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Von beschei­de­nen Anfän­gen als sozia­le Hilfs­ein­rich­tun­gen für ver­arm­te Bevöl­ke­rungs­schich­ten bis zu moder­nen Finanz­dienst­leis­tern im digi­ta­len Zeit­al­ter – die Geschich­te der rhei­ni­schen Spar­kas­sen spie­gelt nicht nur den wirt­schaft­li­chen Wan­del einer Regi­on wider, son­dern auch die Trans­for­ma­ti­on des deut­schen Kre­dit­we­sens. Heu­te ste­hen die 27 rhei­ni­schen Spar­kas­sen vor neu­en Her­aus­for­de­run­gen, die ihr Geschäfts­mo­dell grund­le­gend in Fra­ge stellen.


Die Anfän­ge: Sozia­le Für­sor­ge und Disziplinierung

Als am Vor­abend der Indus­tria­li­sie­rung gro­ße Tei­le der rhei­ni­schen Bevöl­ke­rung in bit­te­rer Armut leb­ten, waren es nicht staat­li­che Behör­den, son­dern loka­le Initia­ti­ven und Ver­ei­ne, die nach Lösun­gen such­ten. Die Grün­dung der ers­ten Spar­kas­sen im Rhein­land folg­te einem dop­pel­ten Motiv: Einer­seits soll­ten sie den Ärme­ren hel­fen, durch klei­ne Erspar­nis­se eine finan­zi­el­le Grund­la­ge auf­zu­bau­en. Ande­rer­seits ver­folg­ten die bür­ger­li­chen Grün­der das Ziel sozia­ler Dis­zi­pli­nie­rung – Spar­sam­keit und Vor­sor­ge soll­ten als Tugen­den ver­an­kert werden.

Die­se frü­hen Spar­kas­sen waren weit ent­fernt von dem, was wir heu­te unter Ban­ken ver­ste­hen. Kom­mu­nen und Krei­se, aber auch spe­zia­li­sier­te Hilfs­ver­ei­ne über­nah­men die Trä­ger­schaft. Das preu­ßi­sche Spar­kas­sen­re­gle­ment von 1838 ver­such­te zwar, die Geschäfts­tä­tig­keit zu regu­lie­ren, konn­te den Erfolg die­ser Insti­tu­te jedoch nicht brem­sen. Auch im Rhein­land eta­blier­ten sich die Spar­kas­sen rasch als wich­ti­ge Akteu­re in einem sich aus­dif­fe­ren­zie­ren­den Finanzsektor.

Indus­tria­li­sie­rung und Expansion

Mit dem Beginn der Indus­tria­li­sie­rung ver­schob sich die Kli­en­tel der Spar­kas­sen. Nicht mehr nur die tra­di­tio­nell Armen, son­dern vor allem die oft am Exis­tenz­mi­ni­mum leben­den Indus­trie­ar­bei­ter wur­den zu Haupt­kun­den. Doch das Spek­trum erwei­ter­te sich kon­ti­nu­ier­lich: Beam­te, Ange­stell­te, Dienst­per­so­nal – brei­te Bevöl­ke­rungs­schich­ten ent­deck­ten die Spar­kas­sen als ihre Finanzinstitution.

In der zwei­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts pro­fes­sio­na­li­sier­te sich das Spar­kas­sen­we­sen erheb­lich. Die Insti­tu­te ent­wi­ckel­ten ein zuneh­mend dif­fe­ren­zier­tes Aktiv- und Pas­siv­ge­schäft, bau­ten ihre Per­so­nal­struk­tu­ren aus und schu­fen wirk­sa­me Auf­sichts­or­ga­ne. Trotz kon­junk­tu­rel­ler Kri­sen wuchs die Bilanz­sum­me kon­ti­nu­ier­lich, die Pro­dukt­pa­let­te wur­de brei­ter. Die Spar­kas­sen ent­wi­ckel­ten sich zu Finanz­in­sti­tu­tio­nen für die brei­te Mas­se – ein Pro­fil, das sie bis heu­te prägt.

