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Als Japan sich Mit­te des 19. Jahr­hun­derts der Welt öff­ne­te, brauch­te das Land mehr als nur neue Tech­no­lo­gien – es brauch­te eine völ­lig neue Art des Wirt­schaf­tens. Eii­chi Shi­bus­a­wa erkann­te die­se Not­wen­dig­keit und schuf mit der Dai-Ichi-Bank nicht nur Japans ers­te moder­ne Akti­en­bank, son­dern leg­te den Grund­stein für die wirt­schaft­li­che Trans­for­ma­ti­on einer gan­zen Nation.


Der Archi­tekt einer neu­en Ära

Die Geschich­te der japa­ni­schen Moder­ni­sie­rung ist untrenn­bar mit einem Namen ver­bun­den: Eii­chi Shi­bus­a­wa. Was die­ser visio­nä­re Unter­neh­mer 1873 mit der Grün­dung der Dai-Ichi-Bank („Ers­te Natio­nal­bank”) voll­brach­te, war mehr als nur die Eta­blie­rung eines Finanz­in­sti­tuts – es war die Geburt des moder­nen japa­ni­schen Kapi­ta­lis­mus. In einer Zeit, in der Japan noch auf einem archai­schen Sys­tem von Ein­zel­kauf­leu­ten und Wech­sel­stu­ben beruh­te, schuf Shi­bus­a­wa das ers­te moder­ne Bank­haus des Lan­des und zugleich die ers­te japa­ni­sche Aktiengesellschaft.

Von Euro­pa inspi­riert: Die Visi­on eines neu­en Bankwesens

Shi­bus­a­was revo­lu­tio­nä­rer Ansatz wur­zel­te in sei­nen Erfah­run­gen wäh­rend sei­ner Zeit im Finanz­mi­nis­te­ri­um und sei­nen prä­gen­den Rei­sen nach Euro­pa, ins­be­son­de­re nach Frank­reich. Dort hat­te er die Funk­ti­ons­wei­se moder­ner Ban­ken und Akti­en­ge­sell­schaf­ten stu­diert und erkannt, dass Japans tra­di­tio­nel­les Han­dels­sys­tem dem inter­na­tio­na­len Wett­be­werb nicht gewach­sen war. Die west­li­chen Prin­zi­pi­en der Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on und des kol­lek­ti­ven Eigen­tums erschie­nen ihm als Schlüs­sel für die drin­gend benö­tig­te Moder­ni­sie­rung sei­nes Heimatlandes.

Die­se Erkennt­nis trieb ihn dazu an, nach sei­nem Aus­schei­den aus dem Staats­dienst die theo­re­ti­schen Kon­zep­te in die Pra­xis umzu­set­zen. Shi­bus­a­wa woll­te nicht nur eine Bank grün­den – er woll­te ein völ­lig neu­es Wirt­schafts­mo­dell für Japan etablieren.

Inno­va­ti­on durch Koope­ra­ti­on: Die Grün­dung der Dai-Ichi-Bank

Die Grün­dung der Dai-Ichi-Bank im Jahr 1873 war ein Meis­ter­werk stra­te­gi­scher Pla­nung und visio­nä­rer Füh­rung. Shi­bus­a­wa ver­stand, dass der Erfolg sei­nes Unter­neh­mens von der Bereit­schaft zur Koope­ra­ti­on abhing. Statt auf die Macht ein­zel­ner Groß­in­ves­to­ren zu set­zen, schloss er Bünd­nis­se mit eta­blier­ten Händ­ler­fa­mi­li­en wie Mit­sui und Ono und warb gleich­zei­tig eine brei­te Basis von Aktio­nä­ren aus ver­schie­de­nen Regio­nen Japans.

Die­ser Ansatz der bewuss­ten Eigen­tums­streu­ung war revo­lu­tio­när. Die „joint-stock com­pa­ny” – die Akti­en­ge­sell­schaft – war für Japan ein völ­lig neu­es Kon­zept, das Shi­bus­a­wa mit bemer­kens­wer­ter Weit­sicht ein­führ­te. Die Bank erhielt als ers­te pri­vat­recht­li­che Insti­tu­ti­on das pres­ti­ge­träch­ti­ge Recht zur Aus­ga­be eige­ner Bank­no­ten, was ihre Son­der­stel­lung im ent­ste­hen­den Finanz­sys­tem unterstrich.

West­li­che Metho­den, japa­ni­sche Werte

Unter Shi­bus­a­was Prä­si­dent­schaft führ­te die Dai-Ichi-Bank west­li­che Manage­ment- und Buch­hal­tungs­prin­zi­pi­en ein, dar­un­ter die dop­pel­te Buch­füh­rung und moder­ne Akti­en­rechts­struk­tu­ren. Doch die­se tech­ni­schen Inno­va­tio­nen waren nur ein Teil sei­ner Visi­on. Shi­bus­a­wa ver­band die Effi­zi­enz west­li­cher Geschäfts­me­tho­den mit einem ethisch ver­ant­wor­tungs­vol­len Geschäfts­ge­ba­ren, das tief in kon­fu­zia­ni­schen Wer­ten ver­wur­zelt war.

