Von Ralf Keuper

Unter den zahl­rei­chen Bei­trä­gen, die sich mit dem Poten­zi­al der Block­chain und der digi­ta­len Wäh­run­gen aus­ein­an­der­set­zen, sind nur weni­ge, die von Sozio­lo­gen ver­fasst wur­den. Dabei ist das The­ma eigent­lich prä­de­sti­niert für Groß­theo­rien wie der Sys­tem­theo­rie oder Spe­zi­al­dis­zi­pli­nen wie der Finanz- oder Techniksoziologie.

Da leis­tet der Bei­trag Bit­co­in und die Pro­vo­ka­ti­on der “Block­chain-Eco­no­my”  Abhil­fe, der von Micha­el Paet­au ver­fasst wur­de, der am Inter­na­tio­na­len Zen­trum für Sozio­ky­ber­ne­ti­sche Stu­di­en in Bonn forscht. Nach Paet­au stel­len digi­ta­le Wäh­run­gen unser Ver­ständ­nis des­sen, was Geld ist, auf den Kopf.

Ein Blick in die Geschich­te zei­ge, dass das Geld und sei­ne Funk­ti­on nicht ohne die jewei­li­ge Gesell­schafts­struk­tur und das dar­in vor­herr­schen­den Pro­duk­ti­ons und Dis­tri­bu­ti­ons­sys­tem ver­stan­den wer­den kann. Bei­spiel­haft dafür ist das alte Griechenland:

Bei Aris­to­te­les ist dies ganz klar for­mu­liert, wenn er den Zusam­men­hang der frei­en Bür­ger der Polis auf den Waren­tausch grün­det und dem Geld die Funk­ti­on zuspricht, die­se Gemein­schafts­leis­tung zu garantieren.Was die Ein­heit der Gemein­schaft erzeugt, ist der Bedarf an Pro­duk­ten, die ande­re zur Ver­fü­gung stel­len. Auf dem Markt, aber »als eine Art aus­tausch­ba­rer Stell­ver­tre­ter des Bedarfs ist das Geld geschaf­fen wor­den, auf­grund gegen­sei­ti­ger Über­ein­kunft. Und es trägt den Namen ›Geld‹ (nomis­ma), weil es sein Dasein nicht der Natur ver­dankt, son­dern weil man es als ›gel­tend‹ gesetzt (nomos) hat und es bei uns steht, ob wir es ändern oder außer Kurs set­zen wol­len«. Letzt­lich ist Geld also »jenes Ding, das als Wert­mes­ser durch ein gemein­sa­mes Maß und somit Gleich­heit schafft«.

Als Gegen­bei­spiel führt Paet­au das Geld­sys­tem der Sume­rer an, das lan­ge vor dem der alten Grie­chen bestand:

Ein Blick auf älte­re Gesell­schaf­ten im Osten des anti­ken Grie­chen­lands, vor allem in Sumer der Uruk-Zeit (ca. 3000 v.u.Z.) zeigt, dass hier in einer Gesell­schaft, in der der gesell­schaft­li­che Reich­tum nicht über Waren­tausch son­dern durch ein kom­ple­xes Sys­tem der von Tem­pel­bü­ro­kra­tien ver­wal­te­ten Pro­duk­ti­on, Lage­rung und Ver­tei­lung der Güter gere­gelt wur­de, eine ande­re Form von Geld benö­tigt wur­de, näm­lich eine Form der gegen­sei­ti­gen Auf­rech­nung von Schul­den und For­de­run­gen, doku­men­tiert mit einer für die­sen Zweck geeig­ne­ten Schrift und Arith­me­tik, ver­wal­tet in einem Buch­hal­tungs­sys­tem auf Ton­ta­feln gespei­chert. Also, wie man heu­te unter ent­wi­ckel­te­ren Ver­hält­nis­sen des Finanz­we­sens erkennt, eine Art von vir­tu­el­lem Geld, die das vor­weg­nimmt, was vie­le tau­send Jah­re spä­ter in Euro­pa, in einem auf Münz­geld auf­bau­en­dem Sys­tem als schritt­wei­se Ablö­sung des Gel­des von sei­ner angeb­lich pri­mor­dia­len Form beschrie­ben wird. Näm­lich als im 16. Jahr­hun­dert, mit der Ver­brei­tung von Wech­seln, der Ein­füh­rung des »Scu­do de Mar­chi«, und anschlie­ßen­der Ver­brei­tung von Bank­no­ten, Schecks, Kre­dit­kar­ten bis hin zum digi­ta­len Geld sich eine schritt­wei­se Ablö­sung des Gel­des von einer irgend­wie gear­te­ten mate­ri­el­len Sub­stanz durchsetzte.

