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Die Sparkasse Kaiserslautern schließt 27 von 42 Filialen für persönliche Beratung – und wartet darauf, dass die älteren Kunden wegsterben. Doch wer heute die Solidarität aufkündigt, provoziert die Frage: Warum sollten kommende Generationen noch einer Institution treu sein, die nur von ihrem öffentlichen Auftrag profitiert, ihn aber nicht mehr erfüllt? Eine Legitimationskrise ähnlich wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk bahnt sich an.
Es sind oft die kleinen Veränderungen, die eine große Botschaft transportieren. Wenn in Niederkirchen, Martinshöhe oder anderen ländlichen Gemeinden im Landkreis Kaiserslautern die Sparkassenfiliale ihre Türen schließt – oder besser gesagt: ihre Schalter abbaut –, dann verschwindet nicht nur eine Dienstleistung. Es verschwindet ein Stück Normalität, ein Ort der Begegnung, eine Selbstverständlichkeit des Alltags[1]Empörung und „Abwärtsspirale“: Personalabbau bei Sparkassen-Filialen sorgt für Frust.
Die Sparkasse Kaiserslautern hat kürzlich 27 ihrer 42 Geschäftsstellen in reine Selbstbedienungsfilialen umgewandelt. Geldautomaten bleiben, Menschen gehen. Für die Institution mag das eine logische Konsequenz aus veränderten Nutzungsgewohnheiten sein – schließlich erledigen immer mehr Kunden ihre Bankgeschäfte online. Doch hinter dieser Logik verbirgt sich eine Kalkulation, die so rational wie zynisch ist.
Das große Aussitzen
Seien wir ehrlich: Die Lebensqualität in ländlichen Gemeinden verschlechtert sich durch diese Maßnahme nicht für alle – sondern vor allem für die ältere Generation. Jene Menschen, die noch mit Sparbuch und Bargeld groß geworden sind, die ihre Bankgeschäfte persönlich regeln und für die ein Gespräch am Schalter mehr ist als eine Transaktion – nämlich soziale Teilhabe.
Wolfgang Pfleger, Ortsbürgermeister von Niederkirchen, und Peter Palm aus Martinshöhe sprechen von sozialer Isolation der Senioren. Und sie haben recht. Für Menschen, die nicht mehr mobil sind, wird der Gang zur Bank zum logistischen Problem. Doch aus Sicht der Sparkasse ist das ein zeitlich begrenztes Problem. Die zynische Wahrheit lautet: In zehn, fünfzehn Jahren hat sich das “Problem” biologisch erledigt. Die dann noch vorhandene Kundschaft wird sowieso Onlinebanking betreiben. Man muss nur durchhalten, die Beschwerden aussitzen, die Empörung abwarten.
Es ist eine Rechnung, die wirtschaftlich aufgeht – und moralisch einen Offenbarungseid darstellt. Der öffentliche Auftrag der Sparkasse, die flächendeckende Versorgung sicherzustellen, wird hier zur Worthülse. Man erfüllt ihn formal – mit Automaten und Telefonhotlines –, aber man erfüllt ihn nicht mehr inhaltlich. Die Botschaft an die Älteren ist unmissverständlich: Ihr seid uns zu teuer. Wartet einfach ab, bis ihr nicht mehr da seid.
Die Erosion der Bindung
Doch diese Strategie könnte sich als Pyrrhussieg erweisen. Denn was die Sparkasse in ihrer betriebswirtschaftlichen Logik übersieht, ist die Konsequenz für ihre eigene Zukunft: Wer Bindung abbaut, darf sich nicht wundern, wenn er selbst nur noch nach Wirtschaftlichkeit und Effizienz bewertet wird.
Jahrzehntelang basierte die Stärke der Sparkassen auf lokaler Verankerung, auf persönlicher Nähe, auf dem Versprechen, für die Menschen vor Ort da zu sein. Das war ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber Direktbanken und Fintechs. Dieses Versprechen wird nun systematisch gebrochen. Und die Kunden merken es.
Einige wechseln bereits zu benachbarten Bankfilialen oder anderen Anbietern. Es ist die klassische Abstimmung mit den Füßen – oder besser: mit dem Girokonto. Doch dieser Trend wird sich beschleunigen. Denn wenn die Sparkasse selbst nur noch ein digitaler Dienstleister mit Geldautomaten ist, warum sollte man dann bei ihr bleiben? Was unterscheidet sie dann noch von N26, ING oder Revolut?
Die jüngere Generation, die ohnehin Onlinebanking nutzt, hat keine emotionale Bindung mehr an “ihre” Sparkasse. Sie kennt keine Beratungsgespräche am Schalter, keine freundlichen Gesichter in der Filiale, keine persönliche Beziehung. Für sie ist die Sparkasse eine App – und Apps sind austauschbar. Wenn eine andere Bank bessere Konditionen, einen eleganteren User-Interface oder coolere Features bietet, wird gewechselt. Ohne Sentimentalität, ohne Loyalität.
Der Bruch des Generationenvertrags
Die Sparkasse argumentiert mit der Realität: Onlinebanking boomt, Filialbesuche nehmen ab, Kosten müssen gesenkt werden. All das ist wahr. Doch die Frage ist: Welche Rolle soll eine öffentlich-rechtliche Institution überhaupt noch spielen, wenn sie sich nur noch nach Marktkriterien verhält?
