Von Ralf Keuper
Die Finanz­kri­se hat – nicht nur – der bri­ti­schen Regie­rung vor Augen geführt, wie ris­kant die Fixie­rung auf die Finanz­in­dus­trie für die eige­ne Volks­wirt­schaft sein kann. Um mit­tel- bis lang­fris­tig die­se Abhän­gig­keit zu ver­rin­gern, hat sich die Regie­rung ent­schlos­sen, die Öko­sys­te­me, die sich im Umfeld der Start­ups aus dem Tech­no­lo­gie­sek­tor gebil­det haben, zu för­dern. Bei­spiel­haft dafür ist das Tech­no­lo­gy Stra­tegy Board
Ges­tern hat­te ich Gele­gen­heit, im Haus der Natio­nen auf der CeBIT Zuhö­rer einer Podi­ums­dis­kus­si­on zu sein, deren Gegen­stand das Start­up-Öko­sys­tem im Ver­ei­nig­ten König­reich war
Auf Ein­la­dung des bri­ti­schen Han­dels­mi­nis­te­ri­ums dis­ku­tier­ten füh­ren­de Ver­tre­ter des Start­up-Öko­sys­tems im Ver­ei­nig­ten König­reich, dar­un­ter Ruz Chish­ty, James Clark, Jose Bort,  Chris Moo­re und Stuart Cole­man, mit dem Publi­kum über die Ent­wick­lung der ver­gan­ge­nen Jah­re, ins­be­son­de­re in der Hoch­burg Lon­don, wie auch über die aktu­el­le Situation. 
Jose Bort beschrieb die beein­dru­cken­de Ent­wick­lung des Start­up-Öko­sys­tems in Lon­don. Inner­halb der letz­ten drei Jah­re hat sich dort eine Dyna­mik ent­fal­tet, die wohl ein­ma­lig in der Welt ist. Mitt­ler­wei­le fin­den bis zu 60 Events täg­lich in der Lon­do­ner Start­up-Sze­ne statt, die Gele­gen­heit bie­ten, Kon­tak­te zu knüp­fen und Erfah­run­gen eben­so wie Infor­ma­tio­nen aus­zu­tau­schen. Die Sze­ne ist bunt gemischt. Sie setzt sich zusam­men aus Inves­to­ren (Busi­ness Angels, VC, Akze­le­ra­to­ren), (Startup-)Unternehmern, Bera­tern (Advi­sors), Ver­an­stal­tern, auf­stre­ben­den Talen­ten und Wissenschaftlern. 
Ähn­lich, wenn auch nicht in die­sem Umfang, ver­hält es sich in den Öko­sys­te­men der ande­ren Städ­ten im Ver­ei­nig­ten König­reich, wie in Man­ches­ter, Bir­ming­ham, New­cast­le, Leeds, Bris­tol, Aber­deen und Glas­gow. Einen ers­ten Ein­druck ver­mit­telt tech­ce­le­ar­te. Die Fin­tech-Start­ups sind im Ver­ei­nig­ten König­reich, schon allei­ne wegen der Nähe zur “City”,  fast durch­weg in Lon­don ange­sie­delt. In der Dis­kus­si­on fiel dann auch die Bemer­kung “Lon­don as a brand”. 
Als beson­ders posi­tiv wur­den von den Dis­kus­si­ons­teil­neh­mern die steu­er­li­che Behand­lung von Start­ups wie über­haupt die kur­zen Antrags­pro­zes­se im Ver­ei­nig­ten König­reich genannt. Das Antrags­ver­fah­ren ist deut­lich schlan­ker und effi­zi­en­ter als auf dem Kon­ti­nent, wie ein Teil­neh­mer mit leicht süf­fi­san­tem Unter­ton anmerk­te. Zwar sei­en Busi­ness­plä­ne nicht ohne Belang für die Bewil­li­gung von Start­ka­pi­tal, min­des­tens eben­so wich­tig sei aber der Ein­druck, den das Team auf die Inves­to­ren und Behör­den macht – “We want to see the team”.  Die Steu­er­be­hör­den sei­en Start­ups gegen­über aus­ge­spro­chen koope­ra­tiv und fle­xi­bel eingestellt. 
