Von Ralf Keuper

In mei­nem letz­ten Blog-Bei­trag Digi­ta­les Ban­king mit dem Orga­ni­sa­ti­ons­mo­dell des 20. Jahr­hun­derts? (“Das Schloss 2.0”) habe ich mich kri­tisch mit dem Ansatz des digi­ta­len Ser­vice­cen­ter, wie ihn Nils Haf­ner u.a. in Anleh­nung an Deloit­te, ent­wor­fen hat, auseinandergesetzt.

Nils Haf­ner hat auf mei­ne Kri­tik in zwei Kom­men­ta­ren geant­wor­tet. Einen wei­te­ren Kom­men­tar gab er in CRM Trends 2015 – Digi­ta­li­sie­rung kommt im Ser­vice an!

Mein Haupt­ein­wand war bzw. ist, dass das vor­ge­stell­te Modell noch immer in dem alten Den­ken in Hier­ar­chien und Funk­tio­nen ver­haf­tet ist, und daher ein zu gro­ßes Gewicht auf Zustän­dig­kei­ten, Stan­dar­di­sie­rung und Auto­ma­ti­sie­rung gelegt wird. Wei­ter­hin hal­te ich den Ansatz des digi­ta­len Ser­vice­cen­ters ange­sichts der Ver­brei­tung von Netz­werk­or­ga­ni­sa­tio­nen und Platt­for­men im Ban­king für überholt.

Dem­ge­gen­über wen­det nun Nils Haf­ner ein, sofern ich ihn jetzt rich­tig wie­der­ge­be, dass die Digi­ta­li­sie­rung eine genaue Zuord­nung, Unter­schei­dung der Kun­den­be­dürf­nis­se mit sich bringt, ja sie erst in die­ser Form ermög­licht. Inso­fern ist eine genaue Zuord­nung des Kun­den­be­darfs zu einem frü­hen Zeit­punkt mög­lich, ohne dass der Kun­den noch gro­ße inter­ne Schlei­fen dre­hen muss. Für alle Fäl­le, die ein hohes Maß an Gleich­för­mig­keit und Wie­der­hol­bar­keit auf­wei­sen, wie z.B. Adress­än­de­run­gen, kön­nen stan­dar­di­sier­te Ser­vices ein­ge­setzt wer­den. Jeder wei­te­re dar­über hin­aus­ge­hen­de Bedarf, gilt als Bera­tung, d.h. hier geht um Ver­ständ­nis­fra­gen, die im Dia­log geklärt wer­den kön­nen, bzw. erst hier geklärt wer­den müssen.

Letzt­end­lich läuft das auf die Unter­schei­dung Ser­vice vs. Bera­tung und Ana­log vs. Digi­tal hinaus.

So weit so gut. Es wäre gewiss wirk­lich­keits­fremd davon aus­zu­ge­hen, dass jedes Kun­den­be­dürf­nis ein­zig­ar­tig ist und daher eine indi­vi­du­el­le Betrach­tung erfor­dert. Inso­fern ist Stan­dar­di­sie­rung in bestimm­ten Berei­chen nötig.

Dave Gray defi­niert in The Con­nec­ted Com­pa­ny die Ser­vice­ori­en­tie­rung fast schon dia­me­tral. Sei­ner Ansicht nach besteht das Pro­blem der meis­ten Unter­neh­men und Ban­ken dar­in, dass sie noch immer uni-direk­tio­nal arbei­ten, d.h. die Aktio­nen gehen vom Unter­neh­men zum Kun­den, direk­tes Feed­back, unmit­tel­ba­re Inter­ak­ti­on mit den Kun­den ist nicht vor­ge­se­hen. Dazu sind die Pro­zes­se auch nicht geeig­net, da sie noch immer der Logik des Indus­trie­zeit­al­ters im Sin­ne von Effi­zi­enz und Stan­dar­di­sie­rung ver­haf­tet sind. Jeg­li­che unvor­her­seh­ba­re, spon­ta­ne Reak­ti­on von außen ist dar­in nicht vor­ge­se­hen, sie wür­de den geord­ne­ten Ablauf ohne­hin nur gefähr­den. Ser­vice-ori­en­tier­te Unter­neh­men, die in Zukunft das Bild domi­nie­ren wer­den, fol­gen einem grund­le­gend ande­ren Denken.

Nicht alle Unter­neh­mens­be­rei­che müs­sen in die­ser Wei­se orga­ni­siert sein. Es blei­ben auch wei­ter­hin Zonen der Sta­bi­li­tät, Gray nennt sie Back Stage. Auf die Ter­mi­no­lo­gie der Bank-IT über­tra­gen: Back End. Im Front End dage­gen sind dage­gen Fle­xi­bi­li­tät und hohe Anpas­sungs­fä­hig­keit erfor­der­lich. (Vgl. dazu: Die Bank als Platt­form #2)

Gray schreibt u.a.

