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Von der Span­dau­er Stra­ße zur Jäger­stra­ße, von Ber­lin nach Sankt Peters­burg: Das Bank­haus Men­dels­sohn & Co. ver­kör­per­te über fünf Gene­ra­tio­nen hin­weg die Erfolgs­ge­schich­te einer deutsch-jüdi­schen Fami­lie zwi­schen Auf­klä­rung und Ver­nich­tung. Als bedeu­tends­tes Pri­vat­bank­haus Preu­ßens ver­knüpf­te es Wirt­schafts­macht mit kul­tu­rel­lem Mäze­na­ten­tum – bis die Natio­nal­so­zia­lis­ten 1938 nicht nur eine Bank liqui­dier­ten, son­dern eine gan­ze Epo­che auslöschten.


Die Geburt eines Impe­ri­ums aus dem Geist der Aufklärung

Als Joseph Men­dels­sohn 1795 in der Span­dau­er Stra­ße sein Bank­haus grün­de­te, lag die Fran­zö­si­sche Revo­lu­ti­on gera­de ein­mal sechs Jah­re zurück. Es war die Ära der gro­ßen Umbrü­che, in der sich das auf­ge­klär­te Bür­ger­tum gegen feu­da­le Ord­nun­gen stemm­te und neue gesell­schaft­li­che Räu­me erober­te. Die Men­dels­sohns – Nach­kom­men des Phi­lo­so­phen Moses Men­dels­sohn – stan­den para­dig­ma­tisch für die­sen Auf­bruch. Sie ver­wan­del­ten intel­lek­tu­el­les Kapi­tal in öko­no­mi­sche Macht und schu­fen mit ihrem Bank­haus nicht nur ein Finanz­in­sti­tut, son­dern einen Ort, an dem sich Geld und Geist, Wirt­schaft und Kul­tur durchdrangen.

Der Umzug in die Jäger­stra­ße 51 im Jahr 1815, unmit­tel­bar nach dem Wie­ner Kon­gress, mar­kier­te den Beginn einer neu­en Ära. Die Jäger­stra­ße nahe dem Gen­dar­men­markt ent­wi­ckel­te sich zum pul­sie­ren­den Her­zen des Ber­li­ner Ban­ken­vier­tels, und die Men­dels­sohns waren die trei­ben­de Kraft die­ser Trans­for­ma­ti­on. Abra­ham Men­dels­sohn Bar­thol­dy, der als Teil­ha­ber ein­stieg, ver­stand es, das Haus als mehr als blo­ße Geschäfts­adres­se zu eta­blie­ren: Es wur­de zum Treff­punkt für Künst­ler und Gelehr­te, zu einem Salon, in dem die Gren­zen zwi­schen den Sphä­ren verwischten.

Die rus­si­sche Wen­de: Finanz­ar­chi­tek­tur zwi­schen zwei Reichen

Die 1850er Jah­re brach­ten die ent­schei­den­de stra­te­gi­sche Neu­aus­rich­tung. Men­dels­sohn & Co. ent­deck­te den rus­si­schen Markt und bau­te sys­te­ma­tisch ein Netz­werk auf, das in sei­ner Inten­si­tät und Exklu­si­vi­tät kon­kur­renz­los war. Ab den 1870er Jah­ren domi­nier­te das Haus den mit­tel­eu­ro­päi­schen Han­del mit rus­si­schen Staats- und Eisen­bahn­an­lei­hen nahe­zu mono­pol­ar­tig. Die ers­te rus­si­sche Eisen­bahn­an­lei­he, die 1863 an der Ber­li­ner Bör­se plat­ziert wur­de, war mehr als eine Finanz­trans­ak­ti­on – sie war ein Sym­bol für die neue trans­na­tio­na­le Ver­flech­tung der Kapitalmärkte.

