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Eine KfW-Stu­die bezif­fert den Inves­ti­ti­ons­be­darf für die deut­sche Ener­gie­wen­de auf 535 Mil­li­ar­den Euro. Die vor­ge­schla­ge­nen Finan­zie­rungs­in­stru­men­te – Schuld­schein­dar­le­hen, Ver­brie­fun­gen, staat­li­che Risi­ko­über­nah­men – erin­nern fatal an das Arse­nal der Finanz­kri­se 2008. In einer schrump­fen­den Wirt­schaft droht die grü­ne Trans­for­ma­ti­on zum Beschleu­ni­ger neu­er Abhän­gig­kei­ten und sys­te­mi­scher Risi­ken zu wer­den. Eine kri­ti­sche Bestands­auf­nah­me eines poli­ti­schen Kur­ses, der Ideo­lo­gie über Prag­ma­tis­mus stellt und das nöti­ge Augen­maß (Max Weber) ver­mis­sen lässt. 


Der Schul­den­berg der grü­nen Zukunft

Die Zah­len der KfW-Stu­die[1]Ener­gie­ver­sor­ger müs­sen bis 2045 ins­ge­samt 535 Mil­li­ar­den Euro in die regio­na­le Ener­gie­wen­de inves­tie­ren lesen sich wie die Bilanz eines geschei­ter­ten Groß­pro­jekts, bevor es über­haupt begon­nen hat. 535 Mil­li­ar­den Euro sol­len deut­sche Ener­gie­ver­sor­ger bis 2045 inves­tie­ren, zwei Drit­tel davon bereits bis 2035. Die nüch­ter­ne Ana­ly­se der von PwC Deutsch­land durch­ge­führ­ten Unter­su­chung offen­bart dabei eine Finan­zie­rungs­lü­cke, die den Kern des Pro­blems frei­legt: 346 Mil­li­ar­den Euro feh­len. Die Ener­gie­ver­sor­ger kön­nen nur ein Vier­tel des Bedarfs aus eige­ner Kraft stem­men, wei­te­re zehn Pro­zent könn­ten theo­re­tisch durch Zuschüs­se gedeckt wer­den. Der Rest bleibt ein schwar­zes Loch in der Kal­ku­la­ti­on der deut­schen Klimapolitik.

Die vor­ge­schla­ge­nen Lösun­gen lesen sich wie eine Blau­pau­se der Finanz­kri­se von 2008: Schuld­schein­dar­le­hen zur Erhö­hung der Fremd­ka­pi­tal­quo­te, kon­sor­tia­le Ko-Finan­zie­run­gen, bei denen För­der­insti­tu­te als Risi­ko­part­ner ein­sprin­gen sol­len, staat­li­che Garan­tien zur Risi­ko­ab­si­che­rung, Ver­brie­fun­gen zum angeb­li­chen Risi­ko­aus­gleich und mez­za­ni­ne Kapi­tal­in­stru­men­te, jene Hybrid­for­men zwi­schen Eigen- und Fremd­ka­pi­tal, die in ver­gan­ge­nen Kri­sen bereits ihre Tücken bewie­sen haben. Was hier als inno­va­ti­ve Finanz­ar­chi­tek­tur ver­kauft wird, ist in Wahr­heit das klas­si­sche Instru­men­ta­ri­um zur Ver­schleie­rung sys­te­mi­scher Risiken.

Die Par­al­le­len zur Sub­prime-Kri­se sind unüber­seh­bar. Damals wie heu­te geht es um die Mobi­li­sie­rung enor­mer Kapi­tal­vo­lu­mi­na für Inves­ti­tio­nen, deren Ren­ta­bi­li­tät unsi­cher ist. Damals wie heu­te wird Kom­ple­xi­tät als Lösung prä­sen­tiert, wo Trans­pa­renz gebo­ten wäre. Und damals wie heu­te droht die Sozia­li­sie­rung von Risi­ken bei gleich­zei­ti­ger Pri­va­ti­sie­rung von Gewin­nen. Beson­ders kom­mu­na­le Ener­gie­ver­sor­ger, deren Gewin­ne tra­di­tio­nell ande­re kom­mu­na­le Auf­ga­ben quer­fi­nan­zie­ren und deren Kre­dit­spiel­räu­me begrenzt sind, wer­den zu Spiel­bäl­len einer Finan­zie­rungs­lo­gik, die ihre Exis­tenz­grund­la­ge gefährdet.

Die schrump­fen­de Basis einer wach­sen­den Last

Die makro­öko­no­mi­sche Rea­li­tät ver­schärft das Dilem­ma. Deutsch­land befin­det sich in einer Pha­se wirt­schaft­li­cher Sta­gna­ti­on, wenn nicht Schrump­fung. Eine Volks­wirt­schaft, die nicht mehr wächst, muss Inves­ti­tio­nen von heu­te mit den Erträ­gen von mor­gen finan­zie­ren – Erträ­ge, die in einem aggres­si­ven glo­ba­len Wett­be­werbs­um­feld zuneh­mend unsi­cher wer­den. Die Ener­gie­wen­de voll­zieht sich nicht im luft­lee­ren Raum tech­no­lo­gi­scher Mach­bar­keit, son­dern unter den Bedin­gun­gen stei­gen­der Pro­duk­ti­ons­kos­ten und sin­ken­der Wettbewerbsfähigkeit.

