Von Ralf Keuper

Der ame­ri­ka­ni­sche Sozio­lo­ge Erving Goff­man war der Über­zeu­gung, dass wir im All­tag dazu nei­gen, eine Rol­le zu spie­len, um damit das Publi­kum und das eige­ne Ensem­ble zu beein­dru­cken (Vgl. dazu: Wir alle spie­len Thea­ter. Die Selbst­dar­stel­lung im All­tag). Zwar wis­sen im Grun­de alle, dass es sich um eine Thea­ter­auf­füh­rung han­delt, doch wird die Illu­si­on so lan­ge wie mög­lich auf­recht erhal­ten, bis die Rea­li­tät die Fas­sa­de brö­ckeln lässt und mit der Zeit zum Ein­sturz bringt. Wohl dem, der die Büh­ne, z.B. alters­be­dingt, noch gera­de recht­zei­tig, vor dem Zusam­men­bruch der Kulis­se, ver­las­sen konn­te. Weni­ger glück­lich sind die­je­ni­gen dran, die das Stück unter wid­ri­gen Umstän­den und vor sich lich­ten­den Zuschau­er­rei­hen wei­ter auf­füh­ren müssen. 

Die Ban­ken spie­len für die Kun­den die Rol­le des ver­trau­ens­wür­di­gen Mit­tels­manns in Geld- und Finanz­fra­gen. Zwar hat die­se Rol­le in den letz­ten Jah­ren eini­ge tie­fe Ris­se bekom­men, jedoch stel­len die Zuschau­er fest, dass die ande­ren Akteu­re, die alter­na­tiv zur Ver­fü­gung ste­hen, nicht unbe­dingt die bes­se­re Wahl sind. Anders ver­hält sich da schon, wenn es dar­um geht, wer die bes­te Inno­va­tions-Per­for­mance auf die Büh­ne bringt. Hier lie­gen Apple, Goog­le & Co. in der Zuschau­er­gunst klar vor­ne. Nicht nur gelingt es den Tech­no­lo­gie­kon­zer­nen auf die Show ech­te Pro­duk­te und Ser­vices fol­gen zu las­sen, die sich im All­tag der Zuschau­er bewäh­ren und als nütz­lich erwei­sen; nein, sie sor­gen über­dies dafür, dass die Vor­stel­lun­gen in den Thea­tern der Ban­ken immer häu­fi­ger vor lee­ren Rän­gen statt­fin­den. Eif­rig sind die Ban­ken bemüht, die Gunst der Zuschau­er zurück zu gewin­nen, indem sie Inno­va­tions-Thea­ter spie­len. Auch hier gilt es, die Rol­le so gut und über­zeu­gend zu spie­len, dass es aus Sicht der Zuschau­er uner­heb­lich ist, ob es sich dabei um eine Illu­si­on oder die Rea­li­tät han­delt. Indes, die schau­spie­le­ri­schen Fähig­kei­ten des Ensem­bles las­sen eben­so zu wün­schen übrig, wie die Qua­li­tät der Regie­an­wei­sun­gen; die Requi­si­te ori­en­tiert sich noch immer an den 1980er Jah­ren (Vgl. dazu: Let‘s get digi­tal, oder: Wenn Volks­ban­ken ver­su­chen cool und hip zu wir­ken). Das Ensem­ble setzt sich nicht nur aus eige­nen Mit­ar­bei­ten, son­dern auch aus unzäh­li­gen Strategie‑, Manage­ment- und IT-Bera­tern zusam­men, die lei­der all­zu oft unko­or­di­niert dazwi­schen spre­chen und sich nur sel­ten an den Text hal­ten und die Regie­an­wei­sun­gen ger­ne igno­rie­ren. Meis­tens reicht es nur für kur­ze abge­grif­fe­ne Sen­ten­zen, die ihnen per Power-Point und vor­ge­fer­tig­ten Text­bau­stei­nen souf­fliert wer­den. Das Publi­kum fühlt sich durch die Auf­füh­rung ver­wirrt; die Fort­schritt­li­chen unter ihnen hal­ten die Auf­füh­rung wegen der Kon­fu­si­on für eine moder­ne Vari­an­te des Dada­is­mus, bis auch sie erken­nen müs­sen, dass sich dahin­ter kei­ner­lei Kon­zept oder Idee ver­birgt. Selbst die alter­na­ti­ve Thea­ter­sze­ne, Fin­tech genannt, lockt mit ihren Impro­vi­sa­tio­nen mehr Zuschau­er an, als die Ban­ken mit ihrem alt­ba­cke­nen Pro­gramm. Die ein­zi­gen, die hin und wie­der Gefal­len an den Vor­füh­run­gen fin­den, sind die Thea­ter­kri­ti­ker (Medi­en), die sich hier mit den Pro­ble­men ihrer eige­nen Bran­che wiederfinden. 

Die Zuschau­er ver­las­sen der­weil resi­gniert das Inno­va­ti­ons­thea­ter der Ban­ken. Sie haben den Ein­druck gewon­nen, dass die Ban­ken weder das Eine (Illu­si­on) noch das Ande­re (Pra­xis) beherr­schen. Es gibt bes­se­re Aufführungsorte.