Die­se Ost­ori­en­tie­rung mach­te Men­dels­sohn & Co. zur wich­tigs­ten preu­ßi­schen und deut­schen Pri­vat­bank des 19. Jahr­hun­derts. Das Haus finan­zier­te nicht nur die Moder­ni­sie­rung des Zaren­reichs, es schuf auch eine Brü­cke zwi­schen den bei­den kon­ser­va­ti­ven Groß­mäch­ten Euro­pas. Die inter­na­tio­na­le Aus­strah­lung war so bedeu­tend, dass selbst der spä­te­re rus­si­sche Finanz­mi­nis­ter Pjotr Bark als jun­ger Mann bei Men­dels­sohn & Co. sein Prak­ti­kum absol­vier­te – ein Detail, das die Qua­li­tät und das Pres­ti­ge des Hau­ses unterstreicht.

Archi­tek­tur als State­ment: Reprä­sen­ta­ti­on und Verwurzelung

Der reprä­sen­ta­ti­ve Neu­bau von 1891 bis 1893 an der Jäger­stra­ße 49–50, ent­wor­fen von Hei­no Schmie­den und Mar­tin Gro­pi­us, war kein Zufall. In der Hoch­pha­se des His­to­ris­mus schu­fen die Archi­tek­ten ein Gebäu­de, das Kon­ti­nui­tät und Bestän­dig­keit aus­strahl­te – ein stei­ner­nes Bekennt­nis zum Stand­ort Ber­lin und zur preu­ßi­schen Ord­nung. Dass die­ses Ensem­ble heu­te weit­ge­hend im Ori­gi­nal erhal­ten ist, macht es zu einem sel­te­nen Zeug­nis jener selbst­be­wuss­ten Grün­der­zeit, in der jüdi­sche Unter­neh­mer glaub­ten, end­gül­tig in der deut­schen Gesell­schaft ange­kom­men zu sein.

Die Fami­lie besaß zeit­wei­se meh­re­re Häu­ser in der Jäger­stra­ße. Die Men­dels­sohn-Remi­se im Hof der Jäger­stra­ße 51 dien­te nicht nur wirt­schaft­li­chen, son­dern auch kul­tu­rel­len Zwe­cken. Hier ver­dich­te­te sich jene Ver­zah­nung von Wirt­schaft, Kul­tur und bür­ger­li­cher Öffent­lich­keit, die das Ber­lin des 19. Jahr­hun­derts präg­te und von der heu­te nur noch Spu­ren geblie­ben sind.

Der lan­ge Schat­ten der Kata­stro­phen: 1914 bis 1938

Der Ers­te Welt­krieg zer­schnitt bru­tal die trans­na­tio­na­len Ver­flech­tun­gen, auf denen das Geschäfts­mo­dell von Men­dels­sohn & Co. beruh­te. Die Rus­si­sche Revo­lu­ti­on von 1917 besie­gel­te das Ende der Ost­ori­en­tie­rung end­gül­tig. Was über Jahr­zehn­te als siche­re Stra­te­gie gegol­ten hat­te, erwies sich als exis­ten­zi­el­le Ver­wund­bar­keit. Die Bank ver­lor nicht nur Kapi­tal, son­dern auch ihre Exis­tenz­be­rech­ti­gung als Ver­mitt­le­rin zwi­schen Deutsch­land und Russland.

Juli­us H. Schoeps beschreibt in sei­ner Fami­li­en­bio­gra­fie „Das Erbe der Men­dels­sohns”, wie das Bank­haus für über fünf Gene­ra­tio­nen als zen­tra­les Bin­de­glied der Fami­lie fun­gier­te – als wirt­schaft­li­ches Rück­grat und iden­ti­täts­stif­ten­der Mit­tel­punkt zugleich. Doch die­se Kon­ti­nui­tät mach­te die Fami­lie auch ver­letz­lich. Als die Natio­nal­so­zia­lis­ten 1938 die Liqui­da­ti­on erzwan­gen und das akti­ve Geschäft an die Deut­sche Bank über­ging, war dies mehr als eine „Ari­sie­rung” – es war, wie Schoeps her­vor­hebt, das Ende einer Ära jüdisch-deut­scher Wirtschaftsgeschichte.