Die Innen­fi­nan­zie­rungs­kraft der Unter­neh­men ero­diert, wäh­rend der Staat selbst unter Ver­schul­dungs­druck steht. In die­sem Kon­text exter­ne Kapi­tal­ge­ber zu fin­den, die bereit sind, lang­fris­ti­ge Infra­struk­tur­in­ves­ti­tio­nen mit unsi­che­ren Ren­di­ten zu finan­zie­ren, wird zur Her­ku­les­auf­ga­be. Die logi­sche Kon­se­quenz: stei­gen­de Risi­ko­prä­mi­en, höhe­re Kapi­tal­kos­ten und damit eine wei­te­re Belas­tung der ohne­hin ange­schla­ge­nen Wirt­schafts­struk­tur. Der Ver­such, die Ener­gie­wen­de über kre­dit­fi­nan­zier­te Groß­in­ves­ti­tio­nen zu rea­li­sie­ren, droht in einer schrump­fen­den Wirt­schaft zum makro­öko­no­mi­schen Bume­rang zu werden.

Der Teu­fels­kreis neu­er Abhängigkeiten

Die Iro­nie der deut­schen Ener­gie­wen­de­po­li­tik liegt in ihrer Blind­heit gegen­über den Abhän­gig­kei­ten, die sie schafft, wäh­rend sie vor­gibt, Abhän­gig­kei­ten zu über­win­den. Die Elek­tro­mo­bi­li­tät und Green-Tech-Stra­te­gien, als Eck­pfei­ler der Trans­for­ma­ti­on prä­sen­tiert, basie­ren auf kri­ti­schen Roh­stof­fen wie Lithi­um, Kobalt, Sel­te­nen Erden und Kup­fer. Deutsch­land und Euro­pa ver­fü­gen über kei­ne nen­nens­wer­ten eige­nen Vor­kom­men die­ser Mate­ria­li­en. Die alte Abhän­gig­keit von fos­si­len Ener­gie­trä­gern wird ersetzt durch eine neue Abhän­gig­keit von Roh­stoff­lie­fe­ran­ten, die oft in geo­po­li­tisch fra­gi­len oder auto­ri­tär regier­ten Regio­nen liegen.

Par­al­lel dazu wächst die Abhän­gig­keit von inter­na­tio­na­len Kapi­tal­märk­ten. Die mas­si­ve Fremd­fi­nan­zie­rung – 299 Mil­li­ar­den Euro Fremd­ka­pi­tal allein bis 2035 – macht deut­sche Ener­gie­ver­sor­ger und damit die kri­ti­sche Infra­struk­tur ver­wund­bar gegen­über glo­ba­len Finanz­markt­tur­bu­len­zen. Die exter­ne Abhän­gig­keit ver­viel­facht sich: auf der Roh­stoff­sei­te, auf der Tech­no­lo­gie­sei­te und auf der Finan­zie­rungs­sei­te. Was als Weg in die Sou­ve­rä­ni­tät ver­kauft wird, ent­puppt sich als Ver­tie­fung struk­tu­rel­ler Abhängigkeiten.

Ein prag­ma­ti­scher Ansatz wür­de Diver­si­fi­ka­ti­on nicht nur pre­di­gen, son­dern prak­ti­zie­ren: den Auf­bau von Recy­cling­ka­pa­zi­tä­ten für kri­ti­sche Roh­stof­fe, die Erfor­schung von Sub­sti­tu­ti­ons­mög­lich­kei­ten, die Ent­wick­lung tech­no­lo­gie­of­fe­ner Ener­gie­lö­sun­gen jen­seits der rei­nen Elek­tri­fi­zie­rung. Statt­des­sen herrscht eine Eng­füh­rung, die tech­no­lo­gi­sche Pfad­ab­hän­gig­kei­ten zemen­tiert und Anpas­sungs­fä­hig­keit opfert.

Ideo­lo­gie statt Strategie

Die deut­sche Ener­gie­wen­de­po­li­tik lei­det an einem fun­da­men­ta­len Miss­ver­ständ­nis: Sie ver­wech­selt Ziel­set­zung mit Rea­li­tät. Die Vor­stel­lung, Deutsch­land kön­ne durch ent­schlos­se­nes poli­ti­sches Han­deln unab­hän­gig und kli­ma­neu­tral wer­den, igno­riert die Kom­ple­xi­tät glo­ba­ler Inter­de­pen­den­zen. Aut­ar­kie ist kei­ne Opti­on für eine hoch­ent­wi­ckel­te, export­ori­en­tier­te Volks­wirt­schaft. Die rele­van­te Fra­ge ist nicht, ob Abhän­gig­kei­ten exis­tie­ren, son­dern wie sie gestal­tet und gema­nagt werden.

