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Über Jahr­zehn­te galt Mün­chen als ewi­ge Boom­town: Wirt­schafts­mo­tor, Magnet für Zuwan­de­rer und Ort schein­bar unend­li­chen Wachs­tums. Poli­tik und Medi­en fei­er­ten die Stadt als ein­zig­ar­ti­ges Erfolgs­mo­dell, das allen Kri­sen trot­ze. Die­ses Selbst­bild erwies sich jedoch als trü­ge­risch. Der Mythos von der „Aus­nah­me­stadt“ war eine kol­lek­ti­ve Selbst­täu­schung – genährt von Erfol­gen, Eigen­lob und Jubel­be­rich­ten. Kri­ti­sche Stim­men, die vor Über­hit­zung, sozia­ler Spal­tung oder Woh­nungs­not warn­ten, wur­den all­zu oft als Schwarz­ma­le­rei abgetan.


Heu­te zeigt sich, dass der Boom ins Sto­cken gera­ten ist. Inmit­ten der Stadt ste­hen Groß­pro­jek­te still. Am Sta­chus herrscht Bau­stel­len-Lee­re, die Moder­ni­sie­rung des Haupt­bahn­hofs zieht sich end­los hin, und die Insol­venz der Signa-Grup­pe hat gleich meh­re­re pro­mi­nen­te Pro­jek­te blo­ckiert – vom Kauf­haus am Bahn­hofs­platz bis zur Paket­post­hal­le. Wo frü­her Krä­ne das Wachs­tum sym­bo­li­sier­ten, prä­gen heu­te Zäu­ne, Bau­rui­nen und aus­blei­ben­de Inves­to­ren das Bild einer Stadt, die ihre eige­ne Erfolgs­ge­schich­te nicht mehr fort­schrei­ben kann.

Zugleich brö­ckelt der Glau­be an Mün­chen als ewi­gen Wachs­tums­mo­tor. Die Stadt wächst kaum noch, Unter­neh­men agie­ren zurück­hal­ten­der bei der Flä­chen­pla­nung, Ein­zel­han­del und Gas­tro­no­mie kämp­fen mit Leer­stän­den, und der kul­tu­rel­le Sek­tor lei­det unter gekürz­ten Zuschüs­sen. Vie­le Poli­ti­ker hof­fen, dass die größ­ten Ver­wer­fun­gen erst nach ihrer Amts­zeit ein­tre­ten. Doch genau die­ses Hin­aus­zö­gern erhöht die Gefahr, dass ein spä­te­rer Kurs­wech­sel zu spät kommt und die Hand­lungs­spiel­räu­me bereits ver­lo­ren sind. Die Dyna­mik der Pro­ble­me wird unter­schätzt, vie­le Fol­gen tre­ten erst mit Ver­zö­ge­rung auf – und könn­ten die Mög­lich­kei­ten der Stadt deut­lich übersteigen.

Beson­ders dras­tisch zeigt sich die sozia­le Schief­la­ge bei den Rent­nern. Män­ner erhal­ten in Mün­chen im Schnitt rund 1.350 Euro Ren­te, Frau­en sogar nur 900 Euro – Beträ­ge, die kaum rei­chen, um Mie­ten von 15 bis 20 Euro pro Qua­drat­me­ter und Lebens­hal­tungs­kos­ten, die rund 25 Pro­zent über dem Bun­des­durch­schnitt lie­gen, zu stem­men. Seit 2010 ist die Zahl der Rent­ner in Grund­si­che­rung um über 75 Pro­zent gestiegen.

Noch hält sich die Lage durch einen beson­de­ren Schutz­me­cha­nis­mus: Vie­le älte­re Men­schen und Fami­li­en woh­nen in Alt­ver­trä­gen, die deut­lich unter dem aktu­el­len Markt­ni­veau lie­gen. Die­se Bestands­mie­ten sind oft der ein­zi­ge Grund, war­um Betrof­fe­ne ihre Woh­nung über­haupt noch hal­ten kön­nen. Doch die­se Situa­ti­on ist trü­ge­risch: Sobald lang­jäh­ri­ge Mie­ter aus­zie­hen, ster­ben oder ins Pfle­ge­heim wech­seln, greift der Markt­me­cha­nis­mus – und die­sel­be Woh­nung wird für 30 bis 80 Pro­zent höhe­re Mie­ten neu ver­ge­ben. Mit jedem Ver­trags­wech­sel ver­schwin­det eine wei­te­re „bezahl­ba­re“ Woh­nung. Dadurch beschleu­nigt sich der Teu­fels­kreis: güns­ti­ger Wohn­raum wird Schritt für Schritt in hoch­prei­si­gen Markt umge­wan­delt, und die sozia­le Mischung der Stadt bricht noch schnel­ler weg.

Hin­zu kommt ein struk­tu­rel­les Pro­blem: Mün­chen hat mit nur 23 Pro­zent einen der nied­rigs­ten Wohn­ei­gen­tums­an­tei­le aller deut­schen Groß­städ­te (bun­des­weit 47 Pro­zent). Der über­wäl­ti­gen­de Teil der Bevöl­ke­rung bleibt dau­er­haft auf den Miet­markt ange­wie­sen. Eigen­tum ist längst ein Pri­vi­leg für Erben, inter­na­tio­na­le Inves­to­ren oder Spit­zen­ver­die­ner. Damit fehlt der Puf­fer, den anders­wo vie­le Ruhe­ständ­ler oder Fami­li­en haben – miet­frei­es Wohnen.