Schoeps nennt es eine „freund­li­che Ari­sie­rung”, ein Euphe­mis­mus, der die büro­kra­ti­sche Gewalt hin­ter der schein­bar lega­len Ent­eig­nung kaschiert. Vie­le Fami­li­en­mit­glie­der muss­ten emi­grie­ren, ver­lo­ren ihren Besitz, ihre Hei­mat, ihre Iden­ti­tät. Das Bank­haus, über Gene­ra­tio­nen Sym­bol für Inte­gra­ti­on und Patrio­tis­mus, wur­de zum Schau­platz der „miss­glück­ten Eman­zi­pa­ti­on” der deut­schen Juden.

Erin­ne­rung als Wider­stand gegen das Vergessen

Heu­te erin­nert eine Gedenk­ta­fel am his­to­ri­schen Stamm­haus Jäger­stra­ße 51 an das Bank­haus – ent­hüllt 2004 zum 200. Grün­dungs­tag im Rah­men der „Geschichts­mei­le Jäger­stra­ße”. In der Men­dels­sohn-Remi­se zeigt eine Dau­er­aus­stel­lung die Geschich­te von Bank und Fami­lie, macht sicht­bar, was sonst nur in Archi­ven schlum­mert. Das Men­dels­sohn-Palais in der Jäger­stra­ße 4950 wur­de nach Krieg und Wen­de von ver­schie­de­nen Insti­tu­tio­nen genutzt, ein stum­mer Zeu­ge wech­seln­der Régime und Ideologien.

Die­se Erin­ne­rungs­or­te sind mehr als musea­le Pflicht­übun­gen. Sie hal­ten fest, dass es in Deutsch­land ein­mal mög­lich schien, als Jude zugleich Patri­ot, Unter­neh­mer und Kul­tur­mä­zen zu sein. Sie doku­men­tie­ren aber auch, wie fra­gil die­se Inte­gra­ti­on war, wie schnell sie sich in ihr Gegen­teil ver­keh­ren konnte.

Epi­log: Eine Fami­li­en­ge­schich­te als Spie­gel­bild der Nation

Schoeps’ Bio­gra­fie, die auf exklu­si­vem Mate­ri­al aus Pri­vat­ar­chi­ven basiert, zeich­net ein Pan­ora­ma zwei­er Jahr­hun­der­te. Sie wür­digt nicht nur die gro­ßen Figu­ren wie Alex­an­der und Paul Men­dels­sohn-Bar­thol­dy, die das Haus zur Spit­ze führ­ten, son­dern auch die unbe­kann­te­ren Ban­kiers, Kunst­samm­ler und Mäze­ne. Dabei reflek­tiert sie die fun­da­men­ta­le Ambi­va­lenz der deutsch-jüdi­schen Exis­tenz: zwi­schen Inte­gra­ti­on und Aus­gren­zung, zwi­schen Erfolg und Vernichtung.

Das Bank­haus Men­dels­sohn & Co. war kei­ne Fuß­no­te der Geschich­te, son­dern ein Brenn­glas, durch das sich die Wider­sprü­che der deut­schen Moder­ne betrach­ten las­sen. Sein Auf­stieg erzählt von den Mög­lich­kei­ten der Auf­klä­rung, sein Fall von der Bar­ba­rei, die im Her­zen Euro­pas mög­lich wur­de. In der Jäger­stra­ße, wo einst Kapi­tal und Kul­tur zir­ku­lier­ten, erin­nern heu­te nur noch Tafeln und lee­re Räu­me dar­an, was ein­mal war – und nie­mals wie­der­keh­ren wird.


Quel­len:

Bank­haus Men­dels­sohn (Gebäu­de)

Eine Fami­lie steigt auf

„Die Men­dels­sohns waren preu­ßi­sche Patrioten“