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Ludwig Poullain verkörperte wie kaum ein anderer den Wandel des deutschen Bankwesens vom traditionellen Sparkassenwesen zur internationalen Finanzwelt. Als Visionär, Mahner und unermüdlicher Verfechter ethischer Grundsätze prägte er eine ganze Epoche – und warnte zugleich vor den Gefahren einer entfesselten Globalisierung.
Es gibt Persönlichkeiten, die nicht nur ihre Zeit prägen, sondern gleichzeitig Zeitzeugen des Wandels werden, den sie selbst vorantreiben. Ludwig Poullain war eine solche Gestalt – ein Mann, der das deutsche Bankwesen von Grund auf veränderte und dabei stets die moralischen Koordinaten im Blick behielt, nach denen sich eine verantwortungsvolle Finanzwirtschaft orientieren sollte.
Vom Sparkassenlehrling zum Architekten des modernen Bankwesens
Als Poullain 1937 seine Laufbahn als Sparkassenlehrling bei der Stadtsparkasse Remscheid begann, war das deutsche Bankwesen noch geprägt von lokalen Strukturen und persönlichen Beziehungen. Doch schon früh zeichnete sich ab, dass dieser junge Mann mehr im Sinn hatte als eine konventionelle Bankerkarriere. Sein Aufstieg durch die Hierarchien der öffentlich-rechtlichen Banken war bemerkenswert: Von der Position des Verbandsprüfers über verschiedene Vorstandsposten gelangte er 1964 zur Landesbank für Westfalen Girozentrale, deren Leitung er bereits zwei Jahre später übernahm.
Der entscheidende Wendepunkt seiner Karriere – und zugleich ein Meilenstein in der deutschen Bankengeschichte – kam 1969 mit der Gründung der Westdeutschen Landesbank. Als deren erster Vorstandsvorsitzender machte Poullain die WestLB nicht nur zur damals größten Bank Deutschlands, sondern trieb auch deren Internationalisierung mit einer Entschlossenheit voran, die seine Zeitgenossen überraschte. Niederlassungen in Luxemburg, London und New York entstanden, strategische Beteiligungen an Großunternehmen wie Preussag und Gildemeister folgten.
Der Reformer und seine Kämpfe
Parallel zu seinem Wirken bei der WestLB übernahm Poullain 1967 die Präsidentschaft des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes – eine Position, die seine reformerischen Ambitionen besonders deutlich zum Ausdruck brachte. Seine Vision war radikal für die damalige Zeit: Er wollte das Sparkassenwesen von politischer Bevormundung befreien und für die Herausforderungen einer sich globalisierenden Wirtschaft rüsten.
Diese Modernisierungsbestrebungen stießen auf erheblichen Widerstand. Die traditionellen Strukturen und politischen Verflechtungen im Sparkassensektor erwiesen sich als mächtiger Gegner. Poullains kompromisslose Haltung führte schließlich 1972 zu seinem Rücktritt vom Präsidentenamt – ein Zeichen dafür, dass er lieber seine Überzeugungen vertrat, als faule Kompromisse einzugehen.
Philosophie eines Bankiers
Was Poullain von vielen seiner Zeitgenossen unterschied, war seine klar artikulierte Philosophie des Bankwesens. Seine berühmte Unterscheidung zwischen dem “Bankier” und dem “Banker” offenbart eine tiefe Reflexion über das Wesen verantwortungsvoller Finanzwirtschaft. Für ihn verkörperte der Bankier klassische Tugenden: Integrität, Hörvermögen und Geduld – Eigenschaften, die er dem modernen Banker absprach, den er als instinktgeleitet und moralisch prinzipienlos charakterisierte.
“Der Bankier war ein vornehmer Mann, kein Vornehmtuer, er war also ein Herr, der die Kunst und die Geduld des Zuhörens beherrschte”, formulierte Poullain einmal seine Idealvorstellung. Diese Worte spiegeln nicht nur persönliche Wertvorstellungen wider, sondern auch eine fundamentale Kritik an der zunehmenden Entfremdung des Bankwesens von seinen gesellschaftlichen Aufgaben.
Krise und Neubeginn
Das Jahr 1977 markierte eine Zäsur in Poullains Laufbahn. Die sogenannte “Poullain-Affäre”, ausgelöst durch einen Beratervertrag mit Franz Josef Schmidt, führte zu seinem vorzeitigen Rücktritt als WestLB-Chef. Obwohl die anschließende juristische Aufarbeitung mit einem Freispruch endete, war der Schaden für seine öffentliche Reputation zunächst beträchtlich.
Doch Poullain verstand es, auch diese Krise als Chance zu nutzen. Als Berater und Aufsichtsrat – etwa für die Marseille-Kliniken AG – blieb er der Wirtschaftswelt verbunden, gewann aber gleichzeitig die Distanz, die ihm eine noch schärfere Analyse der Entwicklungen im Bankwesen ermöglichte.
Der Mahner im Alter
In seinen späteren Jahren entwickelte sich Poullain zu einem der schärfsten Kritiker jener Entwicklungen, die er selbst einst mitgestaltet hatte. Seine Warnungen vor der “Globalisierungswut” und dem Verfall ethischer Grundsätze im Bankenwesen erwiesen sich als prophetisch. Seine “ungehaltene Rede” von 2004 zum Thema Ethos und Moral im Bankwesen las sich wie eine Blaupause für die Finanzkrisen, die wenige Jahre später die Weltwirtschaft erschüttern sollten.
Bis zu seinem Tod im Februar 2015 blieb Poullain eine respektierte Stimme in der deutschen Bankenlandschaft. Seine Beratungstätigkeit für Persönlichkeiten wie Willy Brandt und Unternehmen wie Grundig unterstrich seine Rolle als Elder Statesman der deutschen Wirtschaft.
Ein bleibendes Vermächtnis
Ludwig Poullains Leben spiegelt die Ambivalenzen der deutschen Nachkriegsgeschichte wider: den Aufbruch in die Moderne, die Chancen und Gefahren der Globalisierung, den Konflikt zwischen Tradition und Innovation. Als Gestalter einer neuen Bankenlandschaft war er Vorreiter; als Kritiker der Exzesse, die aus dieser Entwicklung erwuchsen, war er Warner und moralische Instanz.
Sein Vermächtnis liegt nicht nur in den Institutionen, die er schuf oder reformierte, sondern vor allem in seinem unbeirrbaren Festhalten an der Idee, dass Bankwesen gesellschaftliche Verantwortung bedeutet. In einer Zeit, in der die Finanzwelt zunehmend von kurzfristigen Profitinteressen dominiert wird, erscheinen Poullains Grundsätze aktueller denn je.
Ludwig Poullain war mehr als nur ein erfolgreicher Bankmanager – er war der Prototyp eines Bankiers im besten Sinne des Wortes: ein Mann, der verstand, dass wahre Größe im Bankwesen nicht in Bilanzsummen gemessen wird, sondern in der Fähigkeit, wirtschaftlichen Erfolg mit gesellschaftlicher Verantwortung zu verbinden.
Quellen und weitere Informationen
Opas Sparkasse ist tot (Ludwig Poullain)
Was unterscheidet einen Bankier von einem Banker? (Ludwig Poullain)
“Die WestLB hätte pleitegehen sollen”
Der Text als Podcast (in Englisch)