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Ope­nAI und Stri­pe ver­wan­deln ChatGPT in eine Shop­ping-Platt­form. Was als Expe­ri­ment beginnt, könn­te die Art, wie wir online ein­kau­fen, grund­le­gend ver­än­dern – und wirft Fra­gen auf über Macht, Kon­trol­le und die Zukunft des digi­ta­len Handels.


Es ist ein unschein­ba­rer Moment in der Geschich­te des E‑Commerce, der sich da gera­de ereig­net. Ein Nut­zer tippt in ChatGPT: „Zeig mir die bes­ten Lauf­schu­he unter 100 Dol­lar.” Was folgt, ist nicht mehr nur eine Lis­te mit Links oder Emp­feh­lun­gen. Es ist ein voll­stän­di­ger Kauf­pro­zess, abge­wi­ckelt im Chat-Fens­ter. Bestel­lung, Ver­sand, Zah­lung – alles, ohne die Ober­flä­che zu ver­las­sen. Will­kom­men im Zeit­al­ter des Agen­tic Com­mer­ce[1]Ope­nAI debuts new ChatGPT ‘buy’ but­ton and open source Agen­tic Com­mer­ce Pro­to­col.

Die unsicht­ba­re Revolution

Mit „Instant Check­out” haben Ope­nAI und Stri­pe eine Funk­ti­on geschaf­fen, die auf den ers­ten Blick wie eine prak­ti­sche Erwei­te­rung wirkt. Nut­zer in den USA kön­nen seit kur­zem Pro­duk­te direkt über ChatGPT kau­fen, zunächst von Etsy-Händ­lern, bald auch von Shop­i­fy-Part­nern wie Glos­sier oder SKIMS. Die Ergeb­nis­se wer­den nach Rele­vanz sor­tiert, nicht nach Wer­be­bud­get – ein bewuss­ter Kon­trast zum algo­rith­mi­schen Auk­ti­ons­haus, das Goog­le Shop­ping gewor­den ist.

Doch hin­ter die­ser schein­ba­ren Bequem­lich­keit ver­birgt sich eine tech­no­lo­gi­sche Wei­chen­stel­lung, deren Trag­wei­te weit über die unmit­tel­ba­re Funk­ti­on hin­aus­reicht. Das „Agen­tic Com­mer­ce Pro­to­col” (ACP), ent­wi­ckelt von Ope­nAI und Stri­pe, ist mehr als eine API für Check­out-Pro­zes­se. Es ist der Ver­such, einen neu­en Stan­dard zu set­zen – für eine Welt, in der nicht mehr Men­schen mit Such­ma­schi­nen inter­agie­ren, son­dern KI-Agen­ten im Namen ihrer Nut­zer handeln.

Kon­trol­le als Währung

Das Ver­spre­chen des ACP klingt ver­lo­ckend aus­ge­wo­gen: Händ­ler behal­ten die Kon­trol­le über ihre Zah­lungs- und Ful­fill­ment­sys­te­me, wäh­rend ChatGPT als Ver­mitt­ler fun­giert. Kein Zwang zu neu­en Infra­struk­tu­ren, kei­ne radi­ka­le Umstel­lung bestehen­der Pro­zes­se. Für Händ­ler bedeu­tet das Zugang zu einer Nut­zer­ba­sis von 700 Mil­lio­nen wöchent­lich akti­ven Nut­zern – ohne die übli­chen Ein­tritts­bar­rie­ren gro­ßer Plattformen.

Aber Kon­trol­le ist in digi­ta­len Öko­sys­te­men eine trü­ge­ri­sche Kate­go­rie. Wer den Zugang zum Kun­den kon­trol­liert, kon­trol­liert letzt­lich das Geschäft. Und die­ser Zugang liegt nun bei ChatGPT. Die Fra­ge ist nicht, ob Händ­ler ihre Sys­te­me behal­ten dür­fen, son­dern wel­che Macht sich in der Ver­mitt­ler­po­si­ti­on kon­zen­triert. Ama­zon hat vor­ge­macht, wie schnell aus einer neu­tra­len Platt­form ein Kon­kur­rent wer­den kann, der die eige­nen Daten nutzt, um die erfolg­reichs­ten Pro­duk­te sei­ner Händ­ler zu kopieren.

