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In Deutsch­land brö­ckelt ein Relikt aus ver­gan­ge­nen Zei­ten: Die regio­na­len Spar­kas­sen­ver­bän­de ent­pup­pen sich zuneh­mend als dys­funk­tio­na­le Macht­zen­tren ohne ope­ra­ti­ve Ver­ant­wor­tung. Wäh­rend sich das deut­sche Wirt­schafts­mo­dell grund­le­gend wan­delt, ver­fol­gen die­se Zwi­schen­in­stan­zen oft eige­ne Agen­den. Eine orga­ni­sa­ti­ons­theo­re­ti­sche Ana­ly­se zeigt: Insti­tu­tio­nen, die ihre gesell­schaft­li­che Legi­ti­ma­ti­on ver­lie­ren, müs­sen abge­schafft werden.


Die zwölf regio­na­len Spar­kas­sen- und Giro­ver­bän­de Deutsch­lands glei­chen einem Schau­spiel aus ver­gan­ge­nen Zei­ten. Was einst als sinn­vol­le Koor­di­na­ti­ons­ebe­ne zwi­schen loka­len Spar­kas­sen und dem Bun­des­ver­band gedacht war, hat sich zu einem Sys­tem ent­wi­ckelt, das mehr Pro­ble­me schafft als löst. Die Prot­ago­nis­ten die­ser Ver­bän­de agie­ren wie Fürs­ten ohne Land – mit erheb­li­chem poli­ti­schem und media­lem Ein­fluss, aber ohne ope­ra­ti­ve Ver­ant­wor­tung oder mess­ba­re Wertschöpfung.

Macht­spie­le ohne Verantwortung

Die struk­tu­rel­len Pro­ble­me sind offen­sicht­lich: Die Regio­nal­ver­bän­de fun­gie­ren als Stabs­ab­tei­lun­gen ohne direk­te Befehls­ge­walt, neh­men aber den­noch enor­men Ein­fluss auf das gesam­te Spar­kas­sen­sys­tem. Sie orches­trie­ren Per­so­nal­ent­schei­dun­gen, bei denen sich kom­mu­na­le Trä­ger “über­fah­ren” füh­len, und domi­nie­ren poli­ti­sche Pro­zes­se durch geschick­te Medi­en­ar­beit und Netz­wer­ke. Das jüngs­te Bei­spiel der umstrit­te­nen Prä­si­den­ten­wahl des Deut­schen Spar­kas­sen- und Giro­ver­bands ver­deut­licht die­se Pro­ble­ma­tik: Trans­pa­renz und Sach­ori­en­tie­rung wei­chen oft den Inter­es­sen eta­blier­ter Netzwerke.

Beson­ders pro­ble­ma­tisch wird es, wenn die­se Zwi­schen­ebe­nen eige­ne Agen­den ver­fol­gen. Statt als neu­tra­le Ver­mitt­ler zwi­schen Basis und Spit­ze zu agie­ren, ent­wi­ckeln sie sich zu eigen­stän­di­gen Macht­zen­tren mit aus­ge­präg­ten Selbst­er­hal­tungs­in­ter­es­sen. Kar­rie­re­tech­ni­sche Ambi­tio­nen ein­zel­ner Funk­tio­nä­re über­la­gern dabei nicht sel­ten die ursprüng­lich gemein­nüt­zi­gen Zie­le der Sparkassenorganisation.

Die Leh­ren der Organisationstheorie

Peter Ber­ger und Tho­mas Luck­mann haben in ihrer weg­wei­sen­den Arbeit “Die gesell­schaft­li­che Kon­struk­ti­on der Wirk­lich­keit” einen fun­da­men­ta­len Grund­satz for­mu­liert: Insti­tu­tio­nen müs­sen ihre Exis­tenz­be­rech­ti­gung kon­ti­nu­ier­lich unter Beweis stel­len. Sie über­le­ben nur dann, wenn ihnen gesell­schaft­li­che Legi­ti­mi­tät zuge­spro­chen wird. Die­se Legi­ti­mi­tät speist sich nicht aus his­to­ri­schen Ver­diens­ten oder tra­di­tio­nel­len Struk­tu­ren, son­dern aus dem aktu­el­len, nach­weis­ba­ren Nut­zen für die Gesellschaft.

