Von Ralf Keuper
Wenn Unternehmen und Institutionen mit einer Umwelt konfrontiert werden, die sich auf einmal anders zu verhalten scheint als gewohnt, hat das bei den handelnden Personen selten die kritische Reflexion des eigenen Denkens und Tuns zur Folge. Stattdessen werden Versuche unternommen, den alten Zustand, das alte Gleichgewicht wieder herzustellen. Statt Regeln, die den Umständen nicht mehr entsprechen, zu lockern, und Abweichungen bzw. Experimente zuzulassen, werden die Veränderungen in der Umwelt ignoriert bzw. wegerklärt. Nur – leider spielt die Umwelt da nicht mit.
Warum handeln Organisationen auf diese Weise angesichts von Veränderungen, die sie nicht in die gewünschte Richtung lenken können, da ihr Einfluss auf die Umwelt zu gering ist? Warum reagieren die Banken, gerade hierzulande, erst dann, wenn der Markt, die Kunden und der Wettbewerb schon längst den Wandel vollzogen, d.h. ihre Verhaltensmuster und Strategien geändert haben – Beispiel paydirekt? Und die entscheidende Frage in dem Zusammenhang: Wieso schafft es eine Branche nicht, in Bereichen zu kooperieren, wo die eigene Marktmacht nicht ausreicht, wie beim Zahlungsverkehr oder neuerdings den Digitalen Identitäten? Kurzum: Was hindert Organisationen wie Banken daran, die inneren Widerstände zu überwinden und den neuen Realitäten ins Auge zu sehen?
In Organisationen hat die Politik einen großen Einfluss auf die Entscheidungsfindung. Nicht umsonst prägte Herbert Wehner den Satz:
Organisation ist Politik.
In der Politik geht es nur selten darum, der besten Lösung zum Durchbruch zu verhelfen, sondern die eigenen sowie die Interessen der Partei und der Wählerschaft durchzusetzen, zumindest aber einen auskömmlichen Kompromiss zu erzielen. Daran ist zunächst nichts Verwerfliches – es wäre lebensfremd anzunehmen, dass Personen und Parteien die eigenen Machtinteressen zugunsten einer Lösung, die möglicherweise nicht von einem selbst stammt und deren Erfolgsaussichten nicht garantiert werden können, zurückstellen. Wird diese Handlungslogik auf Unternehmen übertragen, kann das schnell zum Niedergang, zum Marktaustritt oder zum Gang in den Bedeutungslosigkeit ganzer Branchen führen.
In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat die technologische Entwicklung, die häufig als Digitalisierung bezeichnet wird, zu einem veränderten Marktumfeld geführt. Die Martkeintrittsbarrieren sind gesunken, die Branchengrenzen verwischen zunehmend. Die Datenströme als Hauptschlagader der Banken fließen immer häufiger an ihnen vorbei auf die großen Plattformen und Ökosysteme der Technologiekonzerne wie Google, Apple, Amazon oder Alibaba. Die Banken haben keinen uneingeschränkten Zugriff auf die für sie wichtigsten Rohstoffe: Daten und daraus gewonnene Informationen. Verzweifelt wird nun versucht, die Umwelt, wie früher, in die Organisation zu integrieren und unter Kontrolle zu bringen. Die alten Schutzmechanismen (Lobbyismus, Preispolitik und Reorganisationen) wirken nicht mehr. Selbst die Regulierung, über Jahrzehnte die wichtigste Eintrittshürde für neue Mitbewerber, schreckt nicht mehr ab. Banken sollen sich nun in digitale Plattformen verwandeln, um dadurch die verloren gegangene Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erlangen und ihre angestammte Rolle als Drehschreibe für den Daten- und Informationsfluss der Wirtschaft wieder einzunehmen. Kooperationen mit Fintech-Startups sollen für die nötige Zufuhr an Know How und Ideen, wie überhaupt für den richtigen Mindset sorgen. Damit glaubt man den eigenen Machtverlust als Branche, als Bank und als Manager, stoppen zu können.
Womöglich sind die Banken, ebenso wie viele Einzelhändler und Industrieunternehmen, davon ausgegangen, dass auch diese technologische Revolution an ihnen spurlos vorüber gehen würde – wie schon so oft in der Vergangenheit. Bereits mit dem Aufkommen der Personal Computer deutete sich das Machtbeben an, welches in den letzten Jahren mit der Verbreitung des Smartphone sowie der zunehmenden Mobilität und Vernetzung der Menschen und Geräte ihren vorläufigen Höhepunkt fand, an. Alvin Toffler stellte bereits sin den 1980er Jahren fest:
Wie bei Revolutionen die Regel, ging es auch bei der Mikro-Revolution drunter und drüber. Einzelpersonen und ihre Abteilungen kauften Hals über Kopf irgendwelche Maschinen, Software und Dienstleistungen; das elektronische Durcheinander war perfekt. Solange diese Dinge allein für sich standen, machte das nicht viel aus. Aber als die Einzelarbeitsplätze sich untereinander, mit den Großrechnern und der Außenwelt unterhalten sollten, zeigten sich alle Nachteile der ungebremsten Freiheit (in: Machtbeben. Wissen, Wohlstand und Macht im 21. Jahrhundert).
