Von Ralf Keuper
Was wurde und wird nicht alles in die Blockchain hinein interpretiert, welch umwälzende, revolutionäre Wirkungen wurden ihr noch nicht zugeschrieben: Von der Revolution des Bank‑, Finanz-und Staatswesens bis zur völligen Umgestaltung der Gesellschaft. Alles sollte oder soll mit der Blockchain transparenter, dezentraler, demokratischer und effizienter laufen. Wie bei dem Märchen Des Kaisers neue Kleider von H.C. Andersen erweisen sich die Blockchain bzw. einige ihrer Ableger bei genauerer Betrachtung als unbekleidet. Irgendwann verliert die Massensuggestion ihre Wirkung, vor allem dann, wenn sie mit der Realität konfrontiert wird.
Erste Risse in der Gemeinschaft wurden Anfang des Jahres sichtbar, als einer der Jünger das Bitcoin-Experiment für gescheitert erklärte.
Mit dem Hacker-Angriff auf The DAO sind weitere konzeptionelle Defizite offen zu Tage getreten, wie es in Hacker statt Juristen? Probleme bei Smart-Contract-Projekt „The DAO“ weiter ungelöst heisst. Die Annahme, dass ein unveränderlicher und unwiderlegbarer Code Gesetzeskraft erlangen könnte, hat sich als falsch erwiesen, jedenfalls gemessen an den ursprünglichen Absichten des Projekts. Es zeigt sich, dass, wenn der Code Gesetz ist, Hacker im Recht sind. Ein Kommentator auf heise.online bringt es auf den Punkt:
Mit einem hard Fork würde nun jedoch zum Ausdruck gebracht werden, dass der Code doch nicht Gesetz ist, sondern die Interpretation, wie er zu nutzen ist, in Form der Mehrheitsentscheidung.
Das ist das Problem: Eigentlich haben die Verantwortlichen nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Spielen sie den Fork ein, dann haben sie eingestanden, dass der Code nicht das Gesetz sein kann und manipulierbar ist, womit sie das Hauptprinzip aufgegeben hätten – quasi der Sündenfall; tun sie es nicht, geben sie dem Hacker, zumindest indirekt, recht.
Kyle Torpey geht in The DAO Disaster Illustrates Differing Philosophies in Bitcoin and Ethereum davon aus, dass Ethereum den sozialen Konsens, die Mehrheitsentscheidung wählen und den Code übersteuern wird. Torpey schreibt:
Whether the Ethereum community is making the right decision or not, it’s undoubtedly true that the state of any blockchain is only valid if it’s accepted socially. These networks are about much more than computer code.
Von einem weiteren Sicherheitsproblem der Blockchain wird in dem Beitrag Die unsichere Welt der Blockchain berichtet. Demnach wurde auch Shapeshift Opfer eines Hacker-Angriffs. Dort gelang es einem Angestellten, sein Wissen um eine Sicherheitslücke an einen Hacker zu verkaufen, der dann 100.000 Dollar in Kryptowährungen klaute. Vor wenigen Wochen ging der Kryptowährungsmarktplatz Gatecoin offline, nachdem man merkwürdige Transaktionen festgestellt hatte. Angreifern gelang es, mehr als 5% des Ehter-Bestands (Ether ist die Kryptowährung von Ethereum) zu entwenden.
Was, wenn die Prophezeiungen wahr werden sollten, und demnächst Public Blockchains weite Teile des Finanzverkehrs übernehmen? Was geschieht im Fall von Hacker-Angriffen, welche Kettenreaktionen könnte das zur Folge haben, welcher Vertrauensverlust wäre die Konsequenz? Das käme einer Kernschmelze des Finanzmarktes sehr, sehr nahe.
Durch die Züchtung der ins Extrem übersteigerten Erwartungen leisten die Blockchain-Enthusiasten der Technologie einen Bären-Dienst. Schon jetzt lässt sich sagen, dass die Erwartungen nicht mehr erfüllt werden können. Das ist das eigentliche Dilemma.
Weitere Informationen:
Happy-End im Hacker-Krimi: Die Firma ohne Menschen rettet 53 Mio. Dollar
Unternehmensberatungen äußern sich zu Ethereum’s Hard Fork
Bitcoin Developers Warn Ethereum Fork Sets Unsettling Precedent