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Ray Dalio und sein Hedge­fonds Bridge­wa­ter haben in den ver­gan­ge­nen 20 – 30 Jah­ren an der Wall Street für reich­lich Furo­re und Gesprächs­stoff gesorgt. Inzwi­schen sind die Defi­zi­te des von Bridge­wa­ter und sei­nem Grün­der ver­tre­te­nen Anla­ge-  und Denk­stils jedoch kaum noch zu übersehen. 


Von Ralf Keuper

In dem Buch Der Fonds beschreibt der Haupt­be­richt­erstat­ter für Ban­ken der New York Times, Rob Cope­land, was sich beim größ­ten Hedge­fonds der Welt in den letz­ten Jah­ren alles so abge­spielt hat. Dabei rückt der Grün­der und CEO von Bridge­wa­ter, Ray Dalio, zwangs­läu­fig in den Fokus.

Vor den Augen den Lesers ent­fal­tet sich eine Welt, die deut­li­che Züge des­sen ent­hält, was gemein­hin als toxi­sche Arbeits­at­mo­sphä­re bezeich­net wird. Ray Dalio hat über die Jah­re in sei­nem Hedge­fonds ein Arbeits­kli­ma geschaf­fen, das ganz bewusst auf Selek­ti­on setzt, sprich: Wer nicht erfolg­reich ist bzw. wer nicht in der Lage ist, die von Dalio ver­fass­ten “Prin­ci­ples” ganz in sich auf­zu­neh­men und danach zu han­deln, bleibt nicht lan­ge. Aber selbst wenn es gelingt, den Prin­zi­pi­en, jeden­falls so wie sie geschrie­ben ste­hen, gerecht zu wer­den, bedeu­tet das noch lan­ge nicht, dass einem eine län­ge­re Ver­weil­dau­er im Schat­ten des Meis­ters beschie­den ist. Es kommt, wie so oft, auf die Aus­le­gung der Leh­re an, und hier hat, auch das nicht sel­ten, der Meis­ter selbst das letz­te Wort.

Dalio selbst führt den Erfolg sei­nes Fonds auf eben die­se Prin­ci­ples zurück, die er für eben­so zwin­gend wie Natur­ge­set­ze hält, wie sie etwa von New­ton in Phi­lo­so­phiae Natu­ra­lis Prin­ci­pia Mathe­ma­ti­ca nie­der­ge­legt wurden.

Dalio sieht das Leben als ein Sys­tem aus maschi­ne­n­ähn­li­chen, wie­der­keh­ren­den Mus­tern, deren rea­lis­ti­sches Erken­nen und Ana­ly­se die Basis für Erfolg bil­den. Wahr­heit und Akzep­tanz der Rea­li­tät sind zen­tra­le Prin­zi­pi­en, wobei Feh­ler als Lern­chan­cen die­nen. Radi­ka­le Ehr­lich­keit, Trans­pa­renz und die Ori­en­tie­rung an objek­ti­ven Gesetz­mä­ßig­kei­ten för­dern indi­vi­du­el­les und orga­ni­sa­to­ri­sches Wachs­tum. Ent­schei­dun­gen basie­ren auf Fak­ten und Logik (Ideen-Meri­to­kra­tie), und kon­ti­nu­ier­li­che Ver­bes­se­rung steht im Fokus. Dalio betont die Wich­tig­keit, eige­ne Prin­zi­pi­en zu ent­wi­ckeln, um wie­der­keh­ren­de Her­aus­for­de­run­gen effek­tiv zu meistern.

Cope­land zeich­net das Bild einer Orga­ni­sa­ti­on, die weit ent­fernt ist von der pro­pa­gier­ten Ideen-Meri­to­kra­tie. Statt einer offe­nen, ratio­na­len Dis­kus­si­ons­kul­tur erkennt er auto­kra­ti­sche Züge, sek­ten­haf­te Loya­li­täts­struk­tu­ren und einen aus­ge­präg­ten Per­so­nen­kult um Ray Dalio. Die viel­be­schwo­re­ne „Kul­tur der Radi­ka­len Offen­heit“ erscheint bei ihm nicht als Befrei­ung, son­dern als Über­wa­chungs­sys­tem – ein Régime der per­ma­nen­ten Bewer­tung und Recht­fer­ti­gung. Instru­men­te wie der „Dot Coll­ec­tor“, der jede Inter­ak­ti­on quan­ti­fi­ziert und kom­men­tiert, ver­wan­deln den Anspruch auf Trans­pa­renz in ein Kli­ma der Kon­trol­le, in dem Kri­tik nicht befreit, son­dern bindet.

