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Was pas­siert, wenn nicht mehr Men­schen, son­dern Künst­li­che Intel­li­gen­zen die Märk­te bewe­gen? Eine neue Stu­die unter­sucht, ob gene­ra­ti­ve KI ratio­na­ler han­delt – oder ob sie unse­re irra­tio­na­len „Ani­mal Spi­rits“ nur auf digi­ta­ler Ebe­ne fortsetzt.


Die Debat­te über den Ein­fluss Künst­li­cher Intel­li­genz auf die Finanz­märk­te gewinnt an Tie­fe. Das jüngst erschie­ne­ne Papier „Finan­cial Sta­bi­li­ty Impli­ca­ti­ons of Gene­ra­ti­ve AI: Taming the Ani­mal Spi­rits“ bie­tet einen fas­zi­nie­ren­den Ein­blick in eine mög­li­che Zukunft des algo­rith­mi­schen Han­dels – eine Zukunft, in der KI-Agen­ten an die Stel­le mensch­li­cher Trader tre­ten und mit ihnen nicht nur um Geschwin­dig­keit, son­dern auch um Ratio­na­li­tät konkurrieren.

Vom Instinkt zur Statistik

Im Zen­trum der Unter­su­chung ste­hen Labor­ex­pe­ri­men­te mit gro­ßen Sprach­mo­del­len (LLMs) – dar­un­ter Clau­de 3.5÷3.7, Llama 3 und Nova Pro. Ziel war es, klas­si­sche Expe­ri­men­te zum Her­den­ver­hal­ten („Ani­mal Spi­rits“) nach­zu­stel­len und zu prü­fen, ob KI-Agen­ten eben­so anfäl­lig für irra­tio­na­le Markt­dy­na­mi­ken sind wie Menschen.

Das Ergeb­nis ist eben­so erhel­lend wie ernüch­ternd: KI-Agen­ten tra­fen in 61 % bis 97 % der Fäl­le ratio­na­le Ent­schei­dun­gen – deut­lich mehr als mensch­li­che Finanz­ex­per­ten, deren Wer­te zwi­schen 46 % und 51 % lagen. Sie folg­ten sel­te­ner der Her­de, igno­rier­ten häu­fi­ger die Markt­stim­mung und ver­trau­ten stär­ker auf ihre eige­nen „pri­va­ten Signa­le“. Mit ande­ren Wor­ten: Künst­li­che Intel­li­genz zeig­te sich küh­ler, berech­nen­der und weni­ger emo­tio­nal – zumin­dest im Basisszenario.

Wenn Ratio­na­li­tät kippt

Doch die schein­ba­re Über­le­gen­heit der KI hat Gren­zen. In erwei­ter­ten Tests, bei denen die Model­le auf „opti­ma­les Her­den­ver­hal­ten“ trai­niert wur­den, zeig­te sich: Auch KI kann tak­tisch „mit­lau­fen“, wenn es der Maxi­mie­rung des Gewinns dient. Noch über­ra­schen­der war, dass sub­ti­le Ver­än­de­run­gen in der Dar­stel­lung von Infor­ma­tio­nen – etwa eine ver­tausch­te Farb-Codie­rung („Rot = gut“) – zu einem dras­ti­schen Anstieg irra­tio­na­ler Reak­tio­nen führten.

Die­se Befun­de legen nahe, dass gene­ra­ti­ve KI nicht nur Berech­nun­gen aus­führt, son­dern auch seman­ti­sche und kul­tu­rel­le Mus­ter „erbt“. Ihre Ratio­na­li­tät ist nicht rein algo­rith­misch, son­dern – im über­tra­ge­nen Sinn – sozi­al konditioniert.

Zwi­schen Sta­bi­li­tät und Schock

Für die Finanz­sta­bi­li­tät sind die Impli­ka­tio­nen ambi­va­lent. Einer­seits könn­ten weni­ger her­den­af­fi­ne KI-Agen­ten Markt­vo­la­ti­li­tät und Preis­bla­sen redu­zie­ren. Ande­rer­seits droht bei brei­ter Durch­set­zung KI-gestütz­ten Han­dels eine neue Form der Sys­tem­dy­na­mik: Wenn alle Model­le gleich­zei­tig auf die­sel­ben „opti­ma­len“ Signa­le reagie­ren, könn­ten Markt­an­pas­sun­gen schnel­ler, abrup­ter und poten­zi­ell desta­bi­li­sie­ren­der verlaufen.
Das Bild, das sich abzeich­net, ist also dop­pelt gespal­ten: KI könn­te die Ani­mal Spi­rits zäh­men – oder sie in algo­rith­mi­scher Form potenzieren.

Eine neue Form der Rationalität

Am Ende bleibt die Fra­ge: Wenn Märk­te zuneh­mend von ler­nen­den Sys­te­men geprägt sind, ver­schiebt sich dann das Fun­da­ment öko­no­mi­scher Ratio­na­li­tät? Die Stu­die deu­tet an, dass KI zwar die emo­tio­na­len Schwä­chen des Men­schen redu­ziert, aber gleich­zei­tig neue, sub­ti­le For­men von Bias ein­führt – geprägt durch Trai­nings­da­ten, Signal­co­die­rung und Modellarchitektur.

Die Her­aus­for­de­rung der kom­men­den Jah­re wird sein, die­se neue Ratio­na­li­tät zu ver­ste­hen – und zu regu­lie­ren –, bevor sie selbst zur Quel­le der nächs­ten Finanz­kri­se wird.

Fazit:

Gene­ra­ti­ve KI könn­te die Märk­te sta­bi­li­sie­ren, indem sie die emo­tio­na­len Refle­xe mensch­li­cher Händ­ler über­win­det. Doch ihr ratio­na­les Kal­kül ist alles ande­re als unfehl­bar. Viel­leicht liegt die wah­re Lek­ti­on der Stu­die dar­in, dass auch die Künst­li­che Intel­li­genz ihre eige­nen „Ani­mal Spi­rits“ besitzt – nur dass sie sie in Code schreibt.