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Zum ers­ten Mal in der Geschich­te der Fünf­ten Repu­blik spricht ein fran­zö­si­scher Finanz­mi­nis­ter öffent­lich über eine mög­li­che IWF-Ret­tung. Was undenk­bar schien, wird plötz­lich real: Die Gran­de Nati­on, einst Motor Euro­pas, tau­melt am Rand einer Staats­schul­den­kri­se. Mit 114 Pro­zent Ver­schul­dung, poli­ti­schen Blo­cka­den und dro­hen­den Gene­ral­streiks steht Frank­reich vor der größ­ten Bewäh­rungs­pro­be seit Jahrzehnten.


Es sind Wor­te, die in Frank­reich noch vor weni­gen Jah­ren als Staats­ver­rat gegol­ten hät­ten: Finanz­mi­nis­ter Eric Lom­bard warnt öffent­lich vor einer mög­li­chen Inter­ven­ti­on des Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds. Dass ein fran­zö­si­scher Regie­rungs­ver­tre­ter eine sol­che Demü­ti­gung auch nur als Mög­lich­keit in den Raum stellt, mar­kiert einen his­to­ri­schen Wen­de­punkt für ein Land, das sich seit Charles de Gaul­le als unab­hän­gi­ge Groß­macht begreift.

Die Ana­to­mie einer Krise

Die Zah­len spre­chen eine kla­re Spra­che: Bei einer Staats­ver­schul­dung von 114 Pro­zent des Brut­to­in­lands­pro­dukts und einem Haus­halts­de­fi­zit von 5,4 Pro­zent hat Frank­reich längst die roten Lini­en euro­päi­scher Finanz­po­li­tik über­schrit­ten. Wäh­rend ande­re EU-Staa­ten nach der Pan­de­mie den Weg der Kon­so­li­die­rung ein­ge­schla­gen haben, ver­harrt die fran­zö­si­sche Repu­blik in einem Teu­fels­kreis aus struk­tu­rel­len Defi­zi­ten und poli­ti­scher Lähmung.

Das schwa­che BIP-Wachs­tum von ledig­lich 0,3 Pro­zent im zwei­ten Quar­tal 2025 – in deut­schen Medi­en als “über­ra­schend” gefei­ert – offen­bart die gan­ze Tra­gik der Situa­ti­on: Selbst beschei­de­ne Erfol­ge wer­den zu Hoff­nungs­schim­mern sti­li­siert, wäh­rend die Fun­da­men­tal­da­ten eine ande­re Spra­che spre­chen. Die fran­zö­si­sche Wirt­schaft düm­pelt in einer Sta­gna­ti­on, die struk­tu­rel­le Ursa­chen hat und nicht mit kon­junk­tu­rel­len Pro­gram­men zu behe­ben ist.

Das poli­ti­sche Dilemma

Pre­mier­mi­nis­ter Fran­çois Bay­rou steht vor einer schier unlös­ba­ren Auf­ga­be. Sei­ne dras­ti­schen Spar­plä­ne pral­len auf den erbit­ter­ten Wider­stand einer Gesell­schaft ab, die über Jahr­zehn­te an die Groß­zü­gig­keit des fran­zö­si­schen Sozi­al­staats gewöhnt wur­de. Die Gewerk­schaf­ten haben bereits zu Gene­ral­streiks auf­ge­ru­fen – ein bewähr­tes Mit­tel fran­zö­si­scher Inter­es­sens­po­li­tik, das jedoch in der aktu­el­len Lage das Land wei­ter desta­bi­li­sie­ren könnte.

Die bevor­ste­hen­de Ver­trau­ens­fra­ge im Par­la­ment wird zum Lack­mus­test für die Hand­lungs­fä­hig­keit der fran­zö­si­schen Demo­kra­tie. Schei­tert Bay­rou, dro­hen Neu­wah­len in einer Zeit, in der poli­ti­sche Sta­bi­li­tät das Gebot der Stun­de wäre. Die Finanz­märk­te reagie­ren bereits ner­vös: Fal­len­de Akti­en­kur­se und stei­gen­de Zin­sen für fran­zö­si­sche Staats­an­lei­hen signa­li­sie­ren schwin­den­des Ver­trau­en in die Reform­fä­hig­keit der Gran­de Nation.

