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Während Boom- und Bust-Phasen verwandeln sich Finanzmärkte in eine psychologische Masse, die eigenen Gesetzen folgt – jenseits individueller Rationalität. Ein neues theoretisches Rahmenwerk verbindet klassische Massenpsychologie mit moderner Verhaltensökonomie und offenbart: Marktkrisen sind keine Summe individueller Fehler, sondern emergente kollektive Phänomene.
In den Wirren der Finanzkrise 2008 beobachteten fassungslose Ökonomen, wie erfahrene Marktteilnehmer scheinbar jeden Verstand verloren. Panikverkäufe jagten einander, Gerüchte verbreiteten sich mit viraler Geschwindigkeit, und selbst professionelle Händler handelten gegen ihre eigene Expertise. Was die klassische Ökonomie als bedauerliche Abweichung rationaler Akteure interpretierte, war in Wirklichkeit etwas fundamental anderes: die Geburt eines kollektiven Geisteszustands.
Claire Barraud legt in ihrer Arbeit “Financial markets as a Le Bonian crowd during boom-and-bust episodes” den Finger in eine offene Wunde der Verhaltensökonomie. Seit Kahneman und Tversky die kognitiven Verzerrungen individueller Entscheidungsträger kartografiert haben, dominiert eine mikroökonomische Perspektive das Feld. Wir wissen viel darüber, wie einzelne Menschen irren – aber erschreckend wenig darüber, wie aus diesen individuellen Irrungen kollektive Katastrophen entstehen.
Die vergessene Dimension des Kollektiven
Die Verhaltensökonomie hat uns gelehrt, dass Menschen nicht die rationalen Rechenmaschinen sind, die neoklassische Modelle voraussetzen. Doch selbst Robert Shiller, Hyman Minsky und Charles Kindleberger – Pioniere der makroökonomischen Verhaltensforschung – behandelten Marktinstabilität letztlich als Aggregation individueller Fehler. Was fehlte, war eine Theorie der Aggregation selbst: Wie genau verwandeln sich Millionen i…