While pro­ces­ses are desi­gned to be con­sis­tent and uni­form, ser­vices are co-crea­ted with cus­to­mers each and every time a ser­vice is ren­de­red. The dif­fe­rence is not super­fi­ci­al but fun­da­men­tal. A pro­cess has only one cus­to­mer: the per­son, who recei­ves the final result. A pro­cess is rule-bound and tight­ly regu­la­ted. The qua­li­ty of the process’s out­put can be jud­ged by the cus­to­mer at the end of the line. A ser­vice on the other hand, is at its core a rela­ti­onship bet­ween ser­ver and ser­ved. Ser­vice is work per­for­med in sup­port of ano­ther per­son. At every point of inter­ac­tion, the mea­su­re of suc­cess is not a pro­duct but the satis­fac­tion, delight or dis­ap­point­ment of the customer. …

Our com­pa­nies have all been opti­mi­zed for a per­fect one-way-stream, the line of pro­duc­tion, and the­se pes­ky cus­to­mers are muck­ing about in our ope­ra­ti­ons, and we have now a com­ple­te­ly dif­fe­rent pro­blem to sol­ve. We need to opti­mi­ze not for the line of pro­duc­tion but for the line of inter­ac­tion, the front-line – the edge of the orga­niza­ti­on – whe­re our peo­p­le and sys­tems come into direct cont­act with cus­to­mers. It’s a who­le dif­fe­rent thing. (Vgl. dazu: Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on durch Pro­zess­au­to­ma­ti­sie­rung?)

Gray unter­schei­det nicht wei­ter zwi­schen Bera­tung und Ser­vice. Sie sind, so weit ich ihn ver­ste­he, deckungs­gleich. Den Gegen­satz zum Ser­vice bil­det für ihn der Pro­zess, der Standard.

Mag sein, dass es sich hier nur um begriff­li­che Dif­fe­ren­zen zwi­schen die­sem Modell und dem von Haf­ner und Deloit­te han­delt. Nach mei­nen Ein­druck lie­gen die Dif­fe­ren­zen jedoch tie­fer. Der Punkt bedarf noch wei­te­rer Diskussionen.

Eine wei­te­re Unter­schei­dung, die sich in dem Zusam­men­hang tref­fen lässt, ist die zwi­schen digi­tal und ana­log. Digi­tal in dem Sin­ne, dass es mög­lich ist, Kun­den genau zuzu­ord­nen, iden­ti­fi­zie­ren und ihr Bedürf­nis bewer­ten und, sofern mög­lich, lösen zu kön­nen – Ser­vice also. Ana­log dage­gen bedeu­tet, das eigent­li­che Pro­blem mit dem Kun­den zusam­men zu defi­nie­ren – im Dia­log. Klas­si­sche Bera­tung also.

Das führt uns zu dem Modell der Syn­chro­nen Bank. Vor eini­gen Mona­ten schrieb ich zur Unter­schei­dung zwi­schen Ana­lo­gem und digi­ta­lem Banking:

Die Ver­tre­ter des her­kömm­li­chen, klas­si­schen Ban­king heben ger­ne die Bedeu­tung der per­sön­li­chen Bezie­hung mit den Kun­den, die sich über einen lan­gen Zeit­raum ent­wi­ckelt hat, her­vor. Im sel­ben Atem­zug wird die Rele­vanz der sta­tio­nä­ren Filia­len, als ver­läss­li­cher und ver­trau­ter Anlauf­stel­le für die Kun­den her­vor­ge­ho­ben. Ein vor­wie­gend ana­lo­ges Ban­king also.

Dem­ge­gen­über sind die Prot­ago­nis­ten des digi­ta­len Ban­king davon über­zeugt, dass es künf­tig kei­ner phy­si­schen Filia­len mehr bedarf. Der per­sön­li­che Kon­takt lässt sich auf die direk­te, situa­tions- und zeit­punkt­be­zo­ge­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on über Internet/​Smartphones redu­zie­ren. Der Auf­bau einer per­sön­li­chen Bezie­hung mit einem bestimm­ten Berater/​bestimmter Bera­te­rin ist nicht mehr nötig. Dafür ist das Geschäft zu wech­sel­haft, der tech­no­lo­gi­sche Fort­schritt in der Kom­mu­ni­ka­ti­on zu rasant, um sich noch auf der­ar­ti­ge Kon­stan­ten ein- bzw. ver­las­sen zu können.

Kann die Sychro­ni­sie­rung durch das digi­ta­le Ser­vice­cen­ter in dem von Haf­ner und Deloit­te ange­dach­ten Sinn gelin­gen? Ist die­ses Modell fle­xi­bel und durch­läs­sig genug, um spon­tan reagie­ren zu kön­nen? Ver­fügt es über lose Kopp­lun­gen, sowohl intern wie auch extern, die die Orga­ni­sa­ti­on, die Bank in die Lage ver­set­zen, Kun­den­be­dürf­nis­se eben­so wie Risi­ken zu anti­zi­pie­ren, die sog. Schwa­chen Signa­le früh- bzw. recht­zei­tig zu erken­nen? Kann sie in die­ser Dis­zi­plin mit den Platt­for­men, Netz­werk­or­ga­ni­sa­tio­nen und digi­ta­len Öko­sys­te­men über­haupt kon­kur­rie­ren? Läuft der Medi­en­wan­del nicht schon längst an den Ban­ken vor­bei, in die Kanä­le der gro­ßen Inter­net­kon­zer­ne wie Goog­le, face­book, Ama­zon, Apple, Ali­baba, Pay­Pal & Co? Wel­che Reich­wei­te, wel­chen unver­wech­sel­ba­ren Con­tent hat eine Bank dem ent­ge­gen­zu­set­zen? Wer­den nicht vie­le Kun­den­be­dürf­nis­se auf ande­ren Platt­for­men und Kanä­len gelöst, ohne über­haupt bei einer Bank auf­ge­schla­gen zu sein?

Der Digi­ta­le Wan­del in Kom­bi­na­ti­on mit dem media­len Wan­del ist die eigent­li­che, die gro­ße Her­aus­for­de­rung der Ban­ken. Die hier­für pas­sen­den Model­le müs­sen, so weit ich sehen kann, erst noch gefun­den wer­den, sofern es sie über­haupt noch gibt 😉

Wir wer­den sehen. 

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