Mehr noch: Cope­land wirft Dalio vor, Loya­li­tät über Kom­pe­tenz zu stel­len und das Ein­ver­ständ­nis mit sei­nen Prin­zi­pi­en höher zu gewich­ten als unab­hän­gi­ges Den­ken. Hin­ter der Fas­sa­de des ratio­na­len Dis­kur­ses soll sich ein Sys­tem per­sön­li­cher Abhän­gig­kei­ten, will­kür­li­cher Ent­schei­dun­gen und stil­ler Ein­schüch­te­rung ver­ber­gen. Berich­te über Macht­spie­le, Gerüch­te über Beläs­ti­gun­gen und abrup­te Ent­las­sun­gen ver­stär­ken das Bild einer toxi­schen Unter­neh­mens­kul­tur – einer Kul­tur, die weni­ger auf Erkennt­nis als auf Gehor­sam aus­ge­rich­tet ist. So kippt das Ide­al einer ler­nen­den Orga­ni­sa­ti­on in das Gegen­teil: eine Hier­ar­chie der Angst, ver­klei­det als Vernunftgemeinschaft.

All das sind Schil­de­run­gen, wie sie für sek­ten­ähn­li­che Grup­pen typisch sind. An der Spit­ze steht der Guru, der die ein­zig wah­re Leh­re ver­kün­det und sel­ber als letz­te Instanz unfehl­bar ist. Es über­rascht kaum, dass Dalio das anders sieht.

Ver­su­che, die Prin­ci­ples in ein KI-Sys­tem zu über­füh­ren, wur­den nach zehn­jäh­ri­ger Ent­wick­lungs­ar­beit, deren Lei­tung übri­gens Dave Fer­ru­ci, der Ent­wick­ler von Wat­son,  iin­ne­hat­te, und einem Invest­ment von mehr als 100 Mio. Dol­lar auf­ge­ge­ben. Die Schwie­rig­kei­ten, aus den Pri­nic­p­les ein in sich kon­sis­ten­tes, mög­lichst wider­spruchs­frei­es Sys­tem zu erstel­len, erwie­sen sich als unüberwindbar.

Auch der Erfolg von Bridge­wa­ter ist nicht so glän­zend und ein­ma­lig, wie häu­fig berich­tet wird. Dalio ist als noto­ri­scher Pes­si­mist bekannt, der die US-ame­ri­ka­ni­sche Wirt­schaft vor dem Kol­laps sieht. Die­se stra­te­gi­sche Aus­rich­tung oder Fest­le­gung führt nicht sel­ten dazu, dass Dalio und sei­ne Fonds den rich­ti­gen Zeit­punkt zum Aus- und Ein­stieg ver­pas­sen. Wäh­rend ande­re Fonds so lan­ge wie mög­lich Boom­pha­sen mit­neh­men und kurz vor dem Abschwung aus­stei­gen, um dann, nach­dem sich die Lage ent­spannt hat, lang­sam wie­der ein­zu­stei­gen, ver­har­ren Dali­os Fonds zu oft und zu lan­ge in der Defensive.

Beson­ders das ver­meint­lich „All Weather“-getaufte Port­fo­lio und der legen­dä­re „Pure Alpha“-Fonds, lan­ge Zeit als Inbe­griff ratio­na­ler Diver­si­fi­ka­ti­on und sys­te­mi­scher Markt­in­tel­li­genz gefei­ert, konn­ten in den letz­ten zehn bis fünf­zehn Jah­ren den hohen Erwar­tun­gen nicht stand­hal­ten. Wie­der­holt blie­ben sie hin­ter den gro­ßen Bench­marks zurück – jenen schlich­ten, bei­na­he naiv anmu­ten­den Index­fonds wie dem MSCI World oder dem S&P 500, die ohne aus­ge­feil­te Model­le und Makro-The­sen, schlicht durch Markt­be­tei­li­gung, beein­dru­cken­de Ren­di­ten erzielten.

