Von Ralf Keuper 

Es scheint, als wür­den wir im Ban­king der­zeit einen epo­cha­len Wan­del erle­ben. Da liegt es nahe, nach Par­al­le­len in der Geschich­te zu suchen. Kaum ein Ereig­nis der Welt­ge­schich­te ist dazu auf den ers­ten Blick bes­ser geeig­net, als die fran­zö­si­sche Revolution.

Gewiss – der Ver­gleich ist zu hoch gegrif­fen. Trotz­dem lohnt die nähe­re Betrach­tung der Zeit vor Aus­bruch der Revo­lu­ti­on, wie es in die­ser Form Alexis de Toc­que­ville wohl ein­ma­lig in Der alte Staat und die Revo­lu­ti­on getan hat.

Toc­que­ville, Aris­to­krat vom Schei­tel bis zur Soh­le, stand der Demo­kra­tie skep­tisch, jedoch nicht per se ableh­nend gegen­über. Den­noch konn­te er sei­ne Zwei­fel nie ganz über­win­den. Sei­nem ana­ly­ti­schen Scharf­blick tat das aller­dings kei­nen Abbruch. So fiel sei­ne ers­te Dia­gno­se auch recht nüch­tern aus:

Es gibt Zei­ten, in denen Men­schen so ver­schie­den von­ein­an­der sind, dass der Gedan­ke eines ein­zi­gen, für alle gleich­mä­ßig gel­ten­den Geset­zes bei­na­he ganz unfass­bar für sie ist. Zu ande­ren Zei­ten hin­ge­gen genügt es, ihnen von wei­tem und undeut­lich das Bild eines sol­chen Geset­zes zu zei­gen, dass sie es sofort erken­nen und ihm entgegeneilen.

Über­tra­gen auf das Ban­king ist die­ses Bild, von dem Toc­que­ville spricht, das der digi­ta­len Bank. Die Digi­ta­li­sie­rung, die Ver­brei­tung des Inter­net, die Ver­la­ge­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­on auf mobi­le Kanä­le mit­tels Smart­phones, lässt die Welt zusam­men­rü­cken, das “Glo­ba­le Dorf” von Mar­shall McLuhan ist für vie­le Rea­li­tät. Da ist kaum noch Über­zeu­gungs­ar­beit nötig.

Das Anci­en Régime wird im Ban­king dem­ge­mäß von den eta­blier­ten, klas­si­schen Ban­ken repräsentiert.

Zu spät erkann­te die dama­li­ge füh­ren­de Gesell­schafts­schicht, dass sie den Bezug zur Rea­li­tät, zu den gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­sen und den Lebens­be­din­gun­gen der Men­schen ver­lo­ren hat­te. Auch als sie zu Refor­men bereit war, muss­te sie fest­stel­len, dass ihre Maß­nah­men zu spät ein­setz­ten. Ja, sogar ihre ers­ten Erfol­ge waren der Grund für ihren rasan­ten Abstieg:

Die Regie­rung, die durch eine Revo­lu­ti­on ver­nich­tet wird, ist fast stets bes­ser als die unmit­tel­bar vor­auf­ge­gan­ge­ne, und die Erfah­rung lehrt, dass der gefähr­lichs­te Augen­blick für eine schlech­te Regie­rung der ist, wo sie sich zu refor­mie­ren beginnt.

Wohl­ge­merkt: Es han­delt sich um einen gro­ben geschicht­li­chen Ver­gleich. Nicht um Ver­nich­tung, wohl aber von einer schritt­wei­sen Ablö­sung kann in Bezug auf das Ban­king gespro­chen wer­den. Die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on birgt also das Risi­ko, dass sie, selbst wenn sie ers­te Erfol­ge zei­ti­gen soll­te, den Abwärts­trend nicht auf­hal­ten kann, da die Alter­na­ti­ven zu ver­lo­ckend und die ver­meint­lich neu­en Anbie­ter von der Ver­gan­gen­heit unbe­las­tet sind.

Aber haben wir es dann tat­säch­lich mit einer Revo­lu­ti­on zu tun?

Wohl kaum. Denn, wie Toc­que­ville beschrieb und die wei­te­re Ent­wick­lung in Frank­reich gezeigt hat, ist es uto­pisch zu glau­ben, man kön­ne eine neue Welt qua­si aus dem Nichts, ohne jeg­li­chen Bezug zum vor­he­ri­gen Zustand, schaf­fen. Immer setzt die “Revo­lu­ti­on” auf das Bestehen­de auf, sie revo­lu­tio­niert weni­ger, als dass sie trans­for­miert. Die Macht ver­schwin­det nicht, sie erscheint nur in einem neu­en Gewand:

Da die fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on nicht allein den Zweck hat­te, eine alte Regie­rung zu besei­ti­gen, son­dern auch die alte Form der Gesell­schaft abzu­schaf­fen, so muss­te sie gleich­zei­tig alle bestehen­den Gewal­ten angrei­fen, alle aner­kann­ten Ein­flüs­se ver­nich­ten, die Tra­di­tio­nen in Ver­ges­sen­heit brin­gen, die Sit­ten und Gebräu­che erneu­ern und den mensch­li­chen Geist gewis­ser­ma­ßen aller Ideen ent­le­di­gen, auf denen bis dahin Respekt und Gehor­sam geruht hatten ..

Aber man räu­me die Trüm­mer weg: man gewahrt eine unge­heu­re Zen­tral­ge­walt, die in ihrer Ein­heit alle Bestand­tei­le von Auto­ri­tät und Ein­fluss an sich gezo­gen und ver­schlun­gen hat, die vor­her unter einer Men­ge von unter­ge­ord­ne­ten Gewal­ten, Orden, Klas­sen, Pro­fes­sio­nen, Fami­li­en und Indi­vi­du­en zer­split­tert und gleich­sam im gan­zen Gesell­schafts­kör­per ver­streut waren. .. Die Revo­lu­ti­on hat die­se neue Macht geschaf­fen, oder viel­mehr die­se ist wie von selbst aus den Trüm­mern her­vor­ge­gan­gen, die das Werk der Revo­lu­ti­on waren.

In gewis­ser Hin­sicht könn­te man die Inter­net­kon­zer­ne, die digi­ta­len Öko­sys­te­me als die neue Macht beschrei­ben, die das Ergeb­nis der Revo­lu­ti­on oder Trans­for­ma­ti­on ist, die sich der­zeit im Ban­king voll­zieht. Die Macht ver­schiebt sich. Das ist ein Vor­gang, wie er in der Geschich­te üblich und gera­de­zu not­wen­dig ist. Qua­si eine natür­li­che Begleit­erschei­nung gesell­schaft­li­chen Fort­schritts. Alte Insti­tu­tio­nen ver­lie­ren an Bedeu­tung, neue tre­ten an ihre Stelle.

Gleich­wohl stellt sich die Fra­ge, wie sich die Macht künf­tig ver­teilt. Wird es zu einer Macht­kon­zen­tra­ti­on kom­men und damit zu einem Ein­heits­stil im Ban­king, oder aber kön­nen aus den Rei­hen der Fin­Tech-Start­ups neue Mit­spie­ler her­vor­ge­hen, die in Koope­ra­ti­on unter­ein­an­der oder mit den eta­blier­ten Ban­ken eine Art Gegen­ge­wicht schaffen?

Wir wer­den sehen.

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