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Die Bundesbank warnt vor einem “Frankreich-Szenario” für Deutschland – ein bemerkenswerter Euphemismus für den drohenden Verlust fiskalischer Solidität. Während die Hüter der Währungsstabilität Alarm schlagen, offenbart sich ein grundlegenderes Problem: Die kostspieligen Transformationsprojekte der Energiewende kollidieren mit einer Wirtschaft im Schwächeanfall. Der private Immobilienmarkt bleibt vorerst stabil – doch die Risse im Fundament werden tiefer.
Es gibt Momente, in denen sich der Tonfall einer Institution mehr verändert als ihre Botschaft. Wenn die Bundesbank, traditionell der stoische Wächter deutscher Finanzstabilität, vor einem “Frankreich-Szenario” warnt[1]Warnung vor ausufernden Schulden – das deutliche Alarmsignal der Bundesbank, dann ist das mehr als nur eine technische Einschätzung. Es ist ein Alarmsignal, verpackt in die Höflichkeit diplomatischer Formulierungen. Deutschland, so die implizite Botschaft, droht jene fiskalische Disziplin preiszugeben, die es über Jahrzehnte von seinen europäischen Nachbarn unterschied – und dies ausgerechnet in dem Moment, in dem Europa seinen selbsternannten Stabilitätsanker am dringendsten bräuchte.
Die Anatomie einer Warnung
Der Finanzstabilitätsbericht 2025 der Bundesbank liest sich wie eine Bestandsaufnahme akkumulierter Versäumnisse. Die “verschlechterte wirtschaftliche Lage mit konjunktureller Schwäche”, die “steigenden Risiken im Kreditgeschäft”, die “zweigeteilte Entwicklung im Immobilienmarkt” – das sind keine isolierten Phänomene, sondern Symptome einer strukturellen Überforderung. Deutschland hat sich, getrieben von den Imperativen der Energiewende und dem politischen Druck zur Modernisierung, auf einen Ausgabenpfad begeben, dessen Tragfähigkeit zunehmend zweifelhaft erscheint.
Besonders aufschlussreich ist dabei die Rhetorik der Bundesbank. Sie warnt nicht vor einem “unmittelbar bevorstehenden Crash”, sondern vor einer “unterschätzten Gefahr durch zu geringe Vorsicht”. Diese Formulierung verrät das eigentliche Problem: Es ist nicht die akute Krise, die droht, sondern die schleichende Erosion jener Vorsichtsmechanismen, die Deutschland bislang vor den Exzessen seiner Nachbarn bewahrten. Die Gefahr liegt im Vertrauen der Marktteilnehmer, die – noch – davon ausgehen, dass Deutschland eben kein Frankreich ist.
Die Energiewende als fiskalischer Brandbeschleuniger
Hinter den abstrakten Warnungen der Bundesbank verbirgt sich eine konkrete Realität: Die Energiewende ist zum dominanten Kostentreiber öffentlicher Haushalte geworden. Kommunen und Stadtwerke, einst solide Verwalter lokaler Infrastruktur, mutieren zu hochverschuldeten Investitionsvehikeln einer Politik, die ihre Ziele formuliert, ohne die Mittel dafür bereitzustellen. Der Investitionsbedarf von “mehreren hundert Milliarden Euro” – auch hier wieder eine vage Formulierung, die das Ausmaß eher verschleiert als präzisiert – trifft auf ausgeschöpfte Rücklagen und steigende Finanzierungskosten.
Das Ergebnis ist eine paradoxe Situation: Während die Politik die Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft als alternativlos darstellt, verschlechtert eben diese Transformation die Bonität jener Institutionen, die sie umsetzen sollen. Kommunale Gebietskörperschaften geraten unter Druck, ihre Kreditaufnahme steigt, ihre Finanzierungskosten ebenfalls – eine Spirale, die sich selbst verstärkt und deren Ende schwer absehbar ist.
Der Immobilienmarkt: Stabilität auf tönernen Füßen
Der private Wohnimmobilienmarkt präsentiert sich 2025 überraschend robust. Die Preise steigen leicht, das Investitionsvolumen erreicht beachtliche 6,3 Milliarden Euro nach neun Monaten, und die Nachfrage in Ballungsgebieten bleibt trotz gestiegener Zinsen hoch. Doch diese Stabilität ist nicht Ausdruck wirtschaftlicher Stärke, sondern eher das Resultat eines Mangels an Alternativen. Investoren suchen Sicherheit in einem unsicheren Umfeld, und Immobilien erscheinen als vergleichsweise sichere Häfen – noch.
Die eigentliche Schwachstelle liegt im gewerblichen Immobiliensektor, wo die Risiken wachsen. Hier zeigt sich, was die Bundesbank mit “zweigeteilter Entwicklung” umschreibt: Während Wohnimmobilien von struktureller Knappheit profitieren, leiden Gewerbeimmobilien unter veränderter Nachfrage, Homeoffice-Trends und steigenden Finanzierungskosten. Die Gefahr besteht darin, dass sich diese Schwäche in einem konjunkturell fragilen Umfeld auf den Wohnungsmarkt überträgt – spätestens dann, wenn Kreditausfälle zunehmen und Banken restriktiver werden.
Das Versprechen des Wachstums
Für 2026 prognostizieren Ökonomen ein “moderates Wachstum” von 1,3 bis 1,4 Prozent – eine Zahl, die vor allem deshalb nicht beunruhigend klingt, weil sie auf “umfangreiche staatliche Investitionen” zurückzuführen ist. Hier schließt sich der Kreis: Der Staat kompensiert konjunkturelle Schwäche durch zusätzliche Ausgaben, was wiederum die Verschuldung antreibt, vor der die Bundesbank warnt. Es ist eine Politik der permanenten Stimulierung, die funktioniert, solange die Märkte mitspielen – und die katastrophal scheitern kann, sobald das Vertrauen schwindet.
Die Konsolidierung, die niemand will
Die Bundesbank fordert einen “Dreistufen-Plan zur Konsolidierung” und die “Rückkehr zu soliden Staatsfinanzen”. Es sind Forderungen, die rituelle Qualität haben: Jeder weiß, dass sie richtig sind, und jeder weiß auch, dass sie politisch nicht durchsetzbar sind. Denn Konsolidierung bedeutet Verzicht – Verzicht auf Investitionen, auf Sozialleistungen, auf das Versprechen, alle Transformationsziele gleichzeitig erreichen zu können. Und Verzicht ist in einer Demokratie, die sich zunehmend als Verteilungskoalition organisiert, das schwierigste aller politischen Projekte.
Die schleichende Normalisierung der Schuld
Was sich in Deutschland vollzieht, ist weniger eine akute Krise als vielmehr eine graduelle Verschiebung von Normen. Das “Frankreich-Szenario” ist kein dramatischer Zusammenbruch, sondern die langsame Anpassung an kontinentaleuropäische Standards der Finanzpolitik: mehr Schulden, weniger Spielraum, höhere Abhängigkeit von der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Deutschland verliert seine fiskalische Sonderstellung nicht durch einen Schock, sondern durch hundert kleine Entscheidungen, die einzeln rational erscheinen und gemeinsam eine neue Normalität schaffen.
Die Bundesbank warnt zu Recht. Doch ihre Warnung verhallt in einem politischen System, das strukturell unfähig ist, langfristige Tragfähigkeit über kurzfristige Handlungsfähigkeit zu stellen. Das ist die eigentliche Vulnerabilität des deutschen Finanzsystems: nicht die Summe seiner Schulden, sondern die Erosion seiner Fähigkeit zur Selbstkorrektur.
References
