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Die vergessene Mission: Wie Sparkassen und Genossenschaftsbanken ihre ursprüngliche Funktion aus dem Blick verloren – und warum das für die deutsche Wirtschaft zum Problem wird.
Es gibt in der deutschen Wirtschaft kaum ein Segment, das so sehr nach den Gedanken des Nationalökonomen Friedrich List klingt wie die Regionalbanken. Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind dezentral organisiert, regional verankert, auf die lokale Wirtschaft ausgerichtet. Sie halten Kapital in der Region, finanzieren den Mittelstand, sind nicht den Renditeanforderungen internationaler Kapitalmärkte unterworfen. Das entspricht ziemlich genau dem, was der Nationalökonom des 19. Jahrhunderts unter produktiven Kräften verstand, die organisch mit der lokalen Wirtschaft verwoben sind.
Bei näherem Hinsehen jedoch zeigt sich ein Versäumnis, das demjenigen der deutschen Industrie auf fatale Weise ähnelt: Die Regionalbanken haben es versäumt, neue produktive Kräfte aufzubauen. Sie haben das Bestehende verwaltet, statt es zu transformieren. Und sie haben dabei ihre ursprüngliche Mission aus dem Blick verloren.
Was produktive Kräfte bedeuten
Um zu verstehen, was hier auf dem Spiel steht, muss man Lists zentralen Begriff klären. Die klassische Ökonomie seit Adam Smith interessierte sich vor allem für den Tauschwert: Was ist ein Gut auf dem Markt wert, wie lässt sich Wohlstand messen, wie maximiert man den Nutzen? List stellte eine andere Frage: Was befähigt eine Nation überhaupt, Werte zu schaffen?
Seine Antwort lautete: die produktiven Kräfte. Damit meinte er das Zusammenspiel aus technischem Wissen, Fähigkeiten der Bevölkerung, institutionellen Rahmenbedingungen, Infrastruktur und – entscheidend – der Vernetzung all dieser Elemente. Produktive Kräfte sind nicht einfach die Summe von Maschinen und Arbeitern. Sie sind ein organisches System, in dem jedes Element die anderen verstärkt oder schwächt.
Lists berühmtes Beispiel: Ein Land, das seine Industriebasis aufgibt, um billigere Güter zu importieren, mag kurzfristig reicher erscheinen. Die Konsumenten profitieren von niedrigeren Preisen, die Statistik weist Wohlstandsgewinne aus. Aber das Land verliert die Fähigkeit, künftig Werte zu schaffen. Fabriken schließen, Wissen geht verloren, Zuliefernetzwerke zerfallen, Ausbildungsberufe verschwinden. Der momentane Wohlstand wird mit der Zerstörung künftigen Wohlstands erkauft.
Diese Unterscheidung zwischen Tauschwert und produktiver Kraft ist fundamental – und sie lässt sich direkt auf das Bankwesen übertragen. Eine Bank, die nur Kapital vermittelt, erfüllt eine Tauschwertfunktion. Sie bringt Sparer und Kreditnehmer zusammen, kassiert eine Marge dazwischen, optimiert die Transaktion. Das können viele, und es wird zunehmend zur austauschbaren Dienstleistung. Eine Bank hingegen, die produktive Kräfte mobilisiert, tut etwas qualitativ anderes.
Was bedeutet das konkret? Eine solche Bank ermöglicht Investitionen, die ohne sie nicht stattfänden. Sie überbrückt Informationsasymmetrien, die der anonyme Kapitalmarkt nicht überbrücken kann. Sie trägt Risiken, die standardisierte Modelle nicht bewerten können, weil sie auf lokalem Wissen basieren, das sich nicht in Zahlen fassen lässt. Sie begleitet Unternehmen durch Krisen, statt bei den ersten Warnsignalen die Kredite zu kündigen. Und sie versteht, dass ein Kredit nicht nur Geld bewegt, sondern Fähigkeiten schafft.
Denn die produktive Kraft des Kredits geht weit über die unmittelbare Transaktion hinaus. List verstand Wirtschaft als dynamisches System, in dem Investitionen nicht nur Güter produzieren, sondern Kompetenzen aufbauen. Ein Kredit für eine neue Maschine produziert nicht nur mehr Schrauben. Er zwingt den Betrieb, neue Fähigkeiten zu entwickeln. Er qualifiziert Mitarbeiter, die diese Maschine bedienen und warten müssen.
Er zieht möglicherweise Zulieferer nach, die sich in der Nähe ansie…

