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UniCre­dit-Chef Andrea Orcel spielt mit hohem Ein­satz. Mit 26 Pro­zent der Com­merz­bank-Antei­le in der Hand nähert er sich der magi­schen 30-Pro­zent-Mar­ke – jener Schwel­le, ab der aus stra­te­gi­schem Kal­kül unaus­weich­li­che Rea­li­tät wird. Wäh­rend Com­merz­bank-Che­fin Bet­ti­na Orlopp gelas­sen bleibt und auf Eigen­stän­dig­keit setzt, tobt hin­ter den Kulis­sen ein Kampf zwi­schen ita­lie­ni­scher Expan­si­on und deut­scher Finanz­ho­heit. Das Para­do­xe dar­an: Aus­ge­rech­net in Zei­ten wirt­schaft­li­cher Unsi­cher­heit könn­te die Über­nah­me zur selbst­er­fül­len­den Pro­phe­zei­ung werden.


Es ist ein Schau­spiel, das alle Zuta­ten eines moder­nen Wirt­schafts­thril­lers besitzt: Ein ambi­tio­nier­ter ita­lie­ni­scher Ban­ker, der metho­disch sei­ne Antei­le an einer deut­schen Tra­di­ti­ons­bank auf­stockt. Eine selbst­be­wuss­te Bank­che­fin, die öffent­lich Gelas­sen­heit aus­strahlt, wäh­rend sie intern Ver­tei­di­gungs­stra­te­gien ent­wi­ckelt. Und eine Bun­des­re­gie­rung, die zwi­schen markt­wirt­schaft­li­chen Prin­zi­pi­en und dem Schutz natio­na­ler Finanz­in­ter­es­sen navi­gie­ren muss.

Die Geschich­te der geplan­ten Com­merz­bank-Über­nah­me durch UniCre­dit ist mehr als nur eine wei­te­re Fusi­on im kon­so­li­dier­ten Ban­ken­markt. Sie ist ein Spie­gel der aktu­el­len wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Span­nun­gen in Euro­pa – und ein Test­fall dafür, wie sou­ve­rän Deutsch­land noch über sei­ne Finanz­ar­chi­tek­tur verfügt.

Die Ana­to­mie einer stra­te­gi­schen Offensive

Andrea Orcel, der umtrie­bi­ge CEO von UniCre­dit, ver­folgt eine Stra­te­gie, die an Prä­zi­si­on kaum zu über­bie­ten ist. Mit der schritt­wei­sen Auf­sto­ckung sei­ner Betei­li­gung auf mitt­ler­wei­le 26 Pro­zent hat er ein Fait accom­pli geschaf­fen, das die Com­merz­bank in eine defen­si­ve Posi­ti­on zwingt. Sei­ne Argu­men­ta­ti­on ist dabei von bestechen­der Klar­heit: Statt des befürch­te­ten Kahl­schlags ver­spricht er Inves­ti­tio­nen ins Fili­al­netz und begrenz­te Stel­len­strei­chun­gen, die sich pri­mär auf die Zen­tra­le kon­zen­trie­ren sol­len[1]Unicre­dit-Chef: Haben bald 30 Pro­zent Anteil an Com­merz­bank.

Orcel kal­ku­liert dabei nicht nur mit betriebs­wirt­schaft­li­chen Syn­er­gien, son­dern auch mit der Schwä­che sei­ner Kon­kur­renz. Die Com­merz­bank mag zuletzt Rekord­ge­win­ne ver­mel­det haben, doch die ange­kün­dig­ten 3.900 Stel­len­strei­chun­gen bis 2027 offen­ba­ren die struk­tu­rel­len Her­aus­for­de­run­gen, mit denen sich das Insti­tut kon­fron­tiert sieht. In einem schrump­fen­den deut­schen Markt mit anhal­tend nied­ri­gen Zin­sen wirkt die ita­lie­ni­sche Alter­na­ti­ve durch­aus ver­lo­ckend – zumin­dest aus Aktionärssicht.

Das Dilem­ma der Gelassenheit

Bet­ti­na Orlopp, die seit 2024 amtie­ren­de Com­merz­bank-Che­fin, gibt sich betont unbe­ein­druckt. Ihre öffent­li­che Hal­tung – “Selbst­ver­ständ­lich nicht” wer­de UniCre­dit erfolg­reich sein – ist Teil einer kal­ku­lier­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gie[2]Com­merz­bank-Che­fin bleibt nach Unicre­dit-Zukäu­fen gelas­sen. Indem sie auf die ver­bes­ser­ten Quar­tals­zah­len und die erhöh­te Jah­res­pro­gno­se ver­weist, ver­sucht sie, eine Erzäh­lung der Eigen­stän­dig­keit und Stär­ke aufrechtzuerhalten.

