Getting your Trinity Audio player ready...

Wenn die Euro­päi­sche Zen­tral­bank oder die US-ame­ri­ka­ni­sche Fede­ral Reser­ve ihre Zin­sen ändern, spürt dies auch Kana­da deut­lich – aber auf völ­lig unter­schied­li­che Wei­se. Eine neue Stu­die zeigt erst­mals sys­te­ma­tisch auf, wie sich euro­päi­sche und ame­ri­ka­ni­sche Geld­po­li­tik über ver­schie­de­ne Kanä­le auf die kana­di­sche Wirt­schaft aus­wirkt und war­um Otta­wa dar­auf jeweils anders reagie­ren muss.


In der ver­netz­ten Welt­wirt­schaft des 21. Jahr­hun­derts sind die Zei­ten vor­bei, in denen Geld­po­li­tik ein rein natio­na­les Phä­no­men war. Wenn die mäch­tigs­ten Zen­tral­ban­ken der Welt – die Fede­ral Reser­ve in Washing­ton oder die Euro­päi­sche Zen­tral­bank in Frank­furt – ihre Zin­sen ver­än­dern, sen­den sie Schock­wel­len durch das glo­ba­le Finanz­sys­tem. Beson­ders klei­ne­re, han­dels­ori­en­tier­te Volks­wirt­schaf­ten wie Kana­da ste­hen dabei vor der Her­aus­for­de­rung, mit den Aus­wir­kun­gen die­ser exter­nen geld­po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen umzugehen.

Die unsicht­ba­ren Fäden der glo­ba­len Geldpolitik

Eine weg­wei­sen­de Stu­die[1]In-bet­ween Trans­at­lan­tic (Mone­ta­ry) Dis­tur­ban­ces von Jean­ne Aub­lin und Sant­ia­go Cama­ra beleuch­tet nun erst­mals sys­te­ma­tisch, wie sich geld­po­li­ti­sche Schocks aus Euro­pa und den USA auf Kana­da aus­wir­ken. Dabei offen­bart ihre For­schung ein über­ra­schen­des Bild: Die Aus­wir­kun­gen unter­schei­den sich nicht nur in ihrer Stär­ke, son­dern fol­gen völ­lig ver­schie­de­nen Übertragungswegen.

Die Autoren nut­zen dabei eine metho­disch inno­va­ti­ve Her­an­ge­hens­wei­se. Mit Hil­fe von VAR-Model­len und loka­len Pro­jek­ti­ons­re­gres­sio­nen gelingt es ihnen, die rei­nen geld­po­li­ti­schen Effek­te von soge­nann­ten Infor­ma­ti­ons­ef­fek­ten zu tren­nen – ein wich­ti­ger Fort­schritt, da bis­he­ri­ge Stu­di­en oft bei­de Aspek­te ver­misch­ten und dadurch zu ver­zerr­ten Ergeb­nis­sen kamen.

Euro­pa wirkt über den Han­del, Ame­ri­ka über die Finanzen

Das zen­tra­le Ergeb­nis der Stu­die ist eben­so ver­blüf­fend wie auf­schluss­reich: Zins­schocks der EZB und der Fed tref­fen die kana­di­sche Wirt­schaft über völ­lig unter­schied­li­che Kanä­le. Wenn die Euro­päi­sche Zen­tral­bank ihre Zin­sen erhöht, spürt Kana­da dies pri­mär über den inter­na­tio­na­len Han­del. Der kana­di­sche Dol­lar wer­tet ab, die Ölprei­se fal­len, und die Expor­te gehen zurück. Die hei­mi­schen Finanz­märk­te blei­ben hin­ge­gen weit­ge­hend unberührt.

Ganz anders ver­hält es sich bei geld­po­li­ti­schen Schocks aus den USA. Hier ste­hen die Finanz­ka­nä­le im Vor­der­grund: Die kana­di­schen Finanz­be­din­gun­gen ver­schär­fen sich erheb­lich, Akti­en- und Immo­bi­li­en­märk­te gera­ten unter Druck. Die direk­ten Han­dels­ef­fek­te sind dage­gen begrenzt. Die­se unter­schied­li­chen Über­tra­gungs­we­ge spie­geln Kana­das beson­de­re Posi­ti­on in der Welt­wirt­schaft wider – eng ver­bun­den mit den USA über die Finanz­märk­te und gleich­zei­tig als bedeu­ten­der Roh­stoff­ex­por­teur in glo­ba­le Han­dels­strö­me eingebunden.

