerlei Scham kennt, verwendet den Begriff Omnichannel. Mehr oder weniger ist damit gemeint, dass die Kunden, ganz gleich über welchen Kommunikationskanal sie mit der Bank in Kontakt treten, ein einheitliches Bild erwarten, d.h. alles, was ich in der Filiale bekommen kann, ist grundsätzlich auch online verfügbar, sowohl stationär wie auch mobil.
Quasi die Verlängerung der Filiale in das Netz. Dahinter verbirgt sich die Annahme, dass Banken, wie in der Vergangenheit, die neuesten Technologien einfach nur in ihre Abläufe und Systeme integrieren müssen – und alles ist wieder gut. Lediglich eine Frage der Prozessoptimierung.
Warum vertikale Integration in einem Markt nicht mehr funktioniert, dessen Distributionskanäle sich in die Hände neuer Mitspieler verlagert haben, erläutert Tim Renner am Beispiel der Musikindustrie:
Vertikale Integration scheint für die Musikindustrie eigentlich immer nur zu bedeuten, dass sie sich integrieren lässt, sobald eine technische Innovation durchzusetzen ist. Auch in Zeiten gewaltiger Umsätze und Renditen, ob in den zwanziger, sechziger, siebziger oder neunziger Jahren, unternahm sie selbst nie einen ernsthaften Anlauf, den Spieß umzudrehen, die Geräte offensiv an sich zu binden und somit Entwicklungen selbst moderieren zu können. Es scheint, als würde sich die Innovationskraft der Musikfirmen in der Konzentration auf den Inhalt erschöpfen. Als gesellschaftlicher Treiber agieren die Künstler und ihre Inhalte. Als Firmen werden sie weiterhin getrieben – von technologischen Neuerungen. (in: Kinder. Der Tod ist gar nicht so schlimm. Über die Zukunft der Musik- und Medienindustrie)
Multikanal ohne eigene Distributionsnetze, Geräte, Betriebssysteme und Content ist relativ witzlos, zumal dann, wenn das eigene Produkt im Grunde nur aus Informationen besteht. Und wenn dann noch Apple demnächst eigene Mobilfunkservices anbietet, schließt sich der Belagerungsring um die Banken um ein weiteres Stück, derweil in und außerhalb der Banken fleißig weiter der Lieblingssportart gefröhnt wird:
Dem Reiten toter Pferde 😉