Im deut­schen Tech- und Fin­tech-Jour­na­lis­mus wie­der­holt sich ein bedenk­li­ches Mus­ter: die media­le Über­hö­hung ein­zel­ner Grün­der zu mythi­schen Figu­ren. Der Fall Dani­el Klein, das ver­meint­li­che „Phan­tom hin­ter SumUp“, zeigt, wie schnell kri­ti­sche Distanz ver­lo­ren gehen kann – und war­um der Wire­card-Skan­dal eine Mah­nung blei­ben muss.


Der deut­sche Elon Musk?

Seit Jah­ren beob­ach­ten Medi­en­ana­lys­ten, dass der deut­sche Wirt­schafts­jour­na­lis­mus ein wie­der­keh­ren­des Nar­ra­tiv pflegt: Grün­der und CEOs erfolg­rei­cher Tech-Unter­neh­men wer­den zu cha­ris­ma­ti­schen Sym­bol­fi­gu­ren sti­li­siert, wäh­rend ihre tat­säch­li­chen Struk­tu­ren, Stra­te­gien und Risi­ken im Schat­ten bleiben.

Das Bei­spiel Dani­el Klein illus­triert die­ses Mus­ter in Rein­form. Der Mit­grün­der von SumUp tritt sel­ten öffent­lich auf, sei­ne Per­son wird von einer Aura des Geheim­nis­vol­len umge­ben. Die media­le Zuschrei­bung als „Phan­tom hin­ter SumUp“[1]SumUp: Das Phan­tom hin­ter dem wert­volls­ten Fin­tech aus Deutsch­land erfüllt genau jene dra­ma­tur­gi­sche Funk­ti­on, die im Wirt­schafts­jour­na­lis­mus so beliebt ist: Sie ver­wan­delt kom­ple­xe Orga­ni­sa­tio­nen in ein­fa­che Geschich­ten – mit Hel­den, Mythen und Projektionen.

Per­so­na­li­sie­rung als Erzählstrategie

Die Per­so­na­li­sie­rung wirt­schaft­li­cher Erfol­ge ist kei­ne neue Erschei­nung. Doch sie hat im Tech-Sek­tor eine neue Qua­li­tät erreicht. Der Kult um „Genies“ oder „Visio­nä­re“ – von Ste­ve Jobs bis Elon Musk – prägt mitt­ler­wei­le auch den deut­schen Dis­kurs. Füh­rungs­per­sön­lich­kei­ten wer­den zu Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren, ihre Unter­neh­men zu Spie­geln ihrer ver­meint­li­chen Genialität.

Die­se Form der Erzäh­lung hat eine gefähr­li­che Kehr­sei­te: Sie erschwert kri­ti­sche Nach­fra­gen nach Gover­nan­ce, Team­struk­tu­ren und Trans­pa­renz. Wo das ver­meint­li­che Cha­ris­ma einer Ein­zel­per­son domi­niert, gera­ten die rea­len Macht- und Kon­troll­ver­hält­nis­se aus dem Blick. Die Kom­ple­xi­tät eines Unter­neh­mens wird auf die Per­sön­lich­keit eines ver­meint­li­chen Visio­närs reduziert.

Der Halo-Effekt: Wenn Cha­ris­ma die Wahr­neh­mung verzerrt

Im Zen­trum die­ser Dyna­mik steht ein klas­si­scher psy­cho­lo­gi­scher Mecha­nis­mus: der Halo-Effekt. Er beschreibt die Ten­denz, von einer her­aus­ra­gen­den Eigen­schaft – etwa Cha­ris­ma, Erfolg oder Visi­on – auf ande­re Qua­li­tä­ten zu schließen.

Wenn ein Grün­der als „Visio­när“ gilt, wird auto­ma­tisch ange­nom­men, er sei auch inte­ger, stra­te­gisch bril­lant und mora­lisch gefes­tigt. Die­se kogni­ti­ve Ver­zer­rung wirkt beson­ders stark in Medi­en­n­ar­ra­ti­ven, weil sie kom­ple­xe Rea­li­tä­ten emo­tio­nal anschluss­fä­hig macht. Der Halo-Effekt ver­wan­delt indi­vi­du­el­le Aus­strah­lung in kol­lek­ti­ve Bewun­de­rung – und senkt gleich­zei­tig die Bereit­schaft zur kri­ti­schen Prüfung.

