Von Ralf Keuper

An der Fra­ge nach dem Sinn und Zweck des Bar­gelds in der digi­ta­len Öko­no­mie schei­den sich die Geis­ter. Gera­de in Deutsch­land hat die­se Fra­ge eine fast schon reli­giö­se, exis­ten­zi­el­le Bedeu­tung. Wäh­rend in ande­ren Län­dern die bar­geld­lo­se Gesell­schaft vor­an­schrei­tet, hal­ten wir uns hier­zu­lan­de mit (über­eil­ten?) Schrit­ten zurück. Die Devi­se scheint zu lau­ten: Abwarten.

Die Skep­sis in Deutsch­land gegen­über Bestre­bun­gen, das Geld abs­trak­ter, unstoff­li­cher zu gestal­ten, hat eine lan­ge Tradition.

Wolf­ram Wei­mer beschreibt die­ses Phä­no­men in sei­nem infor­ma­ti­ven Buch Geschich­te des Gel­des am Bei­spiel des Papiergeldes:

Nur im his­to­ri­schen Zeit­lu­pen­tem­po fin­den die >Zet­tel<, wie sie anfangs genannt wer­den, ihren Weg in die deut­schen Geld­beu­tel, Kon­to­re und Markt­hal­len. Alle Noten bis weit ins 19. Jahr­hun­dert sind gar ein­zeln hand­si­gniert. Erst an der Schwel­le zum 20. Jahr­hun­dert avan­cie­ren die Papie­re zum ech­ten Zahlungsmittel.

Kaum hat­te sich die Bevöl­ke­rung an das Papier­geld gewöhnt, da brach mit der Ein­füh­rung des Giro­ver­kehrs im Jahr 1876 bereits ein neu­es Zeit­al­ter an. Fort­an erober­ten Über­wei­sun­gen, Schecks und Last­schrif­ten den Zahlungsverkehr.

Trotz der Neue­run­gen im Zah­lungs­ver­kehr wäh­rend der letz­ten Jahr­zehn­te, die das Geld immer abs­trak­ter haben wer­den las­sen, sind Papier­geld und Mün­zen nicht völ­lig ver­schwun­den. Bei allen Nach­tei­len, so haben Papier­geld und Mün­zen doch eini­ge nicht zu unter­schät­zen­de Vorteile:

Für die her­kömm­li­chen Noten und Mün­zen spricht auch ihr ver­meint­li­cher Nach­teil – der ding­li­che Cha­rak­ter. Tech­ni­sches Geld lei­det dage­gen am tech­ni­schen Zwang. Da es nur durch die Maschi­ne zum Geld wird, ver­liert es an Beweg­lich­keit. Es ver­liert aber auch an Ver­trau­en, das für die Wert­il­lu­si­on von Geld unter­läss­lich ist. Denn Ver­trau­en ver­dich­tet sich vor allem in der Kon­kre­ti­on. Die Abs­trak­ti­on des elek­tro­ni­schen Gel­des kann daher nach den Regeln der Geld­psy­cho­lo­gie den viel­fäl­ti­gen Hor­tungs- und Tausch­be­dürf­nis­sen, dem Schmuck- und Sakral­er­leb­nis, dem Ver­trau­ens­wunsch der Men­schen nur schwer gerecht wer­den. (ebd.)

Wei­mer erwähnt in dem Zusam­men­hang auch den u.a. als Geld­psy­cho­lo­gen bekannt gewor­de­nen Gün­ter Schm­öl­ders.

Alles in allem sei in Deutsch­land, so Weimer,

die mone­tä­re Nost­al­gie beson­ders stark aus­ge­prägt. Wie die Geschich­te jedoch gezeigt hat, war die­se Resis­tenz nicht imstan­de zu ver­hin­dern, dass das Geld abs­trak­ter wurde.

Der Weg in die bar­geld­lo­se Gesell­schaft sei daher, so Wei­mer, vorprogrammiert.

Mit die­ser Ansicht stand und steht Wei­mer nicht allei­ne. Ähn­lich argu­men­tier­te Volk­mar Muthesius:

Dem­nächst wer­den wir es viel­leicht erle­ben, dass das Buch­geld in sei­ner heu­ti­gen Form sei­ner­seits gewis­ser­ma­ßen abstirbt und ersetzt wird durch Daten­spei­cher, durch elek­tro­ni­sche Vor­gän­ge in Spei­cher­ge­rä­ten, womit ein wei­te­res Sta­di­um der Ent­stoff­li­chung, also einer spe­zi­el­len Art von Abs­trak­ti­on sich voll­zie­hen wird – wer ver­möch­te zu sagen, ob es das letz­te sein wird?  (in: Leis­tungs­fä­hi­ge Deut­sche Ban­ken. 100 Jah­re Commerzbank)

Dem­ge­gen­über unter­nimmt Bir­ger Prid­dat in Klein­geld. Die ver­bor­ge­ne Sei­te des Gel­des, frei von Nost­al­gie, eine Ehren­ret­tung des Münzgeldes.