Ein Kurs­wech­sel in der Woh­nungs­po­li­tik wäre drin­gend nötig, ist aber kaum rea­li­sier­bar – vor allem wegen der kata­stro­pha­len Haus­halts­la­ge der Stadt:

  • Mün­chen muss 2025 über 3 Mil­li­ar­den Euro inves­tie­ren, aber nur 500 Mil­lio­nen stam­men aus eige­nen Ein­nah­men – der Rest wird kreditfinanziert.
  • Ab 2028 dro­hen dras­ti­sche Kür­zun­gen bei Inves­ti­tio­nen, um die Hand­lungs­fä­hig­keit zu retten.
  • Beson­ders der sozia­le Woh­nungs­bau ist blo­ckiert: Bund und Land stel­len zu wenig Mit­tel bereit, För­der­stopps brem­sen Neu­bau, 25.000 Haus­hal­te war­ten bereits auf eine geför­der­te Wohnung.
  • Städ­ti­sche Eigen­pro­gram­me sind ange­sichts der Dimen­si­on kaum mehr als sym­bo­li­sche Trop­fen auf den hei­ßen Stein.
  • Hin­zu kom­men stei­gen­de Bau- und Zins­kos­ten, die sowohl pri­va­te als auch öffent­li­che Inves­to­ren zusätz­lich bremsen.

Zwi­schen­fa­zit: Ein umfas­sen­der Kurs­wech­sel ist unter die­sen Bedin­gun­gen rea­lis­tisch kaum zu erwar­ten. Mün­chen ist gezwun­gen zu spa­ren – und das trifft vor allem den sozia­len und gemein­wohl­ori­en­tier­ten Wohnungsbau.

Beson­ders gefähr­lich ist die zuneh­men­de Ent­kopp­lung von Eigen­tum und Nut­zung. Die Stadt selbst hat extrem nied­ri­ge Eigen­tums­quo­ten, gleich­zei­tig wächst der Anteil exter­ner Inves­to­ren – Fonds, Fami­ly Offices, inter­na­tio­na­le Anle­ger –, die Mün­chens Wohn­raum vor allem als Anla­ge betrach­ten, ohne hier zu leben. Das führt zu einer para­do­xen Situa­ti­on: Die Men­schen, die die Stadt am Lau­fen hal­ten, wer­den ver­drängt, wäh­rend Eigen­tü­mer von außen die Woh­nun­gen besitzen.

Der Woh­nungs­markt braucht jedoch rea­le Mie­ter – Kran­ken­schwes­tern, Hand­wer­ker, Ange­stell­te, Fami­li­en –, die mit ihrem Ein­kom­men Mie­ten tat­säch­lich erwirt­schaf­ten. Wenn die­se Grup­pen die Stadt ver­las­sen müs­sen, bricht die öko­no­mi­sche Basis weg. In Luxus­mi­lieus ande­rer Metro­po­len sieht man bereits die Fol­gen: „Geis­ter­vier­tel“ vol­ler lee­rer Eigen­tums­woh­nun­gen, die zwar teu­er ver­kauft, aber kaum bewohnt wer­den. Auch Mün­chen droht die­ser Weg, wenn leist­ba­re Mie­ten und eine brei­te Mie­ter­schaft verschwinden.

Das Bild vom „Ver­mie­ter, der beim Ver­mie­ter mie­tet“, ist sar­kas­tisch, aber es beschreibt die Gefahr einer Stadt, die sich in ihrer sozia­len Ein­sei­tig­keit selbst blo­ckiert. Mün­chen kann nicht nur aus Inves­to­ren und Eigen­tü­mern bestehen – ohne eine brei­te, zah­lungs­fä­hi­ge Mie­ter­schaft ver­liert auch der Immo­bi­li­en­markt sei­ne Basis.

Das eigent­li­che Pro­blem liegt dar­in, dass es zu lan­ge zu gut lief. Man hat sich in der Rol­le der „ewi­gen Boom­stadt“ ein­ge­rich­tet – als sei Mün­chen von den Geset­zen der Rea­li­tät befreit. Doch wenn zu vie­le dar­an glau­ben, glau­ben wol­len oder glau­ben müs­sen, dass die Zukunft nur eine linea­re Fort­schrei­bung der Gegen­wart sei, kommt unwei­ger­lich das böse Erwa­chen. Mün­chen steht nun genau an die­sem Punkt: zwi­schen Mythos und Rea­li­tät, zwi­schen selbst­zu­frie­de­ner Ver­gan­gen­heit und der unaus­weich­li­chen Korrektur.

Die Welt bleibt leben­dig, weil immer dort, wo ein­ma­li­ge Dau­er­er­fol­ge zu Selbst­zu­frie­den­heit füh­ren, anders­wo neue Ideen und Ambi­tio­nen gedei­hen. In die­sem Sin­ne ist der Wan­del in Mün­chen, so schmerz­haft er für die Stadt selbst auch sein mag, Teil eines grö­ße­ren Kreis­laufs von Dyna­mik, Kon­kur­renz – und letzt­lich Fort­schritt. Jede „unge­krön­te Boom­stadt“ ist irgend­wann eine Chan­ce für andere.


Quel­len:

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