Der stil­le Krieg der Protokolle

Inter­es­sant wird es im Ver­gleich mit Goog­le. Wäh­rend Ope­nAI mit ACP bereits in der Pra­xis ist, arbei­tet Goog­le an AP2 – einem Pro­to­koll, das eben­falls KI-gestütz­ten Han­del ermög­li­chen soll, aber mit einem ande­ren Ansatz. AP2 setzt auf digi­ta­le Man­da­te als Nach­weis für Nut­zer­ein­wil­li­gun­gen und zielt auf einen bran­chen­wei­ten Stan­dard. Ein klas­si­scher Goog­le-Move: lang­sa­mer, kon­sens­ori­en­tier­ter, aber mit dem Anspruch, das Fun­da­ment für alle zu legen.

Die Par­al­le­len zur Geschich­te der Brow­ser-Stan­dards sind unüber­seh­bar. Auch dort ging es nie nur um tech­ni­sche Spe­zi­fi­ka­tio­nen, son­dern um die Fra­ge, wer die Regeln des Inter­nets schreibt. Ope­nAI setzt auf Geschwin­dig­keit und First-Mover-Vor­tei­le, Goog­le auf Legi­ti­mi­tät durch Brei­te. Wer sich durch­setzt, ent­schei­det dar­über, nach wes­sen Logik der KI-gestütz­te Han­del der Zukunft funktioniert.

Die Ambi­va­lenz der Bequemlichkeit

Für Nut­zer ist Instant Check­out zunächst ein­fach kom­for­ta­bel. Kei­ne end­lo­sen Ver­gleichs­sei­ten, kei­ne zehn offe­nen Tabs, kein Kampf mit unter­schied­li­chen Check­out-Pro­zes­sen. Der KI-Agent ver­steht, was man sucht, fin­det es und wickelt den Kauf ab. Die Rei­bung verschwindet.

Aber Rei­bung hat­te auch eine Funk­ti­on. Sie zwang zum Inne­hal­ten, zum Ver­glei­chen, zum bewuss­ten Ent­schei­den. Wenn der Kauf­pro­zess so naht­los wird wie das Stel­len einer Fra­ge, ver­schwimmt die Gren­ze zwi­schen Infor­ma­ti­on und Trans­ak­ti­on. Was bedeu­tet es für unse­re Kauf­ent­schei­dun­gen, wenn sie in die Kon­ver­sa­ti­on mit einer KI ein­ge­bet­tet sind, die uns ver­steht – oder zu ver­ste­hen scheint?

Ein offe­nes Ende

Ope­nAI plant bereits die nächs­ten Schrit­te: Mul­ti-Arti­kel-Waren­kör­be, inter­na­tio­na­le Expan­si­on, mehr Händ­ler. Was heu­te als expe­ri­men­tel­les Fea­ture in den USA star­tet, soll zum Stan­dard wer­den. Die Visi­on ist klar: KI-Agen­ten, die nicht nur bera­ten, son­dern han­deln. Die im Namen ihrer Nut­zer ein­kau­fen, ver­glei­chen, verhandeln.

Ob die­se Zukunft wün­schens­wert ist, hängt davon ab, wer die Regeln schreibt und wes­sen Inter­es­sen sie wider­spie­geln. Das Agen­tic Com­mer­ce Pro­to­col ist ein Ange­bot, eine mög­li­che Ant­wort auf die Fra­ge, wie Han­del in einer KI-gestütz­ten Welt funk­tio­nie­ren könn­te. Aber es ist nicht die ein­zi­ge Ant­wort – und die Debat­te dar­über, wel­che die rich­ti­ge ist, hat gera­de erst begonnen.

Der Chat ist jetzt eine Kas­se. Was er mor­gen sein wird, ent­schei­det sich in den kom­men­den Mona­ten. Und dies­mal schau­en nicht nur Händ­ler und Tech­no­lo­gie­kon­zer­ne zu, son­dern auch Regu­la­to­ren, Wett­be­werbs­hü­ter und jene 700 Mil­lio­nen Men­schen, die gera­de zu Pio­nie­ren eines neu­en Han­dels­zeit­al­ters wer­den – ob sie es wol­len oder nicht.