Kri­sen, Krie­ge und Neuanfänge

Die Welt­krie­ge und die Infla­ti­on der frü­hen 1920er Jah­re stell­ten die Spar­kas­sen vor exis­ten­zi­el­le Her­aus­for­de­run­gen. Sta­tis­ti­sches Mate­ri­al aus die­ser Zeit ist rar, doch die Ver­lus­te waren enorm. Nach der Sta­bi­li­sie­rung in der Wei­ma­rer Repu­blik wag­ten sich die Spar­kas­sen an neue Geschäfts­fel­der: Der Kom­mu­nal­kre­dit gewann mas­siv an Bedeu­tung – ein Enga­ge­ment, das sich wäh­rend der Ban­ken- und Finanz­kri­se 1931 als hoch­ris­kant erwies. Die Zah­lungs­schwie­rig­kei­ten der Lan­des­bank der Rhein­pro­vinz zogen die gesam­te rhei­ni­sche Spar­kas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on in Mitleidenschaft.

Die NS-Zeit brach­te ideo­lo­gi­sche Ver­ein­nah­mung und Gleich­schal­tung. Die “deut­schen” Spar­kas­sen wur­den gegen­über pri­va­ten Ban­ken bevor­zugt, gleich­zei­tig wur­den die Insti­tu­te eng in das NS-Wirt­schafts­sys­tem ein­ge­bun­den. Die Kon­flik­te inner­halb der Orga­ni­sa­ti­on und die spe­zi­fi­schen Ent­wick­lun­gen wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs wer­fen bis heu­te Fra­gen auf, die nicht voll­stän­dig beant­wor­tet sind.

Vom Wirt­schafts­wun­der zur Digitalisierung

Der Wie­der­auf­bau nach 1945 gelang den rhei­ni­schen Spar­kas­sen bemer­kens­wert schnell. In den Wirt­schafts­wun­der­jah­ren ent­wi­ckel­ten sie sich zu moder­nen Uni­ver­sal­kre­dit­in­sti­tu­ten, die ein brei­tes Spek­trum an Finanz­dienst­leis­tun­gen anbo­ten. Der Giro­ver­kehr wur­de zum wich­ti­gen Stand­bein, inno­va­ti­ve Kre­dit- und Spar­pro­duk­te wur­den ent­wi­ckelt. Die Spar­kas­sen beweg­ten sich zuneh­mend in einem kom­pe­ti­ti­ven Wett­be­werbs­um­feld, in dem sie ihre tra­di­tio­nel­le Stär­ke – die Nähe zu ihren Kun­den und die regio­na­le Ver­an­ke­rung – aus­spie­len konnten.

Nach dem “Ölpreis­schock” und dem Ende des Wirt­schafts­wun­ders muss­ten sich die Spar­kas­sen an ver­än­der­te Rah­men­be­din­gun­gen anpas­sen. Den­noch blie­ben sie bis zur Wie­der­ver­ei­ni­gung 1990 zen­tra­le Akteu­re der rhei­ni­schen Kre­dit­wirt­schaft, fest ver­an­kert in ihren Kom­mu­nen und Regionen.

Die Her­aus­for­de­run­gen der Gegenwart

Heu­te, im Jahr 2025, ste­hen die 27 Spar­kas­sen, die dem Rhei­ni­schen Spar­kas­sen- und Giro­ver­band ange­schlos­sen sind, vor grund­le­gend neu­en Her­aus­for­de­run­gen. Die Digi­ta­li­sie­rung ist nicht nur ein tech­ni­sches Pro­jekt, son­dern eine wesent­li­che Vor­aus­set­zung für Wett­be­werbs­fä­hig­keit. Das tra­di­tio­nel­le Geschäfts­mo­dell steht unter mas­si­vem Druck durch Big­Tech, Fintechs, digi­ta­le Ban­ken und ver­än­der­te Kundenbedürfnisse.