Eine ver­ant­wor­tungs­vol­le Ener­gie­po­li­tik wür­de ver­schie­de­ne Sze­na­ri­en durch­spie­len: tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lun­gen, die anders ver­lau­fen als geplant, geo­po­li­ti­sche Ver­wer­fun­gen, die Lie­fer­ket­ten unter­bre­chen, wirt­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen, die Finan­zie­rungs­spiel­räu­me ver­en­gen. Sie wür­de Fle­xi­bi­li­tät und Resi­li­enz über ideo­lo­gi­sche Rein­heit stel­len. Sie wür­de auch unbe­que­me Optio­nen offen­hal­ten: die Rol­le der Kern­ener­gie in einem Nied­rig-CO₂-Sys­tem, den Nut­zen fos­si­ler Über­gangs­tech­no­lo­gien mit CO₂-Abschei­dung, die Bedeu­tung von Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen vor kost­spie­li­gen Infrastrukturinvestitionen.

Statt­des­sen domi­niert ein tech­no­kra­ti­scher Vol­un­t­a­ris­mus, der Mach­bar­keit pos­tu­liert, wo Unsi­cher­heit herrscht. Die KfW-Stu­die ist sym­pto­ma­tisch für die­sen Ansatz: Sie quan­ti­fi­ziert einen Finan­zie­rungs­be­darf mit beein­dru­cken­der Prä­zi­si­on, ohne die fun­da­men­ta­le Fra­ge zu stel­len, ob die öko­no­mi­schen und poli­ti­schen Vor­aus­set­zun­gen für die­se Finan­zie­rung über­haupt exis­tie­ren. Die Risi­ken wer­den benannt, aber nicht wirk­lich ernst genom­men. Die sys­te­mi­schen Gefah­ren wer­den beschrie­ben, aber durch den Ver­weis auf neue Finanz­in­stru­men­te rhe­to­risch neutralisiert.

Die Rück­kehr ver­dräng­ter Realitäten

Die Ener­gie­wen­de wird nicht an man­geln­dem poli­ti­schen Wil­len schei­tern, son­dern an öko­no­mi­schen und tech­ni­schen Rea­li­tä­ten, die sich nicht durch Beschlüs­se und Ziel­vor­ga­ben über­win­den las­sen. Eine Finan­zie­rungs­lü­cke von 346 Mil­li­ar­den Euro in einer sta­gnie­ren­den Wirt­schaft ist kein tech­ni­sches Pro­blem, das durch cle­ve­re Finanz­in­stru­men­te gelöst wer­den kann. Es ist ein Aus­druck struk­tu­rel­ler Überforderung.

Die Vor­stel­lung, man kön­ne die größ­te Infra­struk­tur­trans­for­ma­ti­on der Nach­kriegs­zeit mit Ver­brie­fun­gen und Schuld­schein­dar­le­hen finan­zie­ren, wäh­rend die indus­tri­el­le Basis ero­diert, zeugt von einer bemer­kens­wer­ten Rea­li­täts­fer­ne. Die Geschich­te lehrt, dass hoch­kom­ple­xe Finan­zie­rungs­kon­struk­tio­nen in Kri­sen­zei­ten nicht Risi­ken redu­zie­ren, son­dern sie ver­schlei­ern und ver­la­gern – bis die Rech­nung prä­sen­tiert wird.

Deutsch­land steht vor der Wahl: ent­we­der eine fun­da­men­ta­le Neu­be­wer­tung der Ener­gie­wen­de­stra­te­gie vor­zu­neh­men, die tech­no­lo­gi­sche Offen­heit, geo­po­li­ti­sche Rea­li­tä­ten und öko­no­mi­sche Zwän­ge ernst nimmt. Oder den ein­ge­schla­ge­nen Kurs fort­zu­set­zen und dabei sys­te­ma­tisch jene Risi­ken auf­zu­bau­en, die dann als exter­ne Schocks prä­sen­tiert wer­den, obwohl sie vor­her­seh­ba­re Kon­se­quen­zen poli­ti­scher Ent­schei­dun­gen sind. Die KfW-Stu­die lie­fert die Zah­len für ein Schei­tern, das sich ankün­digt. Ob jemand sie lesen will, ist eine ande­re Frage.

Und dabei sind in dem Sze­na­rio die Kos­ten für die Kom­mu­nen noch gar nicht voll­um­fäng­lich berück­sich­tigt[2]Kom­mu­nal­fi­nan­zie­rung vor dem Kol­laps: War­um 720 Mil­li­ar­den Euro das deut­sche Finanz­sys­tem über­for­dern. Das macht das Gan­ze noch bri­san­ter. Dazu spä­ter mehr.