Ver­schie­de­ne Schocks, ver­schie­de­ne Antworten

Beson­ders bemer­kens­wert ist, wie die Bank of Cana­da auf die­se unter­schied­li­chen exter­nen Schocks reagiert. Wäh­rend sie auf eine Zins­er­hö­hung der Fed mit einer eige­nen Zins­er­hö­hung ant­wor­tet – gewis­ser­ma­ßen im Gleich­schritt mit dem gro­ßen Nach­barn –, reagiert sie auf EZB-Schocks mit einer Zins­sen­kung. Die­se schein­bar wider­sprüch­li­che Reak­ti­on macht jedoch aus öko­no­mi­scher Sicht durch­aus Sinn: Sie ver­sucht jeweils, die nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen auf die kana­di­sche Wirt­schaft abzufedern.

Die zeit­li­chen Ver­läu­fe der bei­den Schock­ar­ten unter­schei­den sich eben­falls mar­kant. Wäh­rend EZB-Schocks zu einem schnel­len, aber rela­tiv kur­zen Ein­bruch der Wirt­schafts­ak­ti­vi­tät füh­ren, sind die Aus­wir­kun­gen von Fed-Schocks gra­du­el­ler, dafür aber län­ger anhal­tend. Die­se Unter­schie­de haben wich­ti­ge Impli­ka­tio­nen für die opti­ma­le geld­po­li­ti­sche Reak­ti­on der kana­di­schen Zentralbank.

Leh­ren für eine ver­netz­te Welt

Die Erkennt­nis­se der Stu­die rei­chen weit über den kana­di­schen Kon­text hin­aus. Sie ver­deut­li­chen, dass die tra­di­tio­nel­le Fokus­sie­rung auf US-ame­ri­ka­ni­sche Geld­po­li­tik als domi­nan­ten exter­nen Fak­tor zu kurz greift. Auch die Geld­po­li­tik ande­rer gro­ßer Wirt­schafts­räu­me – wie der Euro­zo­ne – kann erheb­li­che Spill­over-Effek­te haben, die jedoch über ande­re Kanä­le wirken.

Für poli­ti­sche Ent­schei­dungs­trä­ger in klei­nen, offe­nen Volks­wirt­schaf­ten bedeu­tet dies, dass sie ein brei­te­res Spek­trum inter­na­tio­na­ler Ent­wick­lun­gen im Blick behal­ten müs­sen. Die Annah­me, dass exter­ne geld­po­li­ti­sche Schocks immer über die­sel­ben Mecha­nis­men wir­ken, erweist sich als trü­ge­risch. Viel­mehr erfor­dert die opti­ma­le Reak­ti­on ein dif­fe­ren­zier­tes Ver­ständ­nis der jewei­li­gen Übertragungskanäle.

Ein neu­er Blick auf alte Zusammenhänge

Die Stu­die von Aub­lin und Cama­ra mar­kiert einen wich­ti­gen Fort­schritt in unse­rem Ver­ständ­nis inter­na­tio­na­ler geld­po­li­ti­scher Spill­over-Effek­te. Indem sie die unter­schied­li­chen Wir­kungs­ka­nä­le sys­te­ma­tisch auf­schlüs­selt, eröff­net sie neue Per­spek­ti­ven für die Gestal­tung der Geld­po­li­tik in einer zuneh­mend ver­netz­ten Weltwirtschaft.

Die Bot­schaft ist klar: In einer mul­ti­po­la­ren Finanz­welt reicht es nicht aus, nur auf die mäch­tigs­te Zen­tral­bank zu schau­en. Die glo­ba­len geld­po­li­ti­schen Ver­flech­tun­gen sind kom­ple­xer gewor­den, und die­se Kom­ple­xi­tät erfor­dert sowohl von For­schern als auch von Prak­ti­kern einen dif­fe­ren­zier­te­ren Ansatz. Kana­das Erfah­run­gen zei­gen exem­pla­risch, wie wich­tig es ist, die ver­schie­de­nen Kanä­le inter­na­tio­na­ler geld­po­li­ti­scher Über­tra­gung zu ver­ste­hen und ent­spre­chend dar­auf zu reagieren.