Die Spar­kas­sen reagie­ren unter­schied­lich auf die­se Trans­for­ma­ti­on. Wäh­rend man­che Insti­tu­te kon­se­quent digi­ta­le Stra­te­gien ver­fol­gen, tun sich ande­re schwer mit dem Wan­del. Die Balan­ce zwi­schen der tra­di­tio­nel­len Stär­ke – der per­sön­li­chen Bera­tung vor Ort – und den Effi­zi­enz­vor­tei­len digi­ta­ler Kanä­le zu fin­den, bleibt eine zen­tra­le Auf­ga­be. Gleich­zei­tig müs­sen die Insti­tu­te ihre kom­mu­na­le Ver­an­ke­rung bewah­ren und ihrem öffent­li­chen Auf­trag gerecht werden.

Der Rhei­ni­sche Spar­kas­sen- und Giro­ver­band in Düs­sel­dorf – wie die ande­ren elf regio­na­len Ver­bän­de in Deutsch­land – steht dabei selbst mas­siv in der Kri­tik. Kri­ti­sche Stim­men sehen in die­sen Zwi­schen­in­stan­zen zuneh­mend dys­funk­tio­na­le Macht­zen­tren ohne ope­ra­ti­ve Ver­ant­wor­tung, die mehr Pro­ble­me schaf­fen als lösen. Wäh­rend die Spar­kas­sen vor Ort den direk­ten Her­aus­for­de­run­gen der Digi­ta­li­sie­rung und des Wett­be­werbs begeg­nen müs­sen, wird den Regio­nal­ver­bän­den vor­ge­wor­fen, pri­mär eige­ne Agen­den zu ver­fol­gen und durch Macht­spie­le und Per­so­nal­ent­schei­dun­gen mehr Rei­bungs­ver­lus­te zu pro­du­zie­ren als Mehr­wert zu schaf­fen. Die Fra­ge nach ihrer gesell­schaft­li­chen Legi­ti­ma­ti­on wird immer lau­ter gestellt – denn Insti­tu­tio­nen müs­sen ihren Nut­zen kon­ti­nu­ier­lich unter Beweis stel­len, nicht auf his­to­ri­schen Ver­diens­ten ruhen.

Aus­blick: Tra­di­ti­on und Inno­va­ti­on im Einklang

Die Geschich­te der rhei­ni­schen Spar­kas­sen zeigt, dass die­se Insti­tu­te immer dann erfolg­reich waren, wenn sie ihre sozia­le Mis­si­on mit wirt­schaft­li­cher Pro­fes­sio­na­li­tät ver­bin­den konn­ten. Von den frü­hen Tagen als Hilfs­ein­rich­tun­gen für die Armen über die Indus­tria­li­sie­rung bis zur Gegen­wart haben die Spar­kas­sen Kri­sen über­stan­den und sich ste­tig weiterentwickelt.

Die Fra­ge ist nun, ob ihnen dies auch im digi­ta­len Zeit­al­ter gelin­gen wird. Die regio­na­le Ver­wur­ze­lung, die kom­mu­na­le Trä­ger­schaft und der öffent­li­che Auf­trag blei­ben wich­ti­ge Allein­stel­lungs­merk­ma­le. Doch die­se müs­sen mit den Anfor­de­run­gen einer zuneh­mend tech­nik­af­fi­nen Kund­schaft in Ein­klang gebracht wer­den. Die nächs­ten Jah­re wer­den zei­gen, ob die rhei­ni­schen Spar­kas­sen ihre über 180-jäh­ri­ge Erfolgs­ge­schich­te fort­schrei­ben kön­nen – als Finanz­dienst­leis­ter, die Tra­di­ti­on und Inno­va­ti­on glei­cher­ma­ßen verkörpern.


Quel­le:

Harald Wix­forth, Rezen­si­on zu: Pohl, Hans: Die rhei­ni­schen Spar­kas­sen. Ent­wick­lung und Bedeu­tung für Wirt­schaft und Gesell­schaft von den Anfän­gen bis 1990. Stutt­gart 2001 , ISBN 3−515−07846−0, in: H‑Soz-Kult, 20.03.2002, https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-2815.