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Digitalisierung, Originalstil, strategische Neuausrichtung – das Bankstil-Framework verspricht maßgeschneiderte Lösungen für die Banking-Evolution. Doch was taugen diese Konzepte, wenn das gesamte Wirtschaftssystem kollabiert? Eine Analyse am Beispiel der deutschen Bankenkrise zeigt: Selbst die beste Strategie braucht einen tragfähigen Boden.
Die Theorie trifft auf die Wirklichkeit
Zwölf Jahre Entwicklungsarbeit stecken im Bankstil-Framework. Ein durchdachtes Instrument, das Banken helfen soll, ihren individuellen Weg durch die digitale Transformation zu finden. Sieben Dimensionen, drei Entwicklungsphasen, unzählige Möglichkeiten für maßgeschneiderte Strategien. Renaissance des Regionalen, Community Banking, Slow Banking – das Framework eröffnet eine Welt voller kreativer Alternativen zum Einheitsbrei der Volldigitalisierung.
Doch dann kommt die Realität und stellt unangenehme Fragen. Was passiert, wenn nicht nur einzelne Banken vor Herausforderungen stehen, sondern das gesamte System unter Druck gerät? Wenn die externen Faktoren so massiv wirken, dass sie alle internen Gestaltungsmöglichkeiten überlagern? Deutschland liefert gerade ein Lehrstück dafür, wie schnell bewährte Strategien an ihre Grenzen stoßen können.
Der perfekte Sturm als Stresstest
Die deutsche Wirtschaft erlebt derzeit einen “perfekten Sturm”: Schwindende Exportüberschüsse, struktureller Wandel und eine schwächelnde Weltkonjunktur verstärken sich gegenseitig. Das exportorientierte Industriemodell, jahrzehntelang Rückgrat des deutschen Wohlstands, kollabiert strukturell. Die historisch gewachsene industriepolitische Infrastruktur mit ihrem dichten Netz aus Zulieferern und Forschungsinstitutionen verliert ihre Kopplung an die Wertschöpfung, da Produktion und Entwicklung ins Ausland verlagert werden.
Für die Banken wird dies zur existenziellen Bedrohung. Ihre Kunden – der deutsche Mittelstand – kämpfen mit sinkenden Gewinnen, steigenden Insolvenzen und schwindendem Finanzierungsbedarf. Regionalbanken, die traditionell stark vom lokalen Geschäft abhängen, trifft es besonders hart. Landesbanken sehen sich zusätzlich belastet durch Risiken in der Immobilienfinanzierung und bei öffentlichen Unternehmen.
Die Grenzen des Gestaltbaren
Hier offenbart sich ein fundamentales Problem des Bankstil-Frameworks. Die Theorie unterscheidet präzise zwischen gestaltbaren internen Faktoren (Prozesse, Führungskultur, Technologie, Marktinteraktion) und beeinflussenden externen Faktoren (Konjunktur, Trends, Regulierung, Politik). Der Ansatz: Interne Faktoren optimieren, externe Einflüsse antizipieren, Handlungsfähigkeit bewahren.
Doch was geschieht, wenn die externen Schocks so gewaltig sind, dass interne Optimierungen zur Makulatur werden? Deutsche Banken investieren massiv in Digitalisierung: KI-getriebene Analytik, virtuelle Filialen, automatisierte Prozesse. Sie bauen Personal ab, schließen Filialen, konsolidieren ihre Strukturen. Prognosen gehen von einem Personalrückgang von bis zu 30 Prozent bis 2030 aus.
All diese Maßnahmen folgen der Logik des Frameworks – und bleiben trotzdem weitgehend wirkungslos. Der Grund ist ernüchternd simpel: Eine Bank kann sich digital und organisatorisch noch so sehr transformieren, am Ende bleibt sie auf robuste, zahlungsfähige Kunden angewiesen. Selbst die beste digitale Infrastruktur kann fehlende Geschäftsmodelle oder Einnahmenströme vor Ort nicht kompensieren.
