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Zwi­schen revo­lu­tio­nä­ren Umbrü­chen und staat­li­cher Kon­trol­le for­mier­te sich in der Mit­te des 19. Jahr­hun­derts das preu­ßi­sche Zen­tral­bank­sys­tem. Eine bis­her wenig erforsch­te Geschich­te, die den Grund­stein für die spä­te­re deut­sche Reichs­bank leg­te und bis heu­te nachwirkt.


Die Mit­te des 19. Jahr­hun­derts mar­kiert einen Wen­de­punkt in der deut­schen Finanz­ge­schich­te, der erstaun­lich wenig Beach­tung gefun­den hat. Wäh­rend die poli­ti­schen Revo­lu­tio­nen von 184849 aus­gie­big erforscht sind, blieb die par­al­lel ver­lau­fen­de Revo­lu­ti­on im Ban­ken­we­sen lan­ge Zeit im Schat­ten der Geschichts­schrei­bung. Dabei ent­stan­den gera­de in die­sen tur­bu­len­ten Jah­ren jene insti­tu­tio­nel­len Struk­tu­ren, die das deut­sche Finanz­we­sen bis ins 20. Jahr­hun­dert prä­gen sollten.

Kri­se als Motor des Wandels

Der Vor­märz war geprägt von fun­da­men­ta­len wirt­schaft­li­chen Umbrü­chen. Die indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on ver­än­der­te nicht nur die Pro­duk­ti­ons­wei­se, son­dern schuf völ­lig neue Finan­zie­rungs­be­dar­fe. Der rasan­te Aus­bau des Eisen­bahn­net­zes ver­schlang gewal­ti­ge Kapi­tal­men­gen, wäh­rend die ers­ten moder­nen Bör­sen­kri­sen die Fra­gi­li­tät des ent­ste­hen­den Finanz­sys­tems offen­bar­ten. In die­sem Umfeld wur­de deut­lich, dass die tra­di­tio­nel­len Finanz­in­sti­tu­tio­nen den neu­en Her­aus­for­de­run­gen nicht gewach­sen waren.

Die Ban­ken­kri­se des Vor­märz war somit weit mehr als ein iso­lier­tes Ereig­nis. Sie war Aus­druck einer Gesell­schaft im Über­gang, die nach neu­en insti­tu­tio­nel­len Ant­wor­ten such­te. Das alte Sys­tem der König­li­chen Haupt­bank, das noch den Bedürf­nis­sen einer agra­risch gepräg­ten Stän­de­ge­sell­schaft ent­spro­chen hat­te, erwies sich als unge­eig­net für die Dyna­mi­ken einer sich indus­tria­li­sie­ren­den Wirtschaft.

Die Geburt der Preu­ßi­schen Bank

1847 ent­stand aus die­ser Not­wen­dig­keit her­aus die Preu­ßi­sche Bank – nicht als revo­lu­tio­nä­rer Neu­an­fang, son­dern als prag­ma­ti­sche Umwand­lung der bestehen­den Struk­tu­ren. Die­se schein­ba­re Kon­ti­nui­tät täuscht jedoch über die Trag­wei­te des Wan­dels hin­weg. Erst­mals in der preu­ßi­schen Geschich­te wur­de eine Insti­tu­ti­on geschaf­fen, die expli­zit dar­auf aus­ge­rich­tet war, den Geld­kreis­lauf einer moder­nen Volks­wirt­schaft zu steuern.

Die neue Bank ver­kör­per­te jene cha­rak­te­ris­ti­sche Span­nung, die das deut­sche Ban­ken­we­sen bis heu­te prägt: die zwi­schen pri­vat­wirt­schaft­li­cher Effi­zi­enz und staat­li­cher Kon­trol­le. Anders als die Bank of Eng­land, die aus pri­va­ten Wur­zeln erwach­sen war, oder die Ban­que de France, die Napo­le­on als Instru­ment staat­li­cher Macht­po­li­tik kon­zi­piert hat­te, such­te die Preu­ßi­sche Bank von Beginn an einen drit­ten Weg.

Per­sön­lich­kei­ten im Span­nungs­feld der Zeit

Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen um die rich­ti­ge Bank­po­li­tik kris­tal­li­sier­ten sich in den Per­sön­lich­kei­ten zwei­er Män­ner, die unter­schied­li­che Wel­ten reprä­sen­tier­ten. Chris­ti­an von Rother ver­kör­per­te die preu­ßi­sche Beamt­en­tra­di­ti­on mit ihrem Ver­trau­en in staat­li­che Steue­rung und lang­fris­ti­ge Pla­nung. David Han­se­mann hin­ge­gen stand für das auf­stre­ben­de Bür­ger­tum mit sei­nem Glau­ben an die selbst­re­gu­lie­ren­den Kräf­te des Marktes.

Ihre Debat­ten waren weit mehr als tech­ni­sche Dis­kus­sio­nen über Zins­sät­ze und Emis­si­ons­vo­lu­men. Sie spie­gel­ten die fun­da­men­ta­le Fra­ge wider, die damals ganz Euro­pa beweg­te: Wie soll­te der moder­ne Staat auf die Dyna­mi­ken des ent­ste­hen­den Kapi­ta­lis­mus reagie­ren? Soll­te er regu­lie­rend ein­grei­fen oder den frei­en Kräf­ten des Mark­tes vertrauen?