Münz- und Papier­geld wir­ken in einer Zeit, in der digi­ta­le Wäh­run­gen eben­so wie digi­ta­le Geld­bör­sen bald Rea­li­tät wer­den könn­ten, zuneh­mend ana­chro­nis­tisch. Erstaun­lich ist jedoch, dass sie sich, wie im Fall der Mün­zen, über die Jahr­hun­der­te, Jahr­tau­sen­de haben behaup­ten können.

Geld wie über­haupt Zah­lungs­mit­tel haben neben der rei­nen Trans­ak­ti­ons­funk­ti­on auch eine wich­ti­ge sozia­le und psy­cho­lo­gi­sche Funk­ti­on. Die­se lässt sich m.E. nicht völ­lig von der Stoff­lich­keit tren­nen. Form braucht Inhalt und umgekehrt.

Geld als Medi­um: Kaum jemand hat zu die­sem Ver­hält­nis so tief­sin­ni­ge Gedan­ken for­mu­liert wie Mar­shall McLuhan.

Als Fol­ge des moder­nen Preis­sys­tems, das von Abs­trak­ti­on und Distan­zie­rung gekenn­zeich­net ist, ver­än­dert sich auch die Rol­le des Geldes:

Heu­te, da durch die in jedem Augen­blick gege­be­nen elek­tri­sche Inter­de­pen­denz aller Men­schen auf die­sem Pla­net neue Macht­strö­mun­gen ent­ste­hen, ver­liert der visu­el­le Fak­tor in der Gesell­schafts­or­ga­ni­sa­ti­on und per­sön­li­chen Erfah­rung an Bedeu­tung, und Geld wird immer weni­ger als Mit­tel zur Spei­che­rung und zum Aus­tausch von Arbeit und Fähig­kei­ten ver­wen­det. Die Auto­ma­ti­on, die ihrem Wesen nach elek­tro­nisch ist, stellt nicht so sehr kör­per­li­che Arbeit als viel­mehr pro­gram­mier­tes Wis­sen dar. Wenn Arbeit durch blo­ße Infor­ma­ti­ons­be­we­gung ersetzt wird, ver­schmilzt Geld als Arbeits­spei­cher mit den infor­ma­ti­ons­ar­ti­gen For­men des Kre­dits und der Kre­dit­kar­te. (in: Die magi­schen Kanä­le. Under­stan­ding Media)

Auto­ma­ti­on und Beschleu­ni­gung schaf­fen neue For­men des Geld­erwerbs durch Spekulation:

Eine der unver­meid­li­chen Aus­wir­kun­gen der Beschleu­ni­gung der Infor­ma­ti­ons­be­we­gung und der umwan­deln­den Macht des Gel­des ist die Gele­gen­heit einer Berei­che­rung für jene, wel­che die­se Umwand­lung nur ein paar Stun­den oder Jah­re, ja nach Fall, vor­weg­neh­men. Wir ken­nen heu­te beson­ders gute Bei­spie­le von Berei­che­rung durch im vor­aus erhal­te­ne Infor­ma­tio­nen bei Akti­en, Obli­ga­tio­nen und Grund­stücks­käu­fen. (ebd.)

Die­se Aus­sa­gen erhal­ten vor dem Hin­ter­grund des neu­es­ten Buches von Micha­el Lewis Flash Boys wohl neu­es Gewicht.

Geld, so McLuhan, kann gera­de in der Infor­ma­ti­ons­ge­sell­schaft nicht mehr iso­liert betrach­tet werden:

.. Geld ist Teil eines dyna­mi­schen Sys­tems; iso­liert hat es kei­ne sinn­vol­le Bedeu­tung. Als Über­tra­gungs- und Ver­stär­kungs­mit­tel hat es außer­ge­wöhn­li­che Kraft, etwas durch etwas ande­res zu erset­zen. Infor­ma­ti­ons­theo­re­ti­ker sind zu dem Schluss gekom­men, dass das Aus­maß, in dem ein Mit­tel durch ein ande­res ersetzt wer­den kann, zunimmt, wenn die Infor­ma­ti­on an Umfang zunimmt. (ebd.)

Da stellt sich die Fra­ge: Gibt es (fun­da­men­ta­le) Gren­zen der Infor­ma­ti­ons­be­we­gung? Viel­leicht brau­chen wir das Bar­geld auch des­halb, um nicht völ­lig den Bezug zum Geld und damit die Boden­haf­tung zu ver­lie­ren; obschon auch dies wohl nur eine Illu­si­on ist.

Viel­leicht greift aber auch beim Geld das Rie­plsche Gesetz. Der Weg in die bar­geld­lo­se Gesell­schaft wäre dem­nach nicht zwangsläufig.

Wei­te­re Informationen:

The bene­fits of get­ting rid of cash

Why Mobi­le Pay­ments Will Never Replace Cash

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