Das Dilemma der regionalökonomischen Abhängigkeit
Besonders deutlich wird dies bei den Regionalbanken. Das Framework bietet ihnen durchaus attraktive Entwicklungspfade: Sie könnten ihre “traditionellen Stärken bewusst weiterentwickeln – tiefe Kundenbeziehungen, regionale Verwurzelung, Verlässlichkeit als Antwort auf die Schnelllebigkeit der digitalen Welt.” Community Banking, Slow Banking, die Renaissance des Regionalen – alles verlockende Konzepte für einen individuellen “Originalstil”.
Doch genau diese regionalen Stärken werden zur Falle, wenn die Region wirtschaftlich abstürzt. Tiefe Kundenbeziehungen helfen wenig, wenn die Kunden pleite gehen. Regionale Verwurzelung wird zum Klotz am Bein, wenn die regionale Wertschöpfung zusammenbricht. Die charakteristische Prägung, die das Framework als Bankstil bezeichnet, kann sich schnell von einem Wettbewerbsvorteil in eine existenzielle Bedrohung verwandeln.
Wenn die Basis wegbricht
Das Bankstil-Framework geht von einer grundsätzlichen Annahme aus: Banken können durch geschickte Positionierung und strategische Entwicklung ihre Zukunft gestalten. Verschiedene Wege führen zum Erfolg, verschiedene Interpretationen sind möglich und produktiv. Diese Vielfalt ist tatsächlich eine große Stärke des Ansatzes – unter normalen Umständen.
Doch normale Umstände herrschen gerade nicht. Stattdessen erleben wir eine Situation, in der die wirtschaftliche Basis selbst erodiert. Sinkende Unternehmensgewinne führen zu weniger Kreditanfragen. Steigende Insolvenzen bedeuten höhere Ausfallraten. Nachfragerückgang im Mittelstand resultiert in geringeren Einlagen. Der Margendruck verstärkt sich durch schrumpfende Märkte.
Das Framework bietet für solche Situationen wenig Orientierung. Es ist konzipiert für die strategische Entwicklung in funktionierenden Märkten, nicht für das Überleben in kollabierenden Systemen. Die sieben Dimensionen (strategische Klarheit, institutionelle Beweglichkeit, digitaler Reifegrad, etc.) verlieren ihre Aussagekraft, wenn das gesamte Spielfeld verschwindet.
Strategien ohne Fundament
Am dramatischsten zeigt sich dies bei den Digitalisierungsstrategien, auf die deutsche Banken so sehr setzen. Das Framework unterstützt grundsätzlich diesen Ansatz: Technologieeinsatz als gestaltbarer interner Faktor, digitale Transformation als Weg zur Zukunftsfähigkeit. Doch die Realität ist ernüchternd.
Banken können ihre Prozesse noch so sehr digitalisieren – wenn die lokalen Unternehmen keine Kredite mehr brauchen, weil sie nicht investieren, nutzt die beste Online-Plattform nichts. Sie können ihre Kundenberatung mit KI optimieren – wenn die Kunden kein Geld mehr haben, das beraten werden könnte, verpufft der Effekt. Sie können ihre Strukturen noch so agil gestalten – ohne Geschäft bleibt Agilität Selbstzweck.
Das Framework erkennt zwar an, dass externe Faktoren “beeinflussend” wirken, unterschätzt aber systematisch deren Durchschlagskraft in Krisenzeiten. Es behandelt sie als Parameter, die man “frühzeitig erkennen, verstehen und in Szenarien übersetzen” kann, um “proaktiv zu handeln.” Doch manche externen Schocks sind so fundamental, dass sie jede Proaktivität zur Makulatur machen.
Die Illusion der maßgeschneiderten Lösung
Hier liegt vielleicht das größte Problem des Frameworks: Es suggeriert, dass es für jede Bank den passenden Weg gibt, den individuellen “Originalstil” für die jeweilige Situation. Diese Flexibilität ist grundsätzlich richtig und wertvoll. Doch sie blendet aus, dass manche Situationen keinen Raum für maßgeschneiderte Lösungen lassen.