Revo­lu­ti­on und ihre para­do­xen Folgen

Die Revo­lu­ti­on von 184849 brach­te eine über­ra­schen­de Wen­dung. Wäh­rend poli­tisch die demo­kra­ti­schen Bestre­bun­gen schei­ter­ten, setz­te sich im Ban­ken­we­sen ein Sys­tem durch, das der staat­li­chen Kon­trol­le ein­deu­tig den Vor­rang gab. Die Preu­ßi­sche Bank erhielt nicht nur das Mono­pol auf die Papier­geld­emis­si­on, son­dern wur­de auch vor pri­va­ter und aus­län­di­scher Kon­kur­renz geschützt.

Die­se Ent­wick­lung war para­dox: Das Jahr der geschei­ter­ten demo­kra­ti­schen Revo­lu­ti­on führ­te zur Eta­blie­rung eines Ban­ken­sys­tems, das auf staat­li­che Auto­ri­tät und Mono­pol­bil­dung setz­te. Wäh­rend in ande­ren euro­päi­schen Län­dern pri­va­te Ban­ken und Wett­be­werb domi­nier­ten, ging Preu­ßen bewusst einen Son­der­weg, der staat­li­che Kon­trol­le über die Geld- und Kre­dit­ver­sor­gung in den Mit­tel­punkt stellte.

Das rei­fe Sys­tem und sei­ne Bewährungsproben

1856 erreich­te die­se Ent­wick­lung ihren vor­läu­fi­gen Höhe­punkt. Die Preu­ßi­sche Bank erhielt unein­ge­schränk­tes Emis­si­ons­recht und wur­de durch wei­te­re Refor­men in ihrer domi­nie­ren­den Stel­lung abge­si­chert. Das ent­ste­hen­de Sys­tem war dabei von einer cha­rak­te­ris­ti­schen Dop­pel­na­tur geprägt: staat­li­che Auto­ri­tät bei gleich­zei­ti­ger Gewinnorientierung.

Die Wirt­schafts­kri­se von 1857 bot die ers­te gro­ße Bewäh­rungs­pro­be. Wie reagier­te eine Zen­tral­bank, die zwar über moder­ne Instru­men­te ver­füg­te, aber noch kei­ne aus­ge­ar­bei­te­te Theo­rie der Geld­po­li­tik besaß? Die Ant­wor­ten waren prag­ma­tisch und zeig­ten eine Insti­tu­ti­on, die sich zwi­schen staat­li­chen Erwar­tun­gen und pri­vat­wirt­schaft­li­chen Prin­zi­pi­en beweg­te. Grund­le­gen­de theo­re­ti­sche Inno­va­tio­nen blie­ben aus – die Bank ori­en­tier­te sich an bewähr­ten Prak­ti­ken und kurz­fris­ti­gen Erfordernissen.

Ein deut­sches Modell mit Langzeitwirkung

Was in den Jah­ren zwi­schen 1844 und 1857 in Preu­ßen ent­stand, war mehr als nur eine regio­na­le Bank­re­form. Es war die Blau­pau­se für ein spe­zi­fisch deut­sches Modell des Zen­tral­bank­we­sens, das sich fun­da­men­tal von den angel­säch­si­schen oder fran­zö­si­schen Vor­bil­dern unter­schied. Die Beto­nung staat­li­cher Auto­ri­tät bei gleich­zei­ti­ger Wah­rung pri­vat­wirt­schaft­li­cher Effi­zi­enz soll­te cha­rak­te­ris­tisch blei­ben – von der spä­te­ren Reichs­bank bis zur heu­ti­gen Bundesbank.

Die­se insti­tu­tio­nel­le Kon­ti­nui­tät war kein Zufall, son­dern Aus­druck tie­fer lie­gen­der gesell­schaft­li­cher und poli­ti­scher Struk­tu­ren. Der preu­ßi­sche Staat des 19. Jahr­hun­derts such­te einen Moder­ni­sie­rungs­weg, der tech­ni­sche Inno­va­ti­on mit poli­ti­scher Sta­bi­li­tät ver­band. Das Ban­ken­we­sen wur­de zu einem zen­tra­len Ele­ment die­ser Stra­te­gie – ein Instru­ment zur För­de­rung wirt­schaft­li­chen Wachs­tums unter staat­li­cher Kontrolle.

Die For­ma­ti­ons­pha­se der Preu­ßi­schen Bank illus­triert exem­pla­risch, wie sich aus dem Zusam­men­spiel von Kri­sen, Inter­es­sen und insti­tu­tio­nel­len Tra­di­tio­nen neue For­men wirt­schaft­li­cher Orga­ni­sa­ti­on ent­wi­ckeln. In einer Zeit, in der die Rol­le von Zen­tral­ban­ken wie­der inten­siv dis­ku­tiert wird, bie­tet die­ser his­to­ri­sche Blick wert­vol­le Ein­sich­ten in die Dyna­mi­ken zwi­schen Staat, Markt und Geld – Dyna­mi­ken, die auch heu­te nichts von ihrer Rele­vanz ver­lo­ren haben.


Quel­len:

Rein­hold Zilch, Rezen­si­on zu: Lich­ter, Jörg: Preus­si­sche Noten­bank­po­li­tik in der For­ma­ti­ons­pha­se des Zen­tral­bank­sys­tems 1844 bis 1857. . Ber­lin 1999 , ISBN 3−428−09545−6, in: H‑Soz-Kult, 12.12.2001, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-3111.

Chris­ti­an Rother – Ban­kier für Preu­ßen (Film)

Eine kur­ze Geschich­te des Ber­li­ner Bankwesens

Von der Reichs­bank zur Bundesbank

“Geld-und Wäh­rungs­po­li­tik der Reichs­bank 1875–1914” von Mat­thi­as Wühle

Das deut­sche Bank­ge­setz von 1875 und die Ent­ste­hung eines Wäh­rungs­rah­mens 1866–76