Der IWF als letz­ter Ausweg?

Dass der Inter­na­tio­na­le Wäh­rungs­fonds über­haupt als Opti­on ins Spiel gebracht wird, zeugt von der Ver­zweif­lung der poli­ti­schen Klas­se. Frank­reich, das sich stets als “zu groß zum Schei­tern” wähn­te, sieht sich plötz­lich in einer Liga mit jenen Län­dern, die tra­di­tio­nell auf inter­na­tio­na­le Hil­fe ange­wie­sen sind. Der IWF selbst zeigt sich noch zurück­hal­tend – sei­ne Pro­gno­sen für 2025 spre­chen von schwa­chem Wachs­tum von 0,6 Pro­zent und anhal­tend hohen Defi­zi­ten, eine Inter­ven­ti­on sei jedoch noch nicht nötig.

Doch die­se vor­sich­ti­ge Ein­schät­zung kann sich schnell ändern. Soll­ten die Finanz­märk­te das Ver­trau­en in die fran­zö­si­sche Zah­lungs­fä­hig­keit ver­lie­ren und sich die Zins­sät­ze dras­tisch erhö­hen, könn­te Frank­reich tat­säch­lich den Zugang zu den Kapi­tal­märk­ten ver­lie­ren. Dann wür­de aus der theo­re­ti­schen Mög­lich­keit einer IWF-Ret­tung bit­te­re Realität.

Euro­pas Bewährungsprobe

Die fran­zö­si­sche Kri­se ist mehr als ein natio­na­les Dra­ma – sie stellt die Euro­päi­sche Uni­on vor ihre größ­te Bewäh­rungs­pro­be seit der Grie­chen­land-Kri­se. Frank­reich ist nicht Grie­chen­land: Als zweit­größ­te Volks­wirt­schaft der EU und Grün­dungs­mit­glied der euro­päi­schen Inte­gra­ti­on wäre ein fran­zö­si­scher Kol­laps ein exis­ten­zi­el­ler Schock für das gesam­te Pro­jekt Europa.

Die Iro­nie der Geschich­te will es, dass aus­ge­rech­net jenes Land, das sich oft als Hüter euro­päi­scher Sou­ve­rä­ni­tät gerier­te, nun mög­li­cher­wei­se exter­ne Hil­fe benö­tigt. Die poli­ti­schen Eli­ten in Ber­lin und Brüs­sel beob­ach­ten die Ent­wick­lung mit wach­sen­der Sor­ge, denn eine IWF-Inter­ven­ti­on in Frank­reich wür­de das Macht­gleich­ge­wicht in Euro­pa fun­da­men­tal verschieben.

Ein Blick in die Zukunft

Frank­reich steht am Schei­de­weg. Ent­we­der gelingt es der poli­ti­schen Klas­se, über Par­tei­gren­zen hin­weg die not­wen­di­gen Refor­men durch­zu­set­zen, oder das Land rutscht in eine Staats­schul­den­kri­se ab, die nicht nur die fran­zö­si­sche Gesell­schaft, son­dern ganz Euro­pa erschüt­tern würde.

Die kom­men­den Mona­te wer­den zei­gen, ob die Gran­de Nati­on noch ein­mal die Kraft fin­det, sich aus eige­ner Kraft zu erneu­ern – oder ob zum ers­ten Mal in der Geschich­te der Fünf­ten Repu­blik exter­ne Akteu­re das Schick­sal Frank­reichs mit­be­stim­men wer­den. Es ist ein Balan­ce­akt am Abgrund, bei dem nicht nur die Zukunft Frank­reichs, son­dern die gesam­te euro­päi­sche Ord­nung auf dem Spiel steht.


Quel­len:

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Frank­reich vor dem Abgrund: Finanz­mi­nis­ter warnt vor dro­hen­der IWF-Rettung