PayPal baut mit “Agent Ready” und “Shop Sync” bereits die Infrastruktur für KI-gesteuerten Handel – während Wero noch klassischen E‑Commerce nachholt. Die europäische Bezahllösung mit 43 Millionen Nutzern droht irrelevant zu werden, bevor sie richtig etabliert ist. Die Geschichte von Paydirekt und Giropay wiederholt sich: Gut gemeint, technisch solide, strukturell zum Scheitern verurteilt.
PayPals Schachzug: Agent Ready und Shop Sync
Während die Welt noch darüber diskutiert, wie agentischer Handel aussehen könnte, hat PayPal bereits konkrete Produkte entwickelt. Mit “Agent Ready” (verfügbar ab 2026) können bestehende PayPal-Händler Zahlungen auf KI-Plattformen akzeptieren – ohne ihre Systeme grundlegend umbauen zu müssen. “Shop Sync” geht noch weiter: Es macht Produktdaten von Unternehmen durch einfache Integration für verschiedene KI-Chatplattformen wie Perplexity, ChatGPT oder Gemini zugänglich.
Der strategische Clou liegt in der “One-to-Many”-Architektur: Händler integrieren einmal, und ihre Produkte werden automatisch auf allen angebundenen KI-Plattformen sichtbar. Keine separaten Verträge, keine fragmentierten APIs, keine Wetten auf einzelne Plattformen. PayPal übernimmt die technische Komplexität und bietet Händlern eine einheitliche Schnittstelle zum gesamten KI-Commerce-Ökosystem.
Durch Partnerschaften mit E‑Commerce-Plattformen wie Wix, Cymbio und Shopware können Händler ihre bestehenden Produktkataloge mit wenigen Klicks für KI-Agenten freischalten. Gleichzeitig behalten sie die Kontrolle über ihre Kundendaten und die direkte Kommunikation – ein entscheidender Vorteil in einer Welt, in der KI-Agenten sonst als undurchdringliche Intermediäre fungieren würden.
PayPal positioniert sich damit nicht als Standardsetzer, sondern als pragmatischer Enabler: flexibel genug, um mit verschiedenen KI-Plattformen zu arbeiten, strukturiert genug, um Händlern Planungssicherheit zu geben. Während andere noch auf Standards warten, schafft PayPal Fakten.
Wero verzeichnet über 43 Millionen Nutzer und positioniert sich erfolgreich als europäische Alternative zu PayPal. Die Online-Shopping-Funktion startet ab Herbst 2025 in Deutschland, gefolgt von Belgien und Frankreich. Doch während Wero die Schritte des klassischen E‑Commerce nachvollzieht, schickt sich PayPal an, die nächste Evolutionsstufe des digitalen Handels zu definieren – und das könnte für die europäische Initiative zum Problem werden. Ein Problem, das sich fatal vertraut anfühlt.
Das Déjà-vu: Paydirekt, Giropay und die ewige Hoffnung
Die Geschichte europäischer Payment-Initiativen liest sich wie eine Chronik gut gemeinter Niederlagen. 2015 starteten die Sparkassen Paydirekt als deutsche Antwort auf PayPal – mit dem Versprechen höherer Sicherheit, niedrigerer Gebühren und heimischer Datenhaltung. Parallel etablierten andere Banken Giropay. Beide sollten den amerikanischen Platzhirsch verdrängen.
Das Ergebnis? Marginale Marktrelevanz, fragmentierte Nutzerakzeptanz und schließlich die Fusion beider Systeme zu Wero – der ultimative Neustart, der “diesmal wirklich funktionieren” sollte. Die Argumente blieben dieselben: Sicherheit, Datenschutz, europäische Werte. Was sich nicht änderte: die strukturelle Unfähigkeit, mit der Geschwindigkeit und Innovationskraft von Tech-Unternehmen mitzuhalten.
Und nun, während Wero gerade dabei ist, sich im klassischen E‑Commerce zu etablieren, verschiebt sich das Spielfeld erneut – dieses Mal in Richtung agentic Commerce. Die Frage ist nicht, ob Wero technisch mithalten kann. Die Frage ist, ob ein Bankenkonsortium strukturell in der Lage ist, schnell genug umzusteuern. Die historische Evidenz spricht dagegen.
Das Timing-Dilemma
Wero plant erst für 2026 die Integration von stationären Zahlungen an Ladenkassen, Ratenzahlung, Treueprogrammen und die Verwaltung wiederkehrender Zahlungen. Das ist eine klassische Roadmap für traditionellen E‑Commerce. Agentic Commerce taucht in der öffentlichen Kommunikation der European Payments Initiative nicht auf. Während PayPal mit “Agent Ready” und “Shop Sync” bereits konkrete Produkte für KI-Plattformen entwickelt, scheint Wero noch in der Welt von IBAN-Überweisungen und Point-of-Sale-Terminals verhaftet zu sein.
Diese Diskrepanz ist umso bemerkenswerter, als Wero auf dem SEPA-Instant-System basiert und Echtzeit-Überweisungen ermöglicht – technisch also ideal für agentische Transaktionen wäre. Die Infrastruktur existiert, aber die strategische Vision für deren Einsatz im KI-Commerce scheint zu fehlen. Oder schlimmer: Sie existiert, kann aber im Konsortium nicht schnell genug umgesetzt werden.