Unter­des­sen sind die Aus­wir­kun­gen des Start­up-Booms im Ver­ei­nig­ten König­reich auch auf volks­wirt­schaft­li­cher Ebe­ne spür- und sicht­bar. Die Invest­ments haben in den letz­ten Mona­ten an Zahl und Volu­men deut­lich zuge­nom­men. Je nach der Höhe des Finan­zie­rungs­vo­lu­mens bie­ten sich neben VC-Gesell­schaf­ten auch zuneh­mend Crowd­fun­ding und P2P Len­ding an. 
Das Ver­ei­nig­te König­reich wirbt damit, dass sich hier – im Gegen­satz zum Sili­con Val­ley oder New York, genannt wur­den zuvor auch noch Bar­ce­lo­na und Ber­lin – in einem Umkreis von weni­gen Fahr­stun­den gleich meh­re­re Start­up-Öko­sys­te­me mit ver­schie­de­nen Schwer­punk­ten befin­den. In die­ser Form der­zeit ein­ma­lig in der Welt. 
Einer der Zuhö­rer sag­te dann auch, dass sein Geschäfts­part­ner und er  eini­ge Zeit mit einem Umzug ins Sili­con Val­ley gelieb­äu­gelt, sich auf­grund der genann­ten Vor­tei­le jedoch zum Blei­ben ent­schlos­sen hätten. 
Als Nach­teil bzw. noch aus­bau­fä­hig wur­de die Zusam­men­ar­beit mit Uni­ver­si­tä­ten und For­schungs­in­sti­tu­ten bezeich­net. Lobend in dem Zusam­men­hang erwähnt wur­de Deutsch­land mit sei­nen Fraunhofer-Instituten. 
Im Ver­ei­nig­ten König­reich sind die ers­ten Erfol­ge bei dem Vor­ha­ben, das (volks­wirt­schaft­li­che) Geschäfts­mo­dell brei­ter aus­zu­le­gen, sicht­bar. Nach­dem die Finanz­in­dus­trie sich als Achil­les­ver­se gezeigt hat und die klas­si­sche Indus­trie auf der Insel kaum noch in nen­nens­wer­tem Umfang ver­tre­ten ist, wie James Dys­on nicht ganz zu Unrecht beklagt, hat man aus der Not eine Tugend gemacht. Befreit von “Alt­las­ten” setzt man nun ganz auf die Neu­en Technologien. 
Aus deut­scher Sicht ist es wirk­lich beein­dru­ckend, wie moti­viert, ja enthu­si­as­tisch die Bri­ten ans Werk gehen. Auf der Ver­an­stal­tung war – für mich jeden­falls – eine Auf­bruch­stim­mung deut­lich spür­bar. Was den Auf­bau und die Pfle­ge von Start­up-Öko­sys­te­men anbe­langt, kön­nen wir in Deutsch­land, aber nicht nur hier, noch eini­ges von den Bri­ten ler­nen. Damit ist nicht gemeint, dass wir sie kopie­ren soll­ten. Das ist allei­ne schon wegen der unter­schied­li­chen Wirt­schafts­sti­le nicht anzuraten. 
Abzu­war­ten bleibt, ob die Wet­te auf die Zukunft auf lan­ge Sicht im Ver­ei­nig­ten König­reich zu dem gewünsch­ten Ergeb­nis führt. Par­al­le­len zur Dot­com-Bla­se sind nicht ganz von der Hand zu wei­sen. Es wird sich zei­gen müs­sen, ob wir es hier nicht irgend­wann viel­leicht doch mit einer Start­up-Bla­se zu tun haben. Ent­schei­dend ist, dass die Dyna­mik lang­fris­ti­ge, dau­er­haf­te, neu­deutsch: nach­hal­ti­ge Geschäfts­mo­del­le her­vor­bringt, die sich auf glo­ba­ler Ebe­ne ska­lie­ren lassen. 
Soll­te das gelin­gen, dann könn­te von den bri­ti­schen Inseln eine neue indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on aus­ge­hen – nicht nur im Banking. 

Wei­te­re Informationen:

London’s Tech City Com­pared To Start­up Hubs Around The World | Eze Vid­ra and Saman­tha Evans

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