Hier offenbart sich eine fundamentale Asymmetrie. Die Sparkasse fordert von ihren älteren Kunden etwas ein, was sie selbst nicht bereit ist zu geben: Solidarität. Jahrzehntelang haben diese Kunden ihre Ersparnisse bei der Sparkasse angelegt, haben Kredite aufgenommen, haben Gebühren gezahlt. Sie haben die Institution mitfinanziert, ihre Existenz gesichert, ihr ermöglicht, groß und stabil zu werden. Nun, da sie Unterstützung brauchen, wird ihnen die kalte Schulter gezeigt.
Warum sollten diese Menschen – und vor allem ihre Kinder und Enkelkinder – dann noch solidarisch mit einer Institution sein, die ihre Existenzberechtigung fast ausschließlich aus dem öffentlichen Auftrag bezieht und davon bislang gut gelebt hat? Es ist ein Bruch des unausgesprochenen Generationenvertrags: Wir waren für euch da, jetzt seid ihr für uns da. Die Sparkasse bricht diesen Vertrag – und darf sich nicht wundern, wenn die nächste Generation ihn ebenfalls nicht mehr anerkennt.
Die Parallelen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk drängen sich auf. Auch dort stellt sich zunehmend die Frage nach Legitimität und Nutzen. Wenn eine öffentlich-rechtliche Institution ihre gesellschaftliche Aufgabe nicht mehr erfüllt, wenn sie Privilegien genießt, aber den Bürgern nicht mehr dient – warum sollte sie dann weiter existieren? Warum sollte man Strukturen aufrechterhalten, die nur noch sich selbst dienen?
Sparkassen genießen erhebliche Privilegien: Sie sind öffentlich-rechtlich organisiert, haben eine Gewährträgerhaftung, zahlen keine Gewerbesteuer in dem Maße wie private Banken. Diese Privilegien wurden ihnen zugestanden, weil sie einen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen sollten – die Daseinsvorsorge im Finanzbereich. Wenn sie diesen Auftrag nur noch formal, aber nicht mehr inhaltlich erfüllen, warum sollten diese Privilegien dann weiter bestehen?
Die Ironie ist: Indem die Sparkasse ihre öffentliche Rolle aufgibt, sägt sie am eigenen Ast. Denn wenn sie sich nur noch wie ein gewinnorientiertes Unternehmen verhält, wird sie auch nur noch wie ein gewinnorientiertes Unternehmen bewertet werden. Und in diesem Wettbewerb haben die Direktbanken und Fintechs oft die Nase vorn – niedrigere Kosten, bessere Technologie, agilere Strukturen.
Die Legitimationskrise
Was in Niederkirchen, Martinshöhe und anderswo passiert, ist symptomatisch für eine größere Transformation. Die Sparkassen waren einmal Teil eines gesellschaftlichen Modells, in dem Solidarität und Gemeinwohl eine Rolle spielten. In dem die Jungen für die Alten mitzahlten, in dem profitable Standorte weniger profitable subventionierten, in dem nicht alles nach reiner Effizienz bewertet wurde.
Dieses Modell bröckelt. Doch anders als die Sparkasse glauben mag, ist das kein naturgegebener Prozess, sondern eine bewusste Entscheidung. Indem sie die Solidarität mit den älteren Kunden aufkündigt, provoziert sie die Frage: Warum sollten wir solidarisch mit euch sein?
Es ist dieselbe Legitimationskrise, die auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk erfasst hat. Wenn eine Institution, die sich aus ihrer öffentlichen Aufgabe heraus definiert und rechtfertigt, diese Aufgabe in den Augen vieler Kunden nicht mehr erfüllt – was bleibt dann noch? Eine teure Struktur, die Privilegien genießt, aber keinen erkennbaren Mehrwert mehr bietet. Eine Bürokratie, die sich selbst erhalten will, aber den Menschen nicht mehr dient.
Die Sparkasse Kaiserslautern mag glauben, sie passe sich nur an moderne Gegebenheiten an. In Wahrheit stellt sie ihre eigene Daseinsberechtigung infrage. Denn wenn sie nicht mehr ist als eine Bank unter vielen, wenn der öffentliche Auftrag zur hohlen Phrase wird, wenn Wirtschaftlichkeit der einzige Maßstab ist – dann braucht es keine öffentlich-rechtlichen Privilegien mehr. Dann kann man das auch gleich dem freien Markt überlassen.
Die Frage nach Legitimität und Nutzen wird kommen. Sie wird von den Enkelkindern gestellt werden, die keine Erinnerung mehr an die “gute alte Sparkasse” haben. Die nur sehen: Eine Institution, die Steuerprivilegien genießt, aber ihren Großeltern den Service verweigert hat. Warum sollten sie dieser Institution treu bleiben?
Was bleibt?
Die Strategie der Sparkasse Kaiserslautern mag kurzfristig die Bilanz schönen. Mittelfristig könnte sie sich als strategischer Fehler erweisen. Denn was heute als Effizienzgewinn verbucht wird, ist in Wahrheit der Abbau des einzigen Assets, das die Sparkassen noch vom Wettbewerb unterscheidet: ihre lokale Verankerung.
In zehn Jahren, wenn die heutige ältere Generation nicht mehr da ist, wird die Sparkasse vielleicht feststellen, dass sie mit ihr auch ihre Daseinsberechtigung verloren hat. Dass eine Generation herangewachsen ist, die keine Bindung mehr hat, keine Loyalität mehr kennt und ihre Bank nach denselben Kriterien auswählt wie ihren Streaming-Dienst: Preis, Leistung, Komfort.
Der Zynismus der heutigen Entscheidung könnte sich dann als Bumerang erweisen. Wer heute aussitzt, könnte morgen selbst weggesessen werden. Die Bank verschwindet – und niemand vermisst sie mehr.
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