Strukturelle Handicaps der Kooperation
Weros größte Stärke könnte sich als Achillesferse erweisen: Die Betreibergesellschaft EPI gehört einem Konsortium von 16 Banken aus mehreren Ländern, wobei französische Institute mit 43,49% dominieren und der deutsche Block 19,47% hält. Strategische Entscheidungen in einem solchen Konstrukt benötigen Konsens zwischen Wettbewerbern, die zugleich Partner sind. PayPal dagegen kann schnell und zentralisiert auf Marktveränderungen reagieren.
Wenn Sparkassen, Volksbanken und die Deutsche Bank über KI-Strategien diskutieren müssen, während PayPal bereits Partnerschaften mit Perplexity und anderen KI-Plattformen eingeht, wird aus europäischer Souveränität strukturelle Trägheit. Die EPI ist zwar bereits im Gespräch mit großen europäischen Online-Händlern, aber Händler-Integrationen und KI-Plattform-Integrationen sind fundamental verschiedene Herausforderungen.
Das Kernproblem: Banken denken in Quartalen, Compliance und Risikovermeidung. Tech-Companies denken in Sprints, Experimenten und “Move Fast, Break Things”. Agentic Commerce erfordert Letzteres. Ein Konsortium aus 16 Finanzinstituten kann das nicht liefern – nicht weil die Menschen dort inkompetent wären, sondern weil die Struktur es verhindert.
Das Innovator’s Dilemma der Banken
Es gibt einen tieferen Grund, warum Banken bei Payment-Innovationen scheitern: Sie haben ein perversen Anreiz, langsam zu sein. Sparkassen und Volksbanken verdienen an Girokonten, Überweisungsgebühren, Kreditkartenprovisionen und dem gesamten traditionellen Banking-Ökosystem. KI-Commerce, bei dem Agenten autonom Transaktionen durchführen, bedroht dieses Geschäftsmodell fundamental.
Warum sollte eine Bank aktiv eine Technologie vorantreiben, die:
- Ihre Kundenschnittstelle überflüssig macht (der KI-Agent wird zur neuen Schnittstelle)
- Ihre Provisionsmodelle kannibalisiert (Echtzeit-Transaktionen zu Minimargen)
- Ihre Datenhoheit untergräbt (Kaufverhalten liegt bei KI-Plattformen)
Sie sollte es nicht – und sie tut es auch nicht. Wero ist das Minimum an Innovation, das notwendig ist, um nicht völlig irrelevant zu werden, aber nicht genug, um wirklich zu disruptieren. Es ist defensive Innovation, keine offensive.
Die fehlende KI-Plattform-Strategie
PayPals “One-to-Many”-Ansatz – einmal integrieren, auf allen KI-Plattformen verfügbar sein – hat kein erkennbares Äquivalent bei Wero. Dabei wäre gerade dies für europäische Händler von enormem Wert: Eine heimische Bezahllösung, die gleichzeitig Zugang zu globalem KI-Commerce bietet, würde europäische Datenschutzstandards mit internationaler Reichweite verbinden.
Stattdessen fokussiert sich Wero auf Kostenvorteile im traditionellen E‑Commerce. Die Gebühren liegen etwas unterhalb der Kosten gängiger Kredit- und Debitkarten und deutlich unterhalb PayPals – ein valides Argument für heutige Online-Shops, aber irrelevant für KI-Agenten, die Transaktionen auf Basis ganz anderer Kriterien ausführen werden.
Bis Wero überhaupt über KI-Commerce-Strategien diskutiert, hat PayPal längst Fakten geschaffen. Und bis das EPI-Konsortium zu einer Entscheidung kommt, sind die relevanten Partnerschaften mit ChatGPT, Perplexity und Gemini bereits exklusiv vergeben.
Die Paradoxie der europäischen Souveränität
Wero setzt auf “Souveränität – Datenschutz – Sicherheit” und ermöglicht Zahlungen nach europäischen Datenschutzstandards ohne zwischengeschaltete außereuropäische Dienstleister. Ein nobles Ziel – aber eine hohle Phrase, wenn die eigentliche Macht woanders liegt.
Denn wenn künftig KI-Agenten von ChatGPT, Perplexity oder Gemini Kaufentscheidungen treffen und PayPal die Infrastruktur dafür bereitstellt, spielt es keine Rolle mehr, ob die Zahlung selbst über ein europäisches System läuft – die Kaufentscheidung und Produktauswahl findet auf US-Plattformen statt. Die Datenhoheit über das “Was”, “Wann” und “Warum” des Kaufs liegt bei den KI-Plattformen. Wero hätte nur noch die Rolle des austauschbaren Zahlungsabwicklers.
Echte digitale Souveränität im agentischen Zeitalter würde bedeuten, europäische Händler nicht nur mit Zahlungsinfrastruktur, sondern auch mit KI-Plattform-Konnektivität auszustatten. Wero könnte hier eine Br…