Im Fall Dani­el Klein bedeu­tet das: Die media­le Fas­zi­na­ti­on für das „Phan­tom­haf­te“ ver­stärkt sei­ne Aura, obwohl gera­de die­se Intrans­pa­renz kri­tisch hin­ter­fragt wer­den müss­te. Statt­des­sen ent­steht ein umge­kehr­ter Logik­feh­ler – je weni­ger sicht­bar jemand ist, des­to grö­ßer scheint sein Mythos.

Mythen­bil­dung als Projektion

Ver­glei­che mit Elon Musk sind im Jour­na­lis­mus beson­ders wirk­sam, weil sie tief­sit­zen­de kul­tu­rel­le Vor­stel­lun­gen bedie­nen: Wage­mut, Dis­rup­ti­on, tech­no­lo­gi­sche Erlö­sung. Die­se Nar­ra­ti­ve funk­tio­nie­ren als Pro­jek­ti­ons­flä­chen für Hoff­nung und Fort­schritt – und sind daher idea­le Werk­zeu­ge für media­les Bran­ding. Doch sie sind auch gefähr­li­che Illusionen.

Wer den Grün­der zum Mythos erhebt, über­sieht leicht die Struk­tu­ren, die wirk­li­chen Erfolg – oder Schei­tern – bestim­men. Inno­va­ti­on wird per­so­na­li­siert, Risi­ko roman­ti­siert, Kon­trol­le vernachlässigt.

Wire­card als blei­ben­de Mahnung

Der Fall Wire­card soll­te die­se Mecha­nis­men eigent­lich dau­er­haft ent­zau­bert haben. Auch Mar­kus Braun wur­de lan­ge als visio­nä­rer Vor­den­ker gefei­ert, als deut­scher Hoff­nungs­trä­ger im glo­ba­len Tech-Spiel. Erst als der Skan­dal explo­dier­te, wur­de sicht­bar, wie sehr die Per­so­na­li­sie­rung die Wahr­neh­mung von Kon­troll­ver­sa­gen über­la­gert hatte.

Dass nun erneut ein „Phan­tom-Unter­neh­mer“ die Schlag­zei­len füllt, ohne dass sub­stan­zi­el­le Fra­gen zu Gover­nan­ce, Finanz­struk­tur oder Trans­pa­renz gestellt wer­den, zeigt: Die jour­na­lis­ti­sche Lek­ti­on aus Wire­card ist, wenn über­haupt, nur halb gelernt.

Ein Plä­doy­er für pro­fes­sio­nel­le Distanz

Die Fixie­rung auf cha­ris­ma­ti­sche Ein­zel­per­so­nen offen­bart ein tie­fe­res Struk­tur­pro­blem: den Wunsch nach ein­fa­chen Geschich­ten in kom­ple­xen Sys­te­men. Doch nach­hal­ti­ge Beur­tei­lun­gen von Tech- und Fin­tech-Unter­neh­men erfor­dern mehr – sie ver­lan­gen kri­ti­sche Ana­ly­se statt Mythos, Trans­pa­renz statt Projektion.

Fazit:

Die media­le Mys­ti­fi­zie­rung von Figu­ren wie Dani­el Klein ist Sym­ptom einer tie­fer­lie­gen­den Sehn­sucht nach Hel­den in einer kom­ple­xen Wirt­schafts­welt. Doch die Geschich­te von Wire­card hat gezeigt, wohin unkri­ti­sche Fas­zi­na­ti­on füh­ren kann.


Quel­len:

Der Halo-Effekt: Wie wir uns von Erfolgs­ge­schich­ten blen­den lassen

War­um der deut­sche Wirt­schafts­jour­na­lis­mus sei­ne Wäch­ter­rol­le ver­lo­ren hat

Wire­card und die Medien