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Es ist eine stil­le Wen­de, die sich da voll­zo­gen hat – eine jener gesell­schaft­li­chen Ver­schie­bun­gen, die in nüch­ter­nen Sta­tis­ti­ken ver­bor­gen lie­gen und doch von exis­ten­zi­el­len Dra­men erzäh­len. Der aktu­el­le iff-Über­schul­dungs­re­port 2025, der auf der Aus­wer­tung von über 213.000 Fäl­len aus 120 Schuld­ner­be­ra­tungs­stel­len basiert, mar­kiert einen Wen­de­punkt in unse­rem Ver­ständ­nis von finan­zi­el­ler Not: Erst­mals sind gesund­heit­li­che Pro­ble­me mit 17,6 Pro­zent der Fäl­le zur Haupt­ur­sa­che von Über­schul­dung in Deutsch­land gewor­den – noch vor der Arbeits­lo­sig­keit, die lan­ge als Haupt­trei­ber galt.

Die­se Ver­schie­bung ist mehr als eine sta­tis­ti­sche Fuß­no­te. Sie offen­bart eine fun­da­men­ta­le Wahr­heit über die Beschaf­fen­heit unse­rer Gesell­schaft: Über­schul­dung ist kei­ne Fra­ge indi­vi­du­el­len Ver­sa­gens, son­dern das Ergeb­nis unver­schul­de­ter Schick­sals­schlä­ge. Wer erkrankt, ver­liert nicht nur die Gesund­heit – er ver­liert oft auch die wirt­schaft­li­che Basis. Eine Krebs­dia­gno­se, ein schwe­rer Unfall, eine chro­ni­sche Erkran­kung: Was als medi­zi­ni­sches Pro­blem beginnt, ent­fal­tet sich rasch zu einer wirt­schaft­li­chen Kata­stro­phe. Die Erwerbs­fä­hig­keit schwin­det, Ein­nah­men bre­chen weg, wäh­rend die Fix­kos­ten wei­ter­lau­fen – ein Teu­fels­kreis, der sich selbst verstärkt.

Dabei zeigt der Report mit sei­nen 31.625 neu hin­zu­ge­kom­me­nen Fäl­len allein im Jahr 2024 eine beun­ru­hi­gen­de Dyna­mik auf. Die wech­sel­sei­ti­ge Ver­stär­kung von Krank­heit und Über­schul­dung schafft eine Abwärts­spi­ra­le, aus der es kaum ein Ent­kom­men gibt: Finan­zi­el­le Sor­gen machen krank, Krank­heit ver­schlim­mert die finan­zi­el­le Lage. Beson­ders per­fi­de ist die­se Mecha­nik für jene, die ohne­hin am Rand ste­hen – Men­schen mit gerin­gem Ein­kom­men, ohne aus­rei­chen­den finan­zi­el­len Puf­fer, der sie vor dem Absturz bewah­ren könnte.

Die Struk­tu­ren unse­rer Gesell­schaft ver­stär­ken die­se Ver­wund­bar­keit noch. Men­schen ohne Schul­ab­schluss, Allein­er­zie­hen­de – sie alle tra­gen ein über­pro­por­tio­na­les Risi­ko, in die Über­schul­dung zu rut­schen. Hin­zu kom­men stei­gen­de Wohn­kos­ten, die jeden Monat einen grö­ße­ren Teil des Ein­kom­mens ver­schlin­gen, Ein­kom­mens­ar­mut trotz Erwerbs­tä­tig­keit, geschei­ter­te Ver­su­che der Selbst­stän­dig­keit. Was hier sicht­bar wird, ist das Bild einer Gesell­schaft, in der die sozia­len Siche­rungs­net­ze löch­rig gewor­den sind, in der die Abstän­de zwi­schen Sta­bi­li­tät und Absturz gefähr­lich klein werden.

Der iff-Über­schul­dungs­re­port erzählt uns damit eine Geschich­te über die Fra­gi­li­tät des moder­nen Lebens. Er zeigt, dass finan­zi­el­le Sicher­heit für vie­le Men­schen nur eine Krank­heit, einen Unfall, eine Lebens­kri­se ent­fernt ist. Und er mahnt, dass Über­schul­dung nicht pri­mär ein öko­no­mi­sches, son­dern ein sozia­les und gesund­heits­po­li­ti­sches Pro­blem ist – eines, das nach sys­te­mi­schen Lösun­gen ver­langt, nicht nach mora­li­schen Urtei­len über ver­meint­lich ver­ant­wor­tungs­lo­ses Verhalten.

In einer Gesell­schaft, die sich ger­ne als sozia­le Markt­wirt­schaft ver­steht, soll­te nie­mand durch Krank­heit in exis­ten­zi­el­le Not gera­ten. Die Zah­len des Reports sind ein Weck­ruf: Es geht nicht um indi­vi­du­el­le Schuld, son­dern um kol­lek­ti­ve Ver­ant­wor­tung. Es geht dar­um, Struk­tu­ren zu schaf­fen, die Men­schen in Kri­sen auf­fan­gen, statt sie fal­len zu las­sen. Denn am Ende ist die Fra­ge nicht, ob wir uns das leis­ten kön­nen – son­dern ob wir uns leis­ten kön­nen, es nicht zu tun.