Doch die­se demons­tra­ti­ve Gelas­sen­heit könn­te sich als zwei­schnei­di­ges Schwert erwei­sen. Wäh­rend sie einer­seits Ver­trau­en bei Aktio­nä­ren und Beschäf­tig­ten schaf­fen soll, läuft sie ande­rer­seits Gefahr, die rea­le Bedro­hung zu unter­schät­zen. Denn am Ende ent­schei­den nicht Vor­stands­er­klä­run­gen über den Erfolg einer Über­nah­me, son­dern die nüch­ter­ne Kal­ku­la­ti­on der Anteilseigner.

Der poli­ti­sche Ele­fant im Raum

Was den Fall Com­merz­bank von ande­ren Ban­ken­über­nah­men unter­schei­det, ist sei­ne poli­ti­sche Dimen­si­on. Als sys­tem­re­le­van­tes Insti­tut mit star­ken Ver­bin­dun­gen zur deut­schen Mit­tel­stands­fi­nan­zie­rung steht weit mehr auf dem Spiel als nur Arbeits­plät­ze und Markt­an­tei­le. Es geht um die Fra­ge, ob Deutsch­land bereit ist, einen wei­te­ren stra­te­gisch wich­ti­gen Finanz­ak­teur an aus­län­di­sche Inves­to­ren zu verlieren.

Die Bun­des­re­gie­rung hat ihre ableh­nen­de Hal­tung bereits deut­lich gemacht, doch ihre Hand­lungs­op­tio­nen sind begrenzt. Über die KfW hält der Bund zwar noch Antei­le an der Com­merz­bank, doch die­se rei­chen nicht aus, um eine Über­nah­me zu ver­hin­dern. Regu­la­to­ri­sche Inter­ven­tio­nen wären recht­lich schwer durch­setz­bar und wür­den Deutsch­lands Ruf als ver­läss­li­cher Finanz­stand­ort beschädigen.

Die Iro­nie der Zeit

Para­do­xer­wei­se könn­te aus­ge­rech­net die wirt­schaft­li­che Unsi­cher­heit, die Deutsch­land der­zeit durch­lebt, Orcels Plä­nen in die Hän­de spie­len. In Zei­ten sta­gnie­ren­der Kon­junk­tur und struk­tu­rel­ler Her­aus­for­de­run­gen im Ban­ken­sek­tor erscheint die Sta­bi­li­tät eines grö­ße­ren, diver­si­fi­zier­te­ren Kon­zerns attrak­tiv. Was als Bedro­hung deut­scher Finanz­au­to­no­mie begann, könn­te sich als alter­na­tiv­lo­se Moder­ni­sie­rungs­stra­te­gie entpuppen.

Die Com­merz­bank befin­det sich damit in einer Zwick­müh­le: Je erfolg­rei­cher sie ihre ope­ra­ti­ve Trans­for­ma­ti­on vor­an­treibt, des­to attrak­ti­ver wird sie als Über­nah­me­ziel. Je mehr sie struk­tu­rel­le Schwä­chen offen­legt, des­to dring­li­cher wird die Suche nach einem star­ken Partner.

Ein Aus­blick ohne Gewissheiten

Wäh­rend die Akteu­re ihre Posi­tio­nen bezie­hen und öffent­lich Stand­haf­tig­keit demons­trie­ren, tickt im Hin­ter­grund die Uhr. Erreicht UniCre­dit die 30-Pro­zent-Schwel­le, wird aus dem stra­te­gi­schen Poker ein for­ma­les Über­nah­me­ver­fah­ren. Dann ent­schei­den nicht mehr Pres­se­er­klä­run­gen und poli­ti­sche Bekun­dun­gen, son­dern die har­ten Geset­ze des Kapitalmarktes.

Die Geschich­te der Com­merz­bank-Über­nah­me ist noch nicht geschrie­ben, doch ihre Kon­tu­ren wer­den täg­lich schär­fer. Sie wird zei­gen, ob Deutsch­land noch Herr über sein Finanz­schick­sal ist – oder ob die Glo­ba­li­sie­rung auch vor den letz­ten natio­na­len Bas­tio­nen nicht halt­macht. In jedem Fall mar­kiert sie einen Wen­de­punkt in der deut­schen Ban­ken­land­schaft, des­sen Aus­gang weit über die Finanz­bran­che hin­aus wir­ken wird.