Eine bayerische Sparkasse kann ihren Originalstil nicht in der “Renaissance des Regionalen” finden, wenn die Region wirtschaftlich tot ist. Eine Genossenschaftsbank kann ihren Weg nicht in “partizipativen Entscheidungen und demokratischen Strukturen” suchen, wenn es nichts mehr zu entscheiden gibt, weil das Geschäft weggebrochen ist. Das Framework überschätzt die Gestaltungsmacht der Banken in systemischen Krisen.
Timing als kritischer Faktor
Das Framework betont zu Recht, dass “Strategieentwicklung ein kontinuierlicher Prozess” ist, “kein einmaliges Ereignis.” Die Bewertung von heute sei “eine Momentaufnahme, kein ewiges Urteil.” Diese evolutionäre Sichtweise ist in stabilen Zeiten gold richtig – doch manchmal bleibt keine Zeit für graduellen Wandel.
Die deutsche Bankenkrise zeigt: Externe Schocks können so schnell und massiv auftreten, dass kontinuierliche Anpassung zur Illusion wird. Dann entscheiden nicht mehr strategische Reflexion und maßgeschneiderte Entwicklungspfade über das Überleben, sondern schlicht die Frage: Reichen die Reserven, um den Sturm zu überstehen?
Die Lehren der Jahrhunderte-Banken
Doch halt – bedeutet dies wirklich, dass das Bankstil-Framework in Krisen versagt? Ein Blick auf die langlebigen Privatbanken erzählt eine andere Geschichte. Berenberg, gegründet 1590, navigierte durch den Dreißigjährigen Krieg ebenso wie durch zwei Weltkriege. Das Bankhaus Metzler überstand seit 1674 napoleonische Umwälzungen, die Hyperinflation der 1920er Jahre und die Finanzkrise von 2008.
Diese Jahrhunderte-Banken praktizierten alle Prinzipien des Bankstil-Frameworks, lange bevor es theoretisch formuliert wurde: klare Identität, nachhaltige Strukturen, externe Sensibilität, authentischen Originalstil. Sie bewiesen, dass das Framework durchaus in Krisen funktioniert – aber nur unter einer entscheidenden Voraussetzung: ausreichender Transformationsfreiheit.
Der entscheidende Unterschied: Strukturelle Flexibilität
Was unterscheidet diese erfolgreichen Krisennavigatore von den heutigen deutschen Regionalbanken? Nicht die Qualität ihrer Strategien, sondern ihre strukturelle Beweglichkeit.
Die historischen Privatbanken änderten “mindestens einmal ihr Geschäftsfeldportfolio vollständig.” Sie wechselten zwischen Märkten, bauten internationale Netzwerke auf, spezialisierten sich auf neue Kundensegmente. Berenberg kombiniert heute Investment Banking mit vorsichtiger Geschäftspolitik – ein scheinbarer Widerspruch, der perfekt zur eigenen Geschichte passt.
Deutsche Regionalbanken hingegen sind strukturell gefesselt: Sie können ihr Geschäftsmodell nicht radikal ändern, ihre Kunden nicht wechseln, ihre Region nicht verlassen. Eine Sparkasse im Allgäu kann noch so kreativ über “Renaissance des Regionalen” nachdenken – wenn die Region wirtschaftlich abstürzt, nützt die beste Strategie nichts.
Die Privatbanken fokussierten sich auf “vermögende Kundengruppen” und “diskrete Vermögensverwaltung” – Segmente, die geografisch mobil sind und Krisen besser überstehen. Regionalbanken hängen am lokalen Mittelstand, der mit der Region lebt oder stirbt.
Zeit als kritischer Faktor
Ein weiterer entscheidender Unterschied: die verfügbare Anpassungszeit. Die jahrhundertealten Banken hatten Generationen, um sich an veränderte Umstände anzupassen. Sie praktizierten kontinuierliche Evolution über Jahrzehnte hinweg.