Die­se ein­zig­ar­ti­ge Syn­the­se erwies sich als außer­or­dent­lich erfolg­reich. Die Bank ent­wi­ckel­te sich zu einer zen­tra­len Platt­form für die Finan­zie­rung von Infra­struk­tur- und Indus­trie­pro­jek­ten und ermög­lich­te Japans ers­te inter­na­tio­na­le Expan­si­on nach Korea ab 1878. Durch den sys­te­ma­ti­schen Zugang zu Kapi­tal wur­de Shi­bus­a­wa zum Kata­ly­sa­tor für die Grün­dung und das Wachs­tum Hun­der­ter wei­te­rer Unternehmen.

Die dunk­le Sei­te des Erfolgs: Korea und die impe­ria­le Expansion

Doch Shi­bus­a­was Ver­mächt­nis ist nicht ohne Schat­ten. Die Dai-Ichi-Bank spiel­te eine zen­tra­le Rol­le bei Japans kolo­nia­ler Expan­si­on nach Korea, die zunächst als wirt­schaft­li­che Pene­tra­ti­on begann und spä­ter in die voll­stän­di­ge Anne­xi­on von 1910 mün­de­te. Die Bank eta­blier­te bereits 1878 ihre ers­te Aus­lands­fi­lia­le in Bus­an und wur­de zu einem wich­ti­gen Instru­ment der japa­ni­schen Wirt­schafts­do­mi­nanz auf der korea­ni­schen Halbinsel.

Durch die Bereit­stel­lung von Kre­di­ten und Finanz­dienst­leis­tun­gen für japa­ni­sche Unter­neh­men und Sied­ler unter­stütz­te die Bank sys­te­ma­tisch die Ver­drän­gung korea­ni­scher Geschäfts­leu­te und die Aus­beu­tung loka­ler Res­sour­cen. Die­se frü­he Form des “Finanz­im­pe­ria­lis­mus” ver­deut­licht, wie moder­ne Bank­me­tho­den nicht nur der natio­na­len Ent­wick­lung, son­dern auch der kolo­nia­len Unter­wer­fung die­nen konn­ten. Shi­bus­a­was Visi­on einer ethi­schen Geschäfts­pra­xis fand hier ihre Gren­zen – oder offen­bar­te die Wider­sprü­che zwi­schen kon­fu­zia­ni­schen Idea­len und impe­ria­ler Realpolitik.

Kri­sen­fes­tig­keit und Anpassungsfähigkeit

Shi­bus­a­was Füh­rungs­qua­li­tä­ten zeig­ten sich beson­ders in Kri­sen­zei­ten. Als die Bank 1883 nach der Eta­blie­rung der japa­ni­schen Zen­tral­bank (Bank of Japan) ihr Recht zur Aus­ga­be von Bank­no­ten ver­lor, gelang es ihm, das Insti­tut erfolg­reich durch die­se fun­da­men­ta­le Ver­än­de­rung zu steu­ern. Die­se Anpas­sungs­fä­hig­keit und stra­te­gi­sche Fle­xi­bi­li­tät präg­ten nicht nur die Dai-Ichi-Bank, son­dern wur­den zum Mar­ken­zei­chen des moder­nen japa­ni­schen Unternehmertums.

Ein Ver­mächt­nis für die Zukunft

Die Bedeu­tung der Dai-Ichi-Bank reich­te weit über ihre unmit­tel­ba­re Geschäfts­tä­tig­keit hin­aus. Sie wur­de zum Pro­to­typ für Japans gesam­ten Pri­vat­ban­ken­sek­tor und trieb den indus­tri­el­len Wan­del des Lan­des vor­an. Das Prin­zip der brei­ten Eigen­tü­mer­struk­tur, die Inte­gra­ti­on west­li­cher Manage­ment­me­tho­den und das Bekennt­nis zu ethi­schem Geschäfts­ge­ba­ren setz­ten Stan­dards, die bis heu­te nachwirken.

Der direk­te Nach­fol­ger der Dai-Ichi-Bank, die heu­ti­ge Mizu­ho Finan­cial Group, zeugt von der Nach­hal­tig­keit von Shi­bus­a­was Visi­on. Sein Ansatz des Zusam­men­spiels von Ethik, Kapi­tal und wirt­schaft­li­cher Moder­ni­sie­rung ist zu einem Mar­ken­zei­chen der japa­ni­schen Wirt­schafts­kul­tur geworden.