Gera­de die stra­te­gi­sche Grund­hal­tung Bridge­wa­ters – vor­sich­tig, breit gestreut, stets mit Blick auf das Unvor­her­seh­ba­re – wur­de zuneh­mend zur Schwä­che. Was als Absi­che­rung gegen sys­te­mi­sche Schocks gedacht war, erwies sich in Pha­sen anhal­ten­der Hausse als Brems­klotz. Die Fonds ver­pass­ten wesent­li­che Markt­auf­wärts­be­we­gun­gen, und auch der Anspruch, durch intel­li­gen­tes Timing Ein- und Aus­stieg prä­zi­se zu steu­ern, erfüll­te sich nur selten.

So zei­gen exem­pla­ri­sche Daten über einen Zehn­jah­res­zeit­raum ein ernüch­tern­des Bild: Wäh­rend das Bridge­wa­ter-Port­fo­lio ledig­lich rund 18,4 % Ren­di­te erziel­te, leg­te der MSCI World im sel­ben Zeit­raum um über 109 % zu – eine Dif­fe­renz, die kaum noch als bloß zykli­sches Miss­ver­hält­nis erklär­bar ist. In der COVID-Kri­se wie­der­um erwie­sen sich Dali­os Model­le, die auf makro­öko­no­mi­sche Balan­ce und Kor­re­la­tio­nen zwi­schen Anla­ge­klas­sen set­zen, als erstaun­lich fra­gil; sie konn­ten die Ver­wer­fun­gen nicht abfe­dern. Schon 2015 zeig­te sich Ähn­li­ches: Als nahe­zu alle Asset­klas­sen gleich­zei­tig fie­len, blieb der ver­spro­che­ne „Abso­lu­te Return“ aus – das Sys­tem ver­sag­te dort, wo es gera­de sei­ne Stär­ke hät­te bewei­sen sollen.

Im Lang­frist­ver­gleich schließ­lich zieht Bridge­wa­ter auch gegen­über ande­ren Hedge­fonds und ins­be­son­de­re gegen­über pas­si­ven ETF-Anla­gen den Kür­ze­ren. Was einst als Gip­fel intel­lek­tu­el­ler Finanz­kunst galt, erscheint heu­te vie­len Beob­ach­tern als über­kom­ple­xe Ant­wort auf eine zu ein­fa­che Fra­ge: Lässt sich der Markt tat­säch­lich dau­er­haft über­lis­ten? Die nüch­ter­nen Ren­di­ten schei­nen dar­auf eine deut­li­che, bei­na­he iro­ni­sche Ant­wort zu geben.

Der bemer­kens­wer­te Auf­stieg von Bridge­wa­ter ist weni­ger einem anony­men Markt­me­cha­nis­mus als viel­mehr einem dich­ten Netz per­sön­li­cher Bezie­hun­gen zu staat­li­chen Inves­to­ren zu ver­dan­ken. Tat­säch­lich zählt Bridge­wa­ter seit Jah­ren zu jenen Häu­sern, die sich auf das Ver­trau­en und Kapi­tal der gro­ßen Staats­fonds – den soge­nann­ten Sove­reign Wealth Funds – stüt­zen. Zu die­sen gehö­ren die Fonds aus Kasach­stan, Bru­nei und Indo­ne­si­en, eben­so wie aus Chi­na und den Golf­staa­ten. Beson­ders augen­fäl­lig ist der Fall Bru­neis: Der dor­ti­ge Staats­fonds soll mitt­ler­wei­le nahe­zu ein Fünf­tel der Bridge­wa­ter-Antei­le hal­ten – ein Anteil, der nicht nur finan­zi­el­le, son­dern auch stra­te­gi­sche Nähe signalisiert.