Für unse­re Zeit stellt Paet­au fest:

Es lässt sich also fest­hal­ten, dass wir heu­te aus einer Situa­ti­on des ent­wi­ckel­ten kapi­ta­lis­ti­schen Finanz­we­sens her­aus behaup­ten kön­nen, dass wir den Geld­be­griff abs­trak­ter fas­sen müs­sen, als es im Main­stream der Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten geschieht, indem wir aner­ken­nen, dass Geld zunächst ein Sys­tem von Kre­dit­kon­ten und ihrer Ver­rech­nun­gen ist, und dann erst eine bestimm­te Form als Mün­ze, Wech­sel, Bank­no­te oder eben Bit­co­in anneh­men kann.

Bereits im Jahr 1970 wag­te der Bank­his­to­ri­ker Volk­mar Muthe­si­us die Prognose:

Dem­nächst wer­den wir es viel­leicht erle­ben, dass das Buch­geld in sei­ner heu­ti­gen Form sei­ner­seits gewis­ser­ma­ßen abstirbt und ersetzt wird durch Daten­spei­cher, durch elek­tro­ni­sche Vor­gän­ge in Spei­cher­ge­rä­ten, womit ein wei­te­res Sta­di­um der Ent­stoff­li­chung, also einer spe­zi­el­len Art von Abs­trak­ti­on sich voll­zie­hen wird – wer ver­möch­te zu sagen, ob es das letz­te sein wird? (Quel­le: Bank­his­to­ri­sche Fund­stü­cke – Volk­mar Muthe­si­us)

Ähn­lich weit­sich­tig war Mar­shall McLuhan, der von einer neu­en Infor­ma­ti­ons­be­we­gung des Gel­des sprach:

Heu­te stellt die Tech­nik der Elek­tri­zi­tät den Geld­be­griff selbst in Fra­ge, da die neue Dyna­mik mensch­li­cher gegen­sei­ti­ger Abhän­gig­keit von zer­le­gen­den Medi­en wie etwa dem Buch­druck auf all­um­fas­sen­de oder Mas­sen­me­di­en wie den Tele­gra­fen über­geht (in: Die magi­schen Kanäle).

Heu­te ist die Block­chain das neue zer­le­gen­de und – das ist ein neu­es Phä­no­men – wie­der ver­bin­den­de Medi­um – als Blockkette.

Inso­fern erschei­nen digi­ta­le Wäh­run­gen als ein fast schon natür­li­ches Phä­no­men; als nächs­ter Schritt der gesell­schaft­li­chen Evo­lu­ti­on, oder Trans­for­ma­ti­on, womit es aus sei­ner rein tech­ni­schen Betrach­tung gelöst und als Teil eines über­grei­fen­den sozia­len Pro­zes­ses zu sehen ist:

Als »Medi­um« besitzt es (das Geld, RK) die Eigen­schaft, lan­ge Ket­ten von sozia­len Hand­lun­gen dadurch zu beein­flus­sen, dass ein­zel­ne Ent­schei­dun­gen durch das Medi­um selbst prä­dis­po­niert sind, bei­spiels­wei­se ob man etwas kau­fen möch­te oder nicht. Wel­che Form die­ses Medi­um annimmt, ist immer das Resul­tat eines kom­ple­xen Zusam­men­wir­kens unter­schied­li­cher Fak­to­ren, sei­en sie geo­gra­phi­scher, tech­no­lo­gi­scher oder auch inter­es­sen­ge­lei­te­ter Art. Sie ist immer ein­ge­bet­tet in die gesell­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen um adäqua­te For­men der Steue­rung des öko­no­mi­schen Sys­tems, um die Steue­rung der Pro­duk­ti­on, der Akku­mu­la­ti­on, der Admi­nis­tra­ti­on, der Ver­tei­lung und des Aus­tau­sches des gesell­schaft­li­chen Reich­tums. Und selbst­ver­ständ­lich ist das beim The­ma Cryp­to­cur­ren­cy nicht anders.

Wenn sich der Cha­rak­ter des Gel­des in der beschrie­be­nen Wei­se ändert, Wäh­run­gen also noch digi­ta­ler und abs­trak­ter wer­den, bleibt das nicht ohne Ein­fluss auf die jewei­li­gen Insti­tu­tio­nen, die bis­lang für die Ver­tei­lung des Gel­des zustän­dig waren und sei­nen Wert garan­tier­ten, wie Ban­ken und Nationalbanken.

Wir wer­den sehen.

Ein aus­ge­spro­chen wich­ti­ger Beitrag.

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