Fazit: Der Weg­be­rei­ter des moder­nen Japan

Eii­chi Shi­bus­a­was Schaf­fen bei der Dai-Ichi-Bank war mehr als unter­neh­me­ri­scher Erfolg – es war ein Akt der natio­na­len Trans­for­ma­ti­on. Indem er west­li­che Finanz­in­stru­men­te mit japa­ni­schen Wer­ten ver­band und dabei auf Koope­ra­ti­on statt auf Domi­nanz setz­te, schuf er nicht nur die ers­te moder­ne Bank Japans, son­dern auch ein nach­hal­ti­ges Modell für die Moder­ni­sie­rung einer gan­zen Gesell­schaft. Sei­ne Visi­on einer ethi­schen, kapi­tal­ba­sier­ten Wirt­schaft bleibt bis heu­te ein inspi­rie­ren­des Bei­spiel dafür, wie Inno­va­ti­on und Tra­di­ti­on erfolg­reich ver­eint wer­den können.

Geschich­te der Dai-Ichi Bank

Grün­dung und frü­he Geschichte 

  • Die Dai-Ichi Bank, ursprüng­lich als Dai-Ichi Koku­rit­su Bank (Ers­te Natio­nal­bank) gegrün­det, ent­stand 1873 in Tokyo.
  • Der Initia­tor und lang­jäh­ri­ge Weg­be­rei­ter war der bedeu­ten­de Indus­tri­el­le Shi­bus­a­wa Eii­chi, der zuvor am Natio­nal Ban­king Decree von 1872 mitwirkte.
  • Die Bank war Japans ers­te Akti­en­ge­sell­schaft (kabu­shi­ki gai­sha) und bekam die Zulas­sung zur Emis­si­on pri­va­ter Bank­no­ten, was sie zunächst zum Bank­no­ten­her­aus­ge­ber mach­te. Die Emis­si­ons­rech­te wur­den spä­ter aus­schließ­lich an die Bank of Japan übergeben.

Expan­si­on und Imperialismus 

  • Bereits 1878 expan­dier­te Dai-Ichi nach Korea und wur­de dort durch die Unter­stüt­zung der japa­ni­schen Regie­rung zeit­wei­se zur domi­nie­ren­den Bank mit Zen­tral­bank­funk­ti­on und bedeu­ten­dem Ein­fluss auf die Moder­ni­sie­rung des korea­ni­schen Bankensystems.
  • Die Bank spiel­te im Auf­trag Japans eine zen­tra­le Rol­le bei der Finan­zie­rung korea­ni­scher Staats­pro­jek­te und beim Ein­sam­meln von Gold und Sil­ber aus Korea für Japan.
  • Nach der Japa­nisch-Korea­ni­schen Anne­xi­on über­gab Dai-Ichi Filia­len sowie Auf­ga­ben an die von Japan gegrün­de­te korea­ni­sche Zen­tral­bank und gilt heu­te als „pri­mä­rer Agent des japa­ni­schen Finanz­im­pe­ria­lis­mus“ in Korea.

Fusio­nen und Ent­wick­lung im 20. Jahrhundert 

  • 1943 kam es zur Fusi­on mit der Mit­sui Bank und Bil­dung der Tei­ko­ku Bank („Impe­ri­al Bank“), aus der Dai-Ichi 1948 wie­der aus­ge­glie­dert wur­de. Mit­sui über­nahm ab 1954 wie­der die­sen Teil.
  • 1971 fusio­nier­te Dai-Ichi schließ­lich mit der Nip­pon Kan­gyo Bank zur Dai-Ichi Kan­gyo Bank (DKB), die fort­an Japan größ­ter Bank und Zen­trum der mäch­ti­gen DKB-kei­retsu (Unter­neh­mens­grup­pe) war.
  • Die DKB zeich­ne­te sich durch ihr Netz­werk, ihre Rol­le als Lot­te­rie­treu­hän­der und Prä­senz in jeder japa­ni­schen Prä­fek­tur aus. Als Fol­ge der Fusi­on ent­stan­den inter­ne Kon­flik­te zwi­schen den Beleg­schaf­ten bei­der Bankteile.

Neu­zeit und Nachfolger 

  • Im Jahr 2000 fusio­nier­te Dai-Ichi Kan­gyo Bank mit Fuji Bank und Indus­tri­al Bank of Japan zur Mizu­ho Finan­cial Group – einer der größ­ten Finanz­grup­pen der Welt und bis heu­te ein Kern­in­sti­tut im japa­ni­schen Bankwesen.
  • Die Bank exis­tiert seit­dem nicht mehr eigen­stän­dig, ihre Geschich­te lebt aber in Mizu­ho, der Ent­wick­lung des japa­ni­schen Bank­we­sens und in den wirt­schafts­his­to­ri­schen Insti­tu­tio­nen weiter.