Hans-Jörg Nau­mer

Mono­po­le und Oli­go­po­le ten­die­ren dazu, ihre Macht zu miss­brau­chen und Wett­be­werb zu unter­bin­den. Als Para­de­bei­spiel für ein Oli­go­pol gal­ten bis­lang die Ölkon­zer­ne. Die­ser Befund trifft mitt­ler­wei­le auch auf die Daten­öko­no­mie mit ihren Haupt­ak­teu­ren Goog­le, face­book, Ama­zon, Ali­baba & Co. zu. Die Ölkon­zer­ne muss­ten noch das Land von den Eigen­tü­mern erwer­ben, um an den Roh­stoff zu gelan­gen; in der Daten­öko­no­mie wer­den die Eigen­tü­mer als Pro­du­zen­ten und Eigen­tü­mer der Daten für deren Über­las­sung dage­gen nicht bezahlt. Der der­zei­ti­ge Deal ist von einem Macht­un­gleich­ge­wicht geprägt. Die Nut­zer haben kaum eine ech­te Alter­na­ti­ve. Ent­we­der sie stim­men den Geschäfts­be­din­gun­gen zu oder sie kön­nen die Dienst­leis­tun­gen nicht in Anspruch neh­men. Es fehlt ech­ter Wett­be­werb. Im Gespräch mit Bank­stil erläu­tert Hans-Jörg Nau­mer (Foto),  Glo­bal Head of Capi­tal Mar­kets & The­ma­tic Rese­arch von Alli­anz Glo­bal Inves­tors, war­um das Eigen­tum an den Daten unver­zicht­ba­rer Bestand­teil der sozia­len Markt­wirt­schaft ist, wie Daten-Genos­sen­schaf­ten und Daten­por­ta­bi­li­tät für mehr Wett­be­werb sor­gen könn­ten und war­um das Ende der Pri­vat­heit den Beginn der Dik­ta­tur bedeu­tet. Vor weni­gen Wochen ver­öf­fent­lich­te Hans-Jörg Nau­mer den Bei­trag Die Face­book-Genos­sen­schaft

  • Herr Nau­mer, in Ihrem Bei­trag Die Face­book-Genos­sen­schaft plä­die­ren Sie für eine Alter­na­ti­ve zum der­zeit vor­herr­schen­den Daten­ka­pi­ta­lis­mus. War­um ist das nötig?

Wir alle hin­ter­las­sen unzäh­li­ge Daten­spu­ren, bewusst wie unbe­wusst, und trös­ten uns damit, dass wir ja nichts zu ver­ber­gen haben. Dabei bleibt die Grund­fra­ge unge­klärt: Wem gehö­ren eigent­lich die Daten? Tat­sa­che ist: Wir über­eig­nen unse­re Daten i.d.R. ent­gelt­los in Erwar­tung einer Dienst­leis­tung und ver­trau­en dar­auf, dass uns die AGBs vor Miss­brauch schüt­zen. Die­se aner­ken­nen wir durch das Kli­cken auf einen Zustim­mungs­but­ton. Eine Chan­ce die­se unse­ren Bedürf­nis­sen anzu­pas­sen haben wir eh‘ nicht. Annah­me oder Akzep­tanz – dabei sein oder nicht, einen Mit­tel­weg gibt es nicht. Pri­vat­sphä­re gegen Bequem­lich­keit, Daten­ei­gen­tum gegen Anwen­dung heißt der unaus­ge­spro­che­ne Trade-Off. 

Wer sagt aber, dass es bei die­sem Daten­ka­pi­ta­lis­mus blei­ben muss? War­um soll­te den Daten­ge­bern, also den Nut­zern, nicht ein Anteil an der Platt­form gehören?

Eine Alter­na­ti­ve wäre die Daten-Genos­sen­schaft: Die Platt­form gehört den Nut­zern, nicht den Betrei­bern. Genos­sen­schafts­an­tei­le und damit Eigen­tums- wie Stimm­rech­te erhal­ten die Teil­neh­mer antei­lig nach dem Daten­vo­lu­men, das sie gene­rie­ren. Ent­spre­chend wer­den sie auch antei­lig am Gewinn betei­ligt. Sie bestim­men auch, wie und wie lan­ge ihre Daten genutzt werden. 

  • Obwohl Unter­neh­men wie Face­book und Goog­le die Daten der Nut­zer wie ein Wirt­schafts- und Han­dels­gut behan­deln, gibt es zahl­rei­che Stim­men, die den Eigen­tums­be­griff für per­so­nen­be­zo­ge­ne Daten ableh­nen. Wie sehen Sie das?