Die neo­in­sti­tu­tio­na­lis­ti­sche Orga­ni­sa­ti­ons­theo­rie bestä­tigt die­sen Befund: Insti­tu­tio­nen, die nicht mehr den gesell­schaft­lich aner­kann­ten Erwar­tun­gen ent­spre­chen oder deren Ratio­na­li­täts­my­then obso­let gewor­den sind, gera­ten unwei­ger­lich unter Legi­ti­ma­ti­ons­druck. Ohne fort­lau­fen­den Nach­weis ihres Mehr­werts dro­hen ihnen der Ver­lust von Res­sour­cen und letzt­lich die Auflösung.

Das Ver­sa­gen der Legitimationsprüfung

Wen­det man die­se theo­re­ti­schen Erkennt­nis­se auf die regio­na­len Spar­kas­sen­ver­bän­de an, wird das Aus­maß ihrer struk­tu­rel­len Kri­se deut­lich. Sie kön­nen weder einen mess­ba­ren Bei­trag zur Wert­schöp­fung noch zur Moder­ni­sie­rung des deut­schen Ban­ken­we­sens vor­wei­sen. Statt­des­sen pro­du­zie­ren sie Rei­bungs­ver­lus­te, ver­zö­gern not­wen­di­ge Refor­men und bin­den Res­sour­cen, die an ande­rer Stel­le drin­gend benö­tigt würden.

In einer Zeit, in der sich das deut­sche Wirt­schafts­mo­dell grund­le­gend wan­delt und die Digi­ta­li­sie­rung tra­di­tio­nel­le Geschäfts­mo­del­le infra­ge stellt, wir­ken die­se Ver­bands­struk­tu­ren wie Brem­sen am Rad des Fort­schritts. Wäh­rend Spar­kas­sen vor Ort um Kun­den­nä­he und Inno­va­ti­ons­kraft kämp­fen müs­sen, beschäf­ti­gen sich ihre regio­na­len Dach­ver­bän­de mit inner­ver­band­li­chen Macht­spie­len und medi­en­wirk­sa­men Auf­trit­ten ohne sub­stan­zi­el­len Inhalt.

Der not­wen­di­ge Paradigmenwechsel

Die Kri­tik an den regio­na­len Spar­kas­sen­ver­bän­den ist weder neu noch unbe­rech­tigt. Kom­mu­na­le Trä­ger, unab­hän­gi­ge Beob­ach­ter und selbst Akteu­re inner­halb des Spar­kas­sen­sys­tems stel­len zuneh­mend deren Mehr­wert infra­ge. Die For­de­rung nach einer radi­ka­len Reform oder kom­plet­ten Abschaf­fung die­ser Ebe­ne gewinnt an Momentum.

Ein trag­fä­hi­ges, zukunfts­ori­en­tier­tes Wirt­schafts­mo­dell für Deutsch­land hat kei­nen Platz für dys­funk­tio­na­le Zwi­schen­in­stan­zen, die pri­mär dem Selbst­er­halt die­nen. Die Ent­schei­dung liegt auf der Hand: Ent­we­der die regio­na­len Spar­kas­sen­ver­bän­de fin­den zu einer neu­en, gesell­schaft­lich legi­ti­mier­ten Rol­le als akti­ve Gestal­ter der Moder­ni­sie­rung und Regio­nal­ent­wick­lung, oder sie müs­sen den Weg aller his­to­risch über­hol­ten Insti­tu­tio­nen gehen – in die Bedeu­tungs­lo­sig­keit und schließ­lich zur Auflösung.

Die Zeit der Ver­bands­fürs­ten ist vor­bei. Was bleibt, ist die Fra­ge, ob die­se Erkennt­nis recht­zei­tig in struk­tu­rel­le Kon­se­quen­zen mün­det oder ob das Sys­tem unter der Last sei­ner eige­nen Wider­sprü­che zusammenbricht.


Quel­len:

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