Die aktuelle deutsche Transformation läuft hingegen in einem komprimierten Zeitrahmen ab. Strukturelle Veränderungen, die früher Generationen dauerten, müssen heute in wenigen Jahren bewältigt werden. Das Framework setzt auf “kontinuierliche Prozesse”, doch manchmal bleibt keine Zeit für graduellen Wandel.
Was bleibt vom Framework?
Das Bankstil-Framework ist also nicht grundsätzlich unbrauchbar in Krisen – es funktioniert nur für Banken mit ausreichender Transformationsfreiheit. Seine systematische Schwäche liegt nicht darin, dass es externe Faktoren unterschätzt, sondern darin, dass es die strukturellen Beschränkungen verschiedener Banktypen (noch) nicht ausreichend berücksichtigt.
Die langlebigen Privatbanken beweisen: Es gibt viele Wege durch Krisen – aber nicht für alle Banken sind alle Wege gangbar. Das Framework zeigt die Wege auf, übersieht aber oft die Hindernisse, die manche Banken daran hindern, diese Wege zu beschreiten.
Die fehlende Dimension: Transformationsfreiheit
Was dem Framework fehlt, ist eine systematische Analyse der Transformationsfreiheit: Wie beweglich ist unsere Bank wirklich? Welche strukturellen Fesseln hindern uns an radikalen Anpassungen? Haben wir die Flexibilität der Jahrhunderte-Banken oder sind wir wie die Regionalbanken an bestimmte Geschäftsmodelle, Kundensegmente oder geografische Räume gebunden?
Das Framework müsste daher um fundamentale Fragen ergänzt werden: Können wir unser Geschäftsmodell radikal ändern? Sind unsere Kunden geografisch mobil? Haben wir Zeit für graduelle Anpassung oder müssen wir schnell reagieren? Erst nach dieser “Transformationsfreiheits-Analyse” wird deutlich, welche der verschiedenen Entwicklungspfade tatsächlich gangbar sind.
Solange diese strukturellen Beschränkungen nicht berücksichtigt werden, kann das Framework Banken in die Irre führen: Es zeigt verlockende Wege auf, die für manche Institute verschlossen sind. Community Banking und die Renaissance des Regionalen sind legitime Strategien – aber nur für Banken, die in wirtschaftlich stabilen Regionen operieren oder diese wechseln können.
Fazit: Strategien brauchen Bewegungsfreiheit
Die deutsche Bankenkrise, kontrastiert mit den Erfolgsgeschichten jahrhundertealter Privatbanken, liefert eine differenzierte Lektion für strategische Frameworks: Die beste Theorie funktioniert nur mit ausreichender Umsetzungsfreiheit. Das Bankstil-Framework zeigt verschiedene Wege auf – aber nicht alle Banken können alle Wege beschreiten.
Die langlebigen Privatbanken bewiesen über Jahrhunderte: Krisen sind überwindbar, wenn man radikal genug denken und handeln kann. Sie wechselten Geschäftsfelder, Kundensegmente und geografische Märkte. Diese Transformationsfreiheit fehlt vielen heutigen Banken – und ohne sie bleiben auch die kreativsten Strategien wirkungslos.
Ohne strukturelle Beweglichkeit laufen selbst ambitionierte Transformationspläne ins Leere. Ohne die Freiheit zu radikalen Anpassungen helfen weder Digitalisierung noch Originalstil. Das Framework kann bei der strategischen Entwicklung helfen – aber es kann strukturelle Fesseln nicht sprengen, wo sie historisch gewachsen sind.
Vielleicht ist das die wichtigste Lehre aus dem Kontrast zwischen Jahrhunderte-Banken und aktueller Krise: Strategische Instrumente haben ihre Grenzen nicht in den Strategien selbst, sondern in der Freiheit, sie umzusetzen. Erst die Bewegungsfreiheit, dann das Bankenwunder. Das Framework funktioniert – aber nur für Banken, die frei genug sind, es zu nutzen.