Im Zwei­fel immer für das Pri­vat­ei­gen­tum. Das Pri­vat­ei­gen­tum ist kon­sti­tu­tiv für unse­re Sozia­le Markt­wirt­schaft. Mag sein, dass unse­re Daten erst im Zusam­men­spiel mit ande­ren Daten und Anwen­dun­gen zu Infor­ma­tio­nen wer­den, also einen Wert und eine Bedeu­tung erhal­ten. Aus­gangs­punkt sind aber wir. Ob wir sie dann ver­schen­ken, ver­kau­fen, löschen, … das muss ganz bei uns liegen. 

  • Wel­che Vor­tei­le hat eine Daten-Genos­sen­schaft für die Erzeu­ger der Daten, sprich die Nutzer?

Die „Genos­sen“ sind Eigen­tü­mer. Sie bestim­men, was mit ihren Daten geschieht. Sie ent­schei­den, wie lan­ge sie, wie und vom wem genutzt wer­den kön­nen. Infor­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung und der Schutz der Pri­vat­sphä­re liegt bei dem, der die Daten bereit­stellt. Der öko­no­mi­sche Nut­zen übri­gens auch. 

Und: Wenn es kei­ne allei­ni­gen Besit­zer – die Platt­form – mehr gibt, oder Akti­en­ge­sell­schaf­ten, bei denen das Kapi­tal­ei­gen­tum von der Zur­ver­fü­gung­stel­lung der Daten getrennt ist, wirkt dies der Kapi­tal­kon­zen­tra­ti­on ent­ge­gen. Die Daten-Genos­sen­schaft ist ein Mit­tel gegen die Ungleichheit.

  • Wenn Daten so etwas wie Ver­mö­gens­wer­te dar­stel­len, bräuch­ten wir dann nicht wie­der spe­zi­el­le Insti­tu­tio­nen, die für die siche­re Ver­wah­rung, die Bewer­tung und das Clea­ring zustän­dig sind – wie eine Daten-Bank e.G.?

Wir brau­chen gene­rell wei­te­re Anbie­ter, denn wir brau­chen Wett­be­werb, ohne Wett­be­werb nutzt auch eine Daten-Genos­sen­schaft nichts. Solan­ge Face­book et al. von dem Netz­ef­fekt pro­fi­tie­ren und damit hohe Markt­zu­tritts­schran­ken exis­tie­ren, wird die Daten­ge­nos­sen­schaft einen lei­sen Tod als Papier­ti­ger sterben.

Wenn Daten aber por­ta­bel sind, wenn sich Nut­zer zwi­schen den Platt­for­men per API („appli­ca­ti­on pro­gramming inter­face“) ver­bin­den kön­nen, so, wie sie es auch heu­te schon zwi­schen den unter­schied­li­chen Mail-Anbie­tern tun kön­nen, dann kann sich der „Wett­be­werb als herr­schafts­frei­er Kon­troll­me­cha­nis­mus“ eta­blie­ren. Dann kön­nen Tüft­ler ein „Fair­book“ pro­gram­mie­ren, das es mit Face­book auf­neh­men kann.

  • Von der Daten­sam­mel­wut ist auch das Inter­net of Things und damit die Indus­trie betrof­fen. Benö­ti­gen wir für die mit­tel­stän­di­sche Wirt­schaft ent­spre­chen­de Daten-Genossenschaften?

Ich den­ke, dass der Grund­ge­dan­ke, dass Daten mit Eigen­tums­rech­ten ver­bun­den die z.B. mit­tels einer ID auch anonym aus­ge­tauscht wer­den kön­nen, sich gera­de auch in der Wirt­schaft ent­fal­ten sollte.

  • Wenn Daten wie “nor­ma­le” Güter gehan­delt wer­den – besteht da nicht irgend­wann die Gefahr von Spe­ku­la­ti­ons­bla­sen und mas­si­ven Abwertungen? 

War­um? Besteht nicht jetzt die Gefahr, dass die Fir­men, die über die Daten ver­fü­gen, über­be­wer­tet wer­den, z.B. weil zukünf­ti­ge regu­la­to­ri­sche Ein­grif­fe unter­schätzt wer­den – eben­so wie die Aus­brei­tung von Daten­ge­nos­sen­schaf­ten, wel­che die­se Geschäfts­mo­del­le unter­gra­ben? (lacht)

  • Wer­den wir – u.a. beflü­gelt durch den “Face­book-Skan­dal” – den Wert der Pri­vat­heit wie­der ent­de­cken – oder wird Pri­vat­heit überbewertet?

Die Pri­vat­sphä­re wird völ­lig unter­be­wer­tet, den­ken Sie nur an Zita­te wie jenes von Scott McNea­ly, dem ehem. CEO von Sun Micro­sys­tems: „You have zero pri­va­cy any­way. Get over it.“ Wem die­se lapi­da­re Anwei­sung zu wenig ist, mag sich mit Andre­as Wei­gend trös­ten. Die­ser stellt Pri­vat­sphä­re als rela­tiv jun­ges Kapi­tel unse­rer Zivi­li­sa­ti­ons­ge­schich­te dar. Da wir sie über die Jahr­tau­sen­de davor offen­sicht­lich nicht hat­ten, könn­ten wir im „Post-Pri­va­cy-Age“ die­ses Kapi­tel auch ein­fach wie­der schließen.

Dass dies die fal­sche Ein­stel­lung ist, zei­gen nicht nur die jüngs­ten Ent­wick­lun­gen in Chi­na hin zu einem Wohl­ver­hal­tens­scoring, das sich u.a. auch aus sozia­len Medi­en speist. Wer mit den fal­schen Leu­ten ver­netzt ist, wird sich zukünf­tig auf gerin­ge­re Kar­rie­re­chan­cen ein­stel­len müssen.

Dani­el J. Solove legt sehr anschau­lich dar, war­um „I’ve Got Not­hing to Hide“ die fal­sche Ein­stel­lung ist. Er sieht in der Pri­vat­sphä­re unse­re Wür­de und unse­re Auto­no­mie begrün­det. Ist die Pri­vat­sphä­re erst ein­mal ver­schwun­den, wirkt sich das auch auf unse­re ande­ren Grund­rech­te wie die freie Rede, die Ver­samm­lungs­frei­heit und die demo­kra­ti­schen Grund­rech­te ins­ge­samt aus.

Gera­de des­halb bin ich dafür, dass wir Daten­ei­gen­tum als Recht aner­ken­nen und sichern und dass sich neue Platt­for­men eta­blie­ren eben auf dem Modell der Datengenossenschaften.

Das Ende der Pri­vat­sphä­re ist der Anfang der Diktatur. 

  • Was den­ken Sie: Wel­chen Umgang wer­den wir in fünf Jah­ren mit unse­ren per­so­nen­be­zo­ge­nen Daten pfle­gen – und wie könnte/​sollte die Wirt­schaft dar­auf reagieren?

Ich fürch­te, dass die Beden­ken­lo­sig­keit mit der wir mit unse­ren Daten umge­hen noch wei­ter zunimmt. Fakt ist: Wir opfern – man­gels Alter­na­ti­ven – unse­re Pri­vat­sphä­re unse­rer Bequem­lich­keit. Das liegt in der Ohn­macht des Ein­zel­nen begrün­det, der sich nicht weh­ren kann und der gleich­zei­tig auf die Ange­bo­te der Infor­ma­ti­ons­mo­no­po­lis­ten nicht ver­zich­ten will/​kann. Des­halb bedarf es eines „star­ken Staa­tes“ (Wal­ter Eucken), der die­sem „Lais­sez-Fai­re-Infor­ma­ti­ons­ka­pi­ta­lis­mus“ wie Eucken  ihn wohl nen­nen wür­de, Spiel­re­geln vor­gibt und einen funk­tio­nie­ren­den Wett­be­werb sicher­stellt bzw. wie­der her­stellt. Die Nut­zer allei­ne kön­nen dies nicht. Sie sehen sich dem Tritt­brett­fah­rer-Pro­blem gegen­über: Sie hät­ten z.B. ger­ne einen bes­se­ren Schutz ihrer Pri­vat­sphä­re, sie möch­ten nicht im Inter­net von Daten­kra­ken ver­folgt wer­den, aber wenn sie sich allei­ne dage­gen weh­ren, tun sie dies mit hohem Auf­wand bei gerin­gen Aus­sich­ten auf Erfolg. Haben sie aber Erfolg, tei­len sie die­sen mit allen Tritt­brett­fah­rern, die sich nicht für Daten­schutz und Pri­vat­sphä­re ein­ge­setzt haben.

Also heißt es für sie: Dabei sein und akzep­tie­ren, oder sozia­le Isolation.

  • Herr Nau­mer, bes­ten Dank für das Gespräch!