Der Einsatz künstlicher Intelligenz macht Banken stabiler – allerdings nur dann, wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen stimmen. Eine Studie zu 29 entwickelten Ländern zeigt: Erst ab einer Kapitalquote von knapp acht Prozent entfaltet KI ihre stabilisierende Wirkung. Das hat Konsequenzen für die Aufsichtspolitik.
Die empirische Grundlage
Die Untersuchung basiert auf Daten aus 29 entwickelten Volkswirtschaften im Zeitraum von 2017 bis 2021[1]Effect of artificial intelligence on banking stability: Evidence from developed countries. Die Autoren kombinieren Panel‑, Schwellen- und Quantilsmodelle, um den Zusammenhang zwischen KI-Investitionen und der Stabilität des Bankensektors zu analysieren. Als Messgröße für die Bankenstabilität dienen Kennzahlen, die das Ausfallrisiko und die Solidität der Institute abbilden.
Das zentrale Ergebnis ist eindeutig: Der Einsatz künstlicher Intelligenz hat einen signifikant positiven Effekt auf die Bankenstabilität. Dieser Zusammenhang ist statistisch robust über verschiedene Modellspezifikationen hinweg. Entscheidend ist jedoch, dass sich der stabilisierende Effekt nicht gleichmäßig verteilt, sondern von der regulatorischen Ausstattung der Banken abhängt.
Die Schwelle von 7,95 Prozent
Die Studie identifiziert eine kritische Schwelle bei der Kapitaladäquanzquote von 7,95 Prozent. Unterhalb dieses Wertes scheint KI nur begrenzt stabilisierend zu wirken. Die Erklärung liegt auf der Hand: Das Puffervolumen im System ist zu gering, um Schocks abzufangen. Technologische Verbesserungen im Risikomanagement können strukturelle Unterkapitalisierung nicht kompensieren.
Oberhalb der Schwelle hingegen verstärkt sich der positive Effekt deutlich. KI erhöht offenbar die Fähigkeit der Banken, Risiken frühzeitig zu erkennen – etwa durch verbesserte Kreditrisikomodelle und Frühwarnsysteme – und ihre Portfolios robuster zu steuern. Die vorhandene Eigenkapitalbasis wird effektiver genutzt. Die Technologie wirkt als Verstärker einer soliden Regulierungsbasis, nicht als deren Ersatz.
Verzögerte Wirksamkeit
Über ein Local-Projection-Verfahren zeigen die Autoren zudem, dass die Wirkung von KI-Investitionen zeitversetzt eintritt. Ein einmaliger Anstieg der KI-Investitionen führt erst nach etwa drei Jahren zu einem statistisch signifikanten Anstieg der Bankenstabilität. Diese Verzögerung ist plausibel: Infrastrukturaufbau, Datenintegration und organisatorische Anpassungen benötigen Zeit, bevor sich der Stabilitätsgewinn in den Kennzahlen niederschlägt.
Dieser Befund ist für die Bewertung aktueller KI-Investitionen relevant. Kurzfristige Renditeerwartungen an KI-Projekte im Bankensektor greifen zu kurz. Die Studie legt nahe, dass es sich um längerfristige Transformationsprozesse handelt, deren Früchte erst mit erheblicher Verzögerung reifen.
Implikationen für die Aufsichtspolitik
Die Ergebnisse fügen sich in ein kohärentes Bild: KI im Risikomanagement und in der Aufsicht – etwa bei Betrugserkennung, Stresstests oder Szenarioanalysen – ist eher ein Verstärker vorhandener Strukturen als eine transformative Kraft. Die Formel lautet vereinfacht: Gute Regulierung plus KI ergibt mehr Stabilität; schlechte Regulierung plus KI ergibt begrenzten Nutzen oder potenziell höhere Komplexitätsrisiken.
Politökonomisch stützt die Studie jene Aufseher, die KI-Investitionen im Bankensektor grundsätzlich positiv sehen, aber zugleich nicht von harten Kapitalanforderungen abrücken wollen. Die Kombination beider Elemente bringt laut den Befunden den größten Stabilitätsgewinn. Es wäre verfehlt, KI als Argument für eine Lockerung der Regulierung zu instrumentalisieren. Das Gegenteil ist der Fall: Erst eine ausreichend strenge Kapitalausstattung ermöglicht es, das Potential künstlicher Intelligenz für die Finanzstabilität auszuschöpfen.
Die Studie liefert damit ein nüchternes Korrektiv zu überzogenen Erwartungen an KI im Finanzsektor. Technologie ist kein Substitut für solide Grundlagen – sie ist deren Multiplikator.
References