Die Befürchtung in den IT-Abteilungen und auf der Vorstandsebene, die Kontrolle über das Zusammenspiel von Maschinen, Programmen und Datenbanken zu verlieren, war groß. Schnell begab man sich auf die Suche nach entsprechenden Standards und Regeln, die für mehr Planungssicherheit und Zentralisierung sorgten. Die große Zeit der Systemintegration brach an. Was aber tun, wenn ein Großteil der relevanten Daten außerhalb der Unternehmensgrenzen auf der Cloud oder auf großen digitalen Ökosystemen gehalten wird, die sich nicht mehr in das eigene System integrieren lassen? Wenn in der Umwelt, so Toffler, ganze Branchen und Industriezweige sich im Infokrieg befinden, strahlt das bis in die Organisationen und ihre handelnden Personen hinein.
Die CIOs und ihre Mannen werden gewollt oder ungewollt zu Infokriegern. Denn, egal ob sie ihr Geschäft so verstehen oder nicht, ihre weithin anerkannte Aufgabe besteht in der Umverteilung der Macht (ebd.).
Wie will eine Organisation, wie eine Bank, die großen Wert auf stabile äußere Verhältnisse und interne Regelungen legt, in einem dynamischen Marktumfeld, das solche externen und internen Stabilitätszonen aufzulösen beginnt, überleben?
Je turbulenter, labiler und ausgewogener die Geschäftsumwelt von morgen wird, desto unabsehbarer werden die Bedürfnisse der Benutzer.
Schneller Wandel bedeutet auch immer Zufall. Bedeutet Ungewissheit. Bedeutet Konkurrenz aus der am wenigsten erwarteten Ecke. Bedeutet zusammensackende Großprojekte und erfolgspralle Kleinvorhaben. Er bedeutet neue Technologien, neuartige Fähigkeiten der Mitarbeiter und nie da gewesene Wirtschaftsbedingungen.
Das alles verschlimmert sich weiter, wenn die Konkurrenz scharf ist und oft genug aus Ländern oder Kulturen kommt, die so ganz anders aussehen als die, für die die Aktivität gedacht war (ebd.)
Toffler erkannte einen Widerspruch zwischen den an Stabilität und Kontrolle ausgerichteten IT-Landschaften der Unternehmen und der Innovationsfähigkeit.
Je sicherer und verlässlicher ein Informationssystem ist, je geschützter, vordefinierter, vorstrukturierter und überwachter, desto mehr wird es die Kreativität hemmen und die Einfallskanäle verstopfen.
So erfahren wir denn, dass die Informationskriege, die jetzt in der Welt draußen toben, vom Supermarkt-Scanner bis zu den Fernsehnormen und zum Techno-Nationalismus, ihr Ebenbild auch in den Unternehmen haben (ebd.)
Die Banken hierzulande sind in Strukturen gefangen, die über Jahrzehnte gewachsen sind , und zu einem “Mindset” wie auch zu einer Politik geführt haben, die sich von innen kaum noch überwinden lassen. Insofern wirken die Bestrebungen der Sparkassen, eine Superlandesbank zu gründen ebenso rückwärtsgewandt und einfallslos, wie die von der Bundespolitik vorangetriebene Fusion von Deutscher Bank und Commerzbank.
Die Rechenzentren der Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind nicht selten Schauplatz interner Machtkämpfe wie auch von Konflikten, die von außen, den Verbänden und Banken/Sparkassen, in ihre Organisationen hinein getragen werden. Es herrscht eine Handlungslogik, die sich wiederum an der alten Branchenlogik orientiert. Man ist überwiegend mit sich selbst, mit Politik beschäftigt. Demgegenüber werden in den großen Technologiekonzernen wie Apple, Google oder Amazon die wichtigen strategischen Entscheidungen von wenigen Personen gefällt und im Anschluss daran ohne große Zeitverzögerung umgesetzt. Das soll nicht bedeuten, es gäbe bei Amazon & Co. keine politischen Machtkämpfe – nur werden diese schnell zweitrangig, wenn das Top-Management eine Richtung vorgibt und den Fortschritt kontrolliert. Wenige Häuptlinge regieren viele Indianer.
“Im Geschäft von morgen”, so Toffler, “wird die Macht denen zuflößen, die die besten Informationen über die Grenzen der Informationen haben”. Es komme nicht so sehr auf die Menge der Daten, sondern darauf an, wie sich daraus Informationen und neues Wissen gewinnen lässt, das einem Unternehmen die Grenzen des eigenen wie auch des Wissens der anderen Akteure bzw. des Marktes schneller erkennen lässt. Schaut man sich die großen Technologiekonzerne näher an, dann ist das ihre eigentliche Triebfeder. Sie haben also den Blick vorwiegend nach außen gerichtet. Interne Machtkämpfe und Interessenkonflikte vermögen es hier nicht, den Blick zu verengen und nach innen zu richten. Von dieser Haltung sind die Banken noch sehr weit entfernt – zu weit.