Ray Dalio selbst gilt als Meis­ter der Ver­net­zung, als jemand, der mit fast diplo­ma­ti­scher Geschick­lich­keit Zugang zu den Macht­zen­tren der Finanz­welt gefun­den hat. Sein Name steht vor allem für eine sel­te­ne Form von Bezie­hungs­in­tel­li­genz. In Regie­rungs­krei­sen, Zen­tral­ban­ken und gro­ßen Fonds wird Dalio nicht als gewöhn­li­cher Ver­mö­gens­ver­wal­ter wahr­ge­nom­men, son­dern als Rat­ge­ber – fast als poli­tisch-öko­no­mi­scher Gesprächs­part­ner auf Augen­hö­he. In Indo­ne­si­en etwa wirkt er der­zeit als offi­zi­el­ler Bera­ter des neu­en staat­li­chen Dan­ant­ara-Fonds, ein Man­dat, das sei­ne Posi­ti­on im glo­ba­len Geflecht staat­li­cher Kapi­tal­strö­me noch wei­ter festigt.

Die­se Nähe zu den gro­ßen, häu­fig wenig trans­pa­ren­ten Kapi­tal­ge­bern ver­leiht Bridge­wa­ter eine Sta­bi­li­tät, die über die rei­ne Per­for­mance der Fonds hin­aus­reicht. In Zei­ten, in denen Märk­te schwan­ken und Anle­gern die Ner­ven ver­sa­gen, bleibt das Anla­ge­vo­lu­men der Staats­fonds bestän­dig – getra­gen von lang­fris­ti­gen Bezie­hun­gen, insti­tu­tio­nel­lem Ver­trau­en und der Aura per­sön­li­cher Loya­li­tät. So erscheint der äuße­re Erfolg Bridge­wa­ters nicht allein als Fol­ge öko­no­mi­scher Exzel­lenz, son­dern auch als Ergeb­nis einer stil­len, stra­te­gi­schen Diplo­ma­tie des Kapi­tals: eines Bezie­hungs­ge­flechts, das das Geschäfts­mo­dell und die Wider­stands­kraft des Hau­ses bis heu­te prägt.

Das ist das eigent­li­che “Erfolgs­re­zept” und das gro­ße Talent von Dalio: Sei­ne stark aus­ge­präg­te “Bezie­hungs­in­tel­li­genz” und die Fähig­keit, sich in der Öffent­lich­keit als eine Art Staats­mann mit öko­no­mi­schem Weit­blick zu prä­sen­tie­ren – nicht mehr und nicht weniger.

Schluss­be­mer­kung

Das Buch von Cope­land räumt mit einer Rei­he von Legen­den und Mythen auf, die sich in den letz­ten Jah­ren um Bridge­wa­ter und Dalio gebil­det haben und die auch von Dalio selbst mit gro­ßem Geschick gepflegt werden.

Bridge­wa­ter und Dalio sind gewiss nicht gewöhn­lich und reprä­sen­tie­ren ein Modell, das – trotz z.T. erheb­li­cher Defi­zi­te – den Nerv der Zeit, den Zeit­geist getrof­fen hat. Aber, wie das mit sol­chen Erfolgs­mo­del­len so ist – sie sind eben nur auf Zeit und an bestimm­te Bedin­gun­gen – und in die­sem Fall an die Per­son Dali­os – geknüpft, die vergehen.

Inso­fern ist davon aus­zu­ge­hen, dass von den Anla­ge­prin­zi­pi­en von Bridge­wa­ter eben­so wie von den Prin­ci­ples von Dalio nicht viel mehr als eine Erin­ne­rung blei­ben wird, die bei vie­len Beob­ach­tern neben Bewun­de­rung auch Irri­ta­ti­on, Kopf­schüt­teln und viel­leicht sogar Hei­ter­keit aus­lö­sen dürf­te. Eine ähn­li­che Wir­kung die Prin­ci­pia Mathe­ma­ti­ca von New­ton, da legt sich der Ver­fas­ser die­ser Zei­len fest, wird ihnen nicht beschie­den sein. Dazu reicht es dann bei wei­tem nicht. Das ist dann doch eine ganz ande­re Liga.