Getting your Trinity Audio player ready...
|
Über zwei Drittel aller Neuwagen in Deutschland rollen als Firmenwagen vom Hof – eine Zahl, die wirkt wie das Normale schlechthin. Doch diese vermeintliche Normalität ist in Wahrheit eine historische Anomalie. Vor einigen Jahrzehnten war der Dienstwagen noch die Ausnahme: Wer Auto fahren wollte, kaufte sich eines – oder eben nicht. Die Menschen bezahlten ihre Mobilität selbst, mit dem Geld, das sie verdient hatten. Das war der Normalfall.
Die Umwandlung zur heutigen Situation war nicht das Ergebnis wirtschaftlicher Notwendigkeit, sondern von Steuergesetzgebung und Finanzierungstricksereien. Plötzlich war es für Unternehmen interessanter, ihre Mitarbeitenden mit Firmenwagen auszustatten, als ihnen mehr Lohn zu zahlen. Die Automobilindustrie florierte, die Leasinggesellschaften wurden zu Machtzentralen, und eine ganze Gesellschaft lernte, Mobilität als Perk zu verstehen statt als etwas, das man sich selbst leisten muss.
Das fragile Fundament
Dieses System war von Anfang an nicht auf Krise kalkuliert. Es funktionierte, solange Unternehmen kontinuierlich Gewinne machten, solange Leasinggesellschaften bereitwillig Geld liehen, und solange die steuerliche Förderung unangetastet blieb. Über zwei Drittel des Neuwagenmarktes hängen an diesem konstruierten Arrangement – ein enormes Risiko, das niemand wirklich ernst genommen hat.
Das deutsche Dienstwagenmodell funktioniert wie ein perfekt abgestimmtes Räderwerk, aber eines aus Glas. Im Zentrum stehen umfassende steuerliche Anreize: Betriebe profitieren von der Absetzbarkeit ihrer Kosten, Mitarbeitende zahlen nur auf niedrige geldwerte Vorteile Steuern. Ein künstlich geschaffenes Win-Win-Arrangement. Über 80 Prozent der neuen Elektroautos bei Firmen werden geleast – nicht gekauft. Die Leasinggesellschaften tragen das Risiko, oder genauer: Sie glaubten, dass es kein Risiko gab.
Die Rückkehr zur Realität
Nun zeigt sich, dass dieses System nie robust war. Der wirtschaftliche Druck erfasst Unternehmen aller Größenordnungen. Branchenübergreifend schrumpfen die Erträge, und mit ihnen die Fähigkeit, Leasingraten zu zahlen. Leasinggesellschaften reagieren mit strengeren Vorgaben und höheren Anforderungen bei Kreditprüfungen. Für viele Betriebe entsteht ein Teufelskreis: Sie benötigen Fahrzeuge, können diese aber nicht finanzieren.
Das ist die Krise nicht als theoretisches Szenario, sondern als gegenwärtige Realität. Unternehmen fahren ihre Fuhrparks zurück – nicht aus strategischen Gründen, sondern aus Mangel an Alternativen. Die Ausweich-Modelle (Mietkauf, Kauf mit Sonderabschreibungen) setzen Liquidität voraus, die vielen Betrieben fehlt.
Was sich abzeichnet, ist eine stille Rückkehr zu einem älteren Modell: Menschen werden wieder selbst für ihre Mobilität aufkommen müssen. Nicht als bewusste Entscheidung, sondern als erzwungene Konsequenz einer kollabierenden Finanzierungsarchitektur.
Für wen wird das zum Problem?
Das klingt zunächst wie eine Rückkehr zur Normalität – und in gewisser Hinsicht ist es das. Doch es ist eine Normalität, auf die eine ganze Arbeitnehmerschicht nicht vorbereitet ist. Eine Normalität, die Fragen aufwirft: Wie sollen Menschen ihre Mobilität finanzieren, wenn ihre Löhne nicht gestiegen sind, während sie sich an die Vorstellung eines kostenlosen Firmenwagens gewöhnt haben? Wie sollen Branchen funktionieren, in denen Mobilität elementar ist, wenn diese Mobilität plötzlich privatisiert wird?
Die Industrie lebt seit Jahrzehnten von der Illusion, dass Unternehmen immer zahlen können. Diese Illusion ist gerade dabei zu zerplatzen. Für BMW, Audi und Mercedes bedeutet das einen Absatzschock in einem der wichtigsten Marktsegmente. Für den Arbeitsmarkt bedeutet es eine drastische Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in vielen Branchen.
Der eigentliche Skandal
Der eigentliche Skandal liegt nicht darin, dass das Dienstwagenmodell zusammenbricht. Der Skandal liegt darin, dass es je als normal galt. Ein System, das zwei Drittel des Neuwagenmarktes künstlich am Leben erhielt durch Steuertricks und Finanzierungskonstrukte, ist kein Markt – es ist ein subventionierter Traum.
Und jetzt erwacht Deutschland aus diesem Traum. In einer Zeit, in der es sich das Land wirtschaftlich am wenigsten leisten kann.
Rückkehr zur Realität
Was sich abzeichnet, ist keine Optimierung des Systems, sondern dessen Ende. Das Modell wird schrumpfen – dramatisch. Es wird sich auf jene Unternehmen konzentrieren, die über ausreichend Liquidität verfügen. Für weite Teile der deutschen Wirtschaft kehrt sich die Geschichte um: Der Firmenwagen, der lange zur Normalität geworden war, wird wieder zur Ausnahme.
Und mit ihm verschwindet auch eine Illusion – die Illusion nämlich, dass ein ganzes Wirtschaftssystem auf künstlichen Anreizen und permanenter Liquidität aufgebaut werden kann, ohne dass es eines Tages zusammenbricht.
Menschen werden wieder ihre Autos selbst bezahlen müssen. So wie früher. So wie es eigentlich immer hätte sein müssen. Die